Bilanz des Xi-Besuchs "Putins Scheitern ist für China nicht akzeptabel"
22.03.2023, 08:59 Uhr
Für die russische Wirtschaft, vor allem aber für Putin persönlich, ist das gute Verhältnis zu Xi überlebenswichtig.
(Foto: dpa)
Russlands Machthaber Putin ist in einer für ihn existenzgefährdenden Situation, sagt Janis Kluge von der Stiftung Wissenschaft und Politik. Die könne er aber auch nutzen, indem er versucht, China in den Krieg hineinzuziehen. "China ist in diesem Krieg letztlich stärker darauf bedacht, eine russische Niederlage zu verhindern, als sich als Friedensengel nach westlichem Geschmack zu profilieren", sagt der Russland-Experte.
ntv.de: Beim gemeinsamen Auftritt am Montag, als beide an einem kleinen Tisch im Kreml saßen, schien Xi leicht mitleidig auf Putin herabzusehen, und Putin vermied beim Sprechen häufig den Augenkontakt. Als dann Xi an der Reihe war, nickte Putin immer wieder zustimmend. Ist es überinterpretiert, wenn man daraus Rückschlüsse auf das Verhältnis der beiden zieht?
Janis Kluge: Ich weiß nicht, ob man aus solchen Auftritten unmittelbar Rückschlüsse ziehen kann, aber es ist klar, dass das Verhältnis zwischen Russland und China sich im Zuge des russischen Kriegs gegen die Ukraine deutlich verschoben hat. Russland ist heute viel stärker abhängig von China, und entsprechend hat sich auch das Verhältnis zwischen Xi und Putin verändert. Putin muss Xi jetzt noch stärker zeigen, dass er loyal ist - dass er versteht, wie wertvoll Chinas Unterstützung für Russland und für ihn persönlich ist. China ist das einzige große Industrieland, das noch bereit ist, uneingeschränkt mit Russland zu kooperieren. Für die russische Wirtschaft, vor allem aber für Putin, ist das überlebenswichtig.

Janis Kluge ist Experte für Russland und die russisch-chinesischen Beziehungen bei der Berliner Stiftung Wissenschaft und Politik (SWP).
(Foto: Stiftung Wissenschaft und Politik)
Offiziell tun beide so, als sei es ein Treffen auf Augenhöhe: Xi sprach vom Konzept der "ewigen Freundschaft und einer gegenseitig vorteilhaften Zusammenarbeit".
Schon seit einigen Jahren versuchen beide Seiten, dieses Bild einer tiefen Freundschaft auf Augenhöhe zu transportieren. Aber schon vor dem Krieg war klar, dass das eine ausgesprochen asymmetrische Beziehung ist. Ich denke, dass die chinesische Seite sehr gut versteht, wie sie mit gewissen Ängsten in Moskau vor einer zu großen Abhängigkeit von China umzugehen hat. Die chinesische Führung achtet sehr darauf, nicht den Eindruck entstehen zu lassen, dass sie sich für überlegen hält - was China aber zweifellos tut, denn es ist völlig klar, dass es im Verhältnis dieser Länder ein Machtgefälle gibt: Aus der Asymmetrie ist eine klare Abhängigkeit Russlands und Putins von China geworden.
Sie haben geschrieben, Putin habe die besondere Fähigkeit, dafür zu sorgen, Partner in Geiselhaft zu nehmen, damit die fürchten müssen, ebenfalls unterzugehen, wenn er untergeht. Das versuche er nun auch mit Xi Jinping.
Putin ist in einer für ihn existenzgefährdenden Situation. Die kann er aber auch nutzen, indem er versucht, China zu bewegen, seine offiziell neutrale Position zumindest in Teilen aufzugeben - wobei China natürlich schon jetzt nicht wirklich neutral ist. Auch der chinesische Friedensplan, der sogenannte Zwölf-Punkte-Plan, ist kein Ausweis von Neutralität. Trotzdem hat China bisher gewisse Grenzen nicht überschritten, jedenfalls nicht in großem Umfang. Es hat beispielsweise keine Waffen an Russland geliefert. Um das zu ändern, kann Putin einsetzen, was auch für China nicht akzeptabel wäre: die Gefahr seines Scheiterns. Insofern besteht das Risiko, dass Putin es schafft, China in den Krieg hineinzuziehen.
Worin besteht aus chinesischer Sicht die Gefahr, wenn Putin scheitert?
Xi Jinping hat viel in das Verhältnis zu Putin investiert. Beide Länder kooperieren seit Jahren eng: im UN-Sicherheitsrat, bei Militärmanövern, natürlich auch wirtschaftlich. Xi hat Putin vor ein paar Jahren als "besten Freund" bezeichnet. Würde der beste Freund gestürzt, wäre das ein Problem für Xi und seine Glaubwürdigkeit. Die Überlegenheit und Überlebensfähigkeit der autokratischen Systeme wäre infrage gestellt. Diese Verunsicherung könnte auch nach China ausstrahlen. Außerdem wäre es aus chinesischer Sicht ein Sieg des Westens, und damit ein Rückschlag für Chinas Bestreben, den Einfluss des Westens in der Welt zurückzudrängen. Es wäre auch nicht klar, welche Linie Russland nach Putin gegenüber Peking verfolgt, was angesichts einer über 4000 Kilometer langen gemeinsamen Grenze die Sicherheitslage für China verändern könnte.
Sie haben den chinesischen Friedensplan angesprochen. Zumindest vereinzelt scheinen Politiker im Westen Hoffnung auf diesen Plan zu setzen.
Zu Beginn des Krieges haben sich viele im Westen ein stärkeres Engagement von China gewünscht, China hat sich aber sehr zurückgehalten. Erst seit einigen Wochen sehen wir verstärkt, dass China versucht, die Rolle eines Vermittlers zu übernehmen. Das hat sicherlich verschiedene Gründe, unter anderem den, dass China sich den Europäern gegenüber als konstruktiver Akteur profilieren möchte. Es hat natürlich auch damit zu tun, dass China versteht, dass dieser Krieg nicht nur Vorteile bringt - etwa die größere Abhängigkeit Russlands -, sondern auch große Risiken. Zu den Risiken gehört, dass China in eine Situation kommen könnte, in der es sich zwischen Putins Sturz und Waffenlieferungen entscheiden muss. Deshalb wäre ein Waffenstillstand für China sehr attraktiv.
Kann Xi nicht beides versuchen: Putins Scheitern zu verhindern und einen Waffenstillstand zu vermitteln?
Das Problem ist, dass wir spätestens seit September eine Situation haben, in der ein stabiler Waffenstillstand in weite Ferne gerückt ist. Im September hat Russland ukrainische Territorien annektiert, die es nicht einmal vollständig militärisch kontrolliert. Dadurch hat Putin sich selbst die Hände gebunden. Ein Waffenstillstand, gar ein Ende des Krieges, bei dem diese Territorien nicht komplett unter russischer Kontrolle sind, wäre in Moskau wohl nur schwer vermittelbar. Selbst wenn die Chinesen viel Druck auf Putin ausüben würden, wäre es für ihn kaum möglich, diesen Schritt zu gehen. Deshalb glaube ich nicht, dass die Chinesen über die Mittel verfügen, den Krieg zu beenden. Aus meiner Sicht kann das aktuell leider niemand.
Dann wird es für China am Ende doch darauf hinauslaufen, Russland mit Waffen unterstützen zu müssen, um wenigstens das eine Ziel zu erreichen, nämlich Putin zu retten?
In den letzten Wochen gab es immer wieder Meldungen über kleinere Lieferungen aus China von Waffen oder von Komponenten, die in Waffen verbaut werden. Ich glaube, das ist eine Art Testballon der chinesischen Seite, um zu schauen, wie der Westen reagiert, wo die rote Linie ist. Im Zweifel wird China eine stärkere Verschlechterung des Verhältnisses zum Westen in Kauf nehmen und Russland stärker unterstützen. Das heißt nicht, dass es sofort massenhaft Waffen exportiert. Aber China ist in diesem Krieg letztlich stärker darauf bedacht, eine russische Niederlage zu verhindern, als sich als Friedensengel nach westlichem Geschmack zu profilieren.
Kann man also sagen, dass das Signal, das von Xis Besuch in Moskau ausgeht, für den Westen ziemlich gefährlich ist?
Es ist besorgniserregend. Durch Xis erneutes Bekenntnis zu Putin wird es für ihn noch schwieriger, Putin fallen zu lassen. Stellen wir uns vor, es kommt zu einer Situation, in der die russische Armee in der Ukraine Rückschläge einstecken muss und weiter zurückgedrängt wird. In der Folge gerät auch Putin unter Druck. Xi steht dann vor der Wahl, einen guten Freund zu retten oder sich doch mit einem anderen russischen Präsidenten zu arrangieren, wobei ein Machtwechsel auch Instabilität in Moskau bedeuten könnte. Vielleicht entscheidet er sich dann trotzdem gegen Putin. Aber mit diesem Zelebrieren einer persönlichen Freundschaft bindet er Putins Schicksal stark an eine eigene Reputation.
Sie beschäftigen sich auch intensiv mit den Folgen der Sanktionen des Westens gegen Russland. Wirken die Sanktionen oder wirken sie nicht?
Die Wirkung der Sanktionen hat verschiedene Aspekte. Mit Blick auf Russland ist klar, dass es um eine längerfristige Wirkung geht: Dem russischen Staatshaushalt soll es erschwert werden, diesen Krieg zu finanzieren. Da geht es allerdings um einen Zeitraum von mehreren Jahren. Zugleich waren die Sanktionen für den Westen wichtig, um die eigene Glaubwürdigkeit aufrechtzuerhalten. Dafür ist zunächst nicht so wichtig, ob sie den Krieg unmittelbar stoppen können oder nicht. Anders gesagt: Die Sanktionen sind auch eine Botschaft an China, dass der Westen gegebenenfalls bereit ist zu sanktionieren, auch wenn es ihm selbst wehtut.
Wir fokussieren uns oft auf die Frage, ob die Sanktionen in der Lage sind, den Krieg schnell zu stoppen. Das sind sie nicht. Aber sie können Russland dazu zwingen, den Angriff zu verkleinern, also beispielsweise nicht mit 500.000 Mann anzugreifen, sondern mit 50.000 oder 100.000. Auch das rettet Leben, auch das ist bereits ein großer Erfolg. Ob Putin den Krieg fortsetzt oder beendet, hängt von anderen Dingen ab. Aber die Art und Weise, wie der Krieg geführt wird und wie viele Opfer er mit sich bringt, da können die Sanktionen schon einen positiven Einfluss haben.
Mit Janis Kluge sprach Hubertus Volmer
Quelle: ntv.de