Politik

Wachsender Druck auf Olaf Scholz Selenskyj ruft Berlin zu Kurswechsel bei Swift-Blockade auf

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Scholz und Baerbock wollten keine Swift-Blockade - noch nicht.

(Foto: picture alliance/dpa/Reuters/Pool)

Bis auf Deutschland zeigen sich offenbar alle EU-Staaten bereit, Russland vom Zahlungssystem Swift auszuschließen. Der ukrainische Präsident appelliert an die Ampelregierung, diese Position zu überdenken. Auf Deutschland kämen allerdings ernsthafte Rohstoff-Probleme zu.

Der ukrainische Präsident Wolodymyr Selenskyj hat Deutschland und Ungarn angesichts der russischen Invasion in sein Land aufgefordert, den Ausschluss Moskaus aus dem internationalen Zahlungssystem Swift zu unterstützen. "Es gibt bereits fast die volle Unterstützung der EU-Länder, Russland von Swift abzukoppeln", sagte Selenskyj in einer am Samstagvormittag veröffentlichten Videobotschaft. "Ich hoffe, dass Deutschland und Ungarn den Mut haben werden, diese Entscheidung zu unterstützen." Nach Angaben des polnischen Premierministers hat Ungarns Regierungschef Viktor Orban inzwischen zugesagt, einen Swift-Rauswurf Russlands nicht zu blockieren.

Der ukrainische Staatschef Selenskyj hatte am Morgen mit Frankreichs Präsidenten Emmanuel Macron telefoniert. Dieser dürfte Selenskyi bestätigt haben, dass die meisten Europäer bereit seien, diesen Schritt zu gehen. Die EU hatte angesichts des russischen Einmarschs zwar weitreichende Sanktionen gegen das Land verhängt, in der Swift-Frage herrscht jedoch Uneinigkeit. Selenskyj hatte wiederholt Frankreich und andere EU-Staaten als wahre Freunde der Ukraine gelobt, Deutschland aber nicht erwähnt.

Luxemburgs Außenminister Jean Asselborn verteidigte am Freitag die Entscheidung, auf diese Strafmaßnahme vorerst zu verzichten. "Wir können neben dieser Krise, die wir jetzt haben, nicht noch eine Welthandelskrise provozieren", sagte er. Am Freitag soll neben Deutschland auch noch Italien, das traditionelle enge Wirtschaftsbeziehungen zu Russland pflegt, gegen eine Swift-Sanktionierung gewesen sein. Der sozialdemokratische Parteichef Enrico Letta schrieb jedoch am Samstag auf Twitter, dass Ministerpräsident Mario Draghi eine entsprechende Maßnahme nun doch unterstütze. Draghi selbst bestätigte dies nicht, sondern ließ mitteilen, dass Italien die Linie der EU bei den Sanktionen gegen Russland voll unterstütze, "einschließlich jene, die Swift betreffen".

Falsches Instrument oder Rohstoff-Sorgen?

Außenministerin Annalena Baerbock wandte sich gegen einen Swift-Ausschluss Russlands zum aktuellen Zeitpunkt. Anders als die Sanktionierung einzelner Banken würde die Entkopplung Russlands vom Swift-System eine "Breitenwirkung" entfalten und die Bevölkerung treffen. Ziel sei es aber, jene zu treffen, die für das "Blutvergießen" verantwortlich seien.

Zudem räumte Baerbock ein, dass Deutschland neben Gas und Öl auch 50 Prozent seiner Kohle aus Russland beziehe. Während die Bundesregierung Reserven und alternative Lieferanten für Gas und Öl hat, gibt es zur russischen Steinkohle keine Alternativen. Im ersten Halbjahr vergangenen Jahres lag der Anteil von Kohle an der Stromerzeugung in Deutschland bei 27 Prozent. Öffentlich wurde vielfach der Verdacht geäußert, dass die Bundesregierung vor allem von den Sorgen um die wirtschaftlichen Folgen für Deutschland getrieben ist, mehr jedenfalls als von der von Baerbock ebenfalls geäußerten Sorge, dass eine in Europa lebende Enkelin ihrer armen Großmutter kein Geld mehr in die russische Heimat schicken könne.

Druck aus den eigenen Reihen

Tatsächlich schließt die Bundesregierung einen Ausschluss aus dem Swift-System auch nicht aus. Nach Angaben von Bundesfinanzminister Christian Lindner prüft die EU-Kommission im Auftrag der Mitgliedstaaten die Folgen eines Swift-Ausschlusses von Russland. Neben den Rohstoffimporten, von denen sich Deutschland abhängig gemacht hat, könnten auch milliardenschwere Kredite deutscher Banken eine Rolle spielen: Die könnten dann von russischen Schuldnern ebenfalls nicht bedient werden. Für einen Swift-Ausschluss Russlands sprechen sich unter anderem Österreich und Frankreich aus. Auch Großbritanniens Premierminister Boris Johnson forderte von der EU, dieses Instrument einzusetzen.

Dass die Ampel in der Frage kippen könnte, darauf deuten auch prominente Stimmen aus den Koalitionsparteien hin: Unter anderem die Grünen-Landesminister Jan Philipp Albrecht aus Schleswig-Holstein und Ursula Nonnemacher aus Brandenburg haben die deutsche Zurückhaltung entschieden kritisiert. Mit Norbert Röttgen spricht sich auch eine prominente Stimme aus der Union für diesen Schritt aus.

Debatte am Sonntag

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Aus der SPD wirbt unter anderem die Juso-Vorsitzende Jessica Rosenthal für eine Swift-Blockade. "Wir dürfen nun nicht davor zurückschrecken, alle Sanktionsmittel zu verhängen, die uns zur Verfügung stehen. Dazu gehört auch der Ausschluss Russlands aus Swift", sagte die Chefin des SPD-Jugendverbandes der Nachrichtenagentur dpa. "Damit können wir der russischen Regierung richtig wehtun. Wir sollten hier der Forderung unserer osteuropäischen Partnerländer nachkommen."

Bundeskanzler Olaf Scholz dürfte diese Forderung auch zu hören bekommen, wenn er am frühen Nachmittag mit den Regierungschefs der baltischen Staaten und Polens zusammenkommt. Am Sonntag wird sich Scholz in einer Sondersitzung des Bundestages zur Lage in der Ukraine äußern. In der anschließenden Aussprache dürfte die Swift-Frage ebenfalls debattiert werden - sofern die Bundesregierung nicht schon vorher ihre Position ändert.

Quelle: ntv.de, mit dpa und AFP

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