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Dem Land fehlen 30.000 Mediziner Russland rekrutiert Ärzte in Afrika - ohne Überprüfung

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Der Krieg gegen die Ukraine ist einer der Gründe für den russischen Mediziner-Mangel.

Der Krieg gegen die Ukraine ist einer der Gründe für den russischen Mediziner-Mangel.

(Foto: imago images/ITAR-TASS)

Weil es in Russland an Medizinern mangelt, rekrutiert der Kreml Ärzte in Afrika - ohne deren Qualifikationen angemessen zu überprüfen. Sogar in Russland selbst trauen sich die Menschen mittlerweile, das offen zu kritisieren.

Russland gehen die Ärzte aus. Anfang April teilte der Parlamentsvorsitzende Wjatscheslaw Wolodin mit, dass dem Land insgesamt 30.000 Medizinerinnen und Mediziner fehlen. Diese Zahl ist demnach innerhalb von nur einem halben Jahr um mehr als zehn Prozent gestiegen. Eine dramatische Entwicklung, die das gesamte Land betrifft.

Erschwerend kommt hinzu, dass die Zahl der ärztlichen Fachkräfte im Verlauf dieses Jahres weiter sinken wird. Davon geht jedenfalls der britische Geheimdienst aus und nennt dafür zwei Gründe: Manche Ärzte arbeiten mittlerweile lieber in der Privatwirtschaft, weil sie dort mehr Geld verdienen können. Andere haben das Land wegen des Ukraine-Krieges verlassen.

Das Problem ist offenbar so eklatant, dass selbst Präsident Wladimir Putin es nicht verschweigen kann. Patienten würden zu Recht über schlechte Bedingungen, Warteschlangen bei Fachärzten und deren Mangel klagen, gab der Kremlchef zuletzt zu. Das medizinische Personal wiederum sei mit der Höhe der Löhne und der hohen Arbeitsbelastung unzufrieden.

Zwei Prozent des gesamten medizinischen Fachpersonals in Russland habe das Land verlassen, um den Mobilisierungen für den Krieg in der Ukraine zu entgehen, meldet das Center for European Policy Analysis (CEPA). Seit Russland im September 2022 eine große Mobilisierung gestartet hat, um die horrenden Verluste in der Ukraine an der Front auszugleichen, ist die Zahl der Ärztinnen und Ärzte laut des britischen Geheimdienstes um 7500 zurückgegangen. Besonders dramatisch sei die Lage in den Bezirkskrankenhäusern. Hier fehlen mittlerweile 50 Prozent des Fachpersonals.

Rekrutierungen in Afrika

Um diese Lücken zu stopfen, hat Russland begonnen, Ärzte im Ausland zu rekrutieren - und die Anforderungen an neue Mediziner offenbar drastisch gelockert. Laut des CEPA-Berichts rekrutiert der Kreml Ärzte aus afrikanischen Ländern, ohne deren Eignung sorgfältig zu überprüfen. Die neuen Mitarbeiter müssen demnach keine Qualifikationsnachweise vorlegen, stattdessen braucht es nur eine Selbsteinschätzung darüber, dass ihre Ausbildung den russischen Standards entspricht.

Wie viele afrikanische Ärzte mittlerweile in Russland eingesetzt werden, geht aus den Berichten allerdings nicht hervor.

Die Anwerbungsmaßnahmen fokussieren sich laut des Berichts auf Länder, in denen sowjetische Spezialisten früher in Gesundheitskrisen geholfen haben. Das staatliche Fernsehen berichtet fröhlich über Erfolgsgeschichten - etwa über einen sudanesischen Doktor in der Nähe von Moskau oder über einen afrikanischen Arzt mit Schwerpunkt Neurochirurgie, der schon sein Studium in Russland absolviert hatte, das "wunderschöne Land liebt" und sich in seiner "Heimat Russland großartig fühlt".

Kritik - sogar in Russland

Bemerkenswert aber ist, dass sich in dieser Frage inzwischen in Russland selbst die kritischen Stimmen mehren. Allerdings nicht, weil die Befürchtung besteht, die ausländischen Ärzte könnten unqualifiziert sein. Stattdessen fragt ein russischer Mediziner etwa, ob ein afrikanischer Arzt "die Feinheiten der Psychologie einer russischen Oma" verstehen könne. Und der Vorsitzende einer Patientenorganisation gibt zu bedenken: Können Ärzte aus anderen Kulturkreisen ihre russischen Patienten "verstehen und die Nuancen der Sprache und der Mentalität erfassen"?

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Dass die Russen bei der Rekrutierung von medizinischen Fachkräften aber grundsätzlich neue Wege gehen, ist allerdings wenig verwunderlich angesichts der Ärztenot. Der britische Geheimdienst spricht aus, was viele denken: Die russische Gesundheitsversorgung steht wegen der unzureichenden Qualifikationsprüfungen vor einem Qualitätsverlust.

Doch das Land braucht dringend Personal, das zeigen Statistiken wie diese sehr deutlich: Im Jahr 2023 ist die Zahl körperlich behinderter russischer Männer zwischen 31 und 59 Jahren um eine halbe Million gestiegen. Das entspricht einem Anstieg von 30 Prozent, nie waren es innerhalb eines Jahres mehr. Ursache für die dramatische Entwicklung ist der Krieg in der Ukraine, meldet der britische Geheimdienst.

Die verwundeten Männer seien nicht nur "Zeugen dessen, was an der realen Front passiert", sondern belasten die Ressourcen des russischen Gesundheitssektors auf Dauer.

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Quelle: ntv.de

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