Schweigegeld ist nur der Anfang Trump könnte im Gefängnis sitzen und regieren
04.04.2023, 15:48 Uhr Artikel anhören
Trump-Gegner bei einer Demonstration in New York am 6. Januar 2023, exakt zwei Jahre nach dem Sturm aufs Kapitol.
(Foto: picture alliance/dpa/ZUMA Press Wire)
Der 4. April 2023 geht in die US-Geschichte ein: Zum ersten Mal überhaupt klagt eine Staatsanwaltschaft einen Ex-Präsidenten der Vereinigten Staaten an. Und die Schweigegeld-Affäre könnte nicht die einzige Anklage gegen Donald Trump bleiben. Die möglichen Konsequenzen sind aber sehr unterschiedlich.
Fingerabdrücke, Mugshot, vielleicht sogar Handschellen: Wenn heute Abend deutscher Zeit die Anklageschrift gegen Donald Trump verlesen wird, sind die Vereinigten Staaten um einen historischen Moment reicher. Erstmals in der US-Geschichte muss sich ein ehemaliger Präsident in einem Strafverfahren vor Gericht verantworten. Die Details der Anklageschrift der New Yorker Staatsanwaltschaft sind noch nicht bekannt, in jedem Fall stehen aber die Schweigegeldzahlungen an die ehemalige Pornodarstellerin Stormy Daniels im Mittelpunkt.
2006 sollen sich Trump und Stephanie Clifford, so ihr bürgerlicher Name, bei einem Golfturnier kennengelernt, miteinander geschlafen und danach monatelang Kontakt gehabt haben. Trump spricht von "falschen und erpresserischen Anschuldigungen". Das "Hush Money", wie das Schweigegeld in den USA bezeichnet wird, bestreitet Trump gar nicht. Er gibt zu, es gezahlt zu haben. Aber nur, um Ruhe vor Daniels zu haben. Der 45. US-Präsident sagt, er habe überhaupt keinen Sex mit Daniels gehabt.
Das Geld an Stormy Daniels floss 2016 kurz vor der Präsidentschaftswahl, die Trump gewann. Sein Anwalt Michael Cohen hatte die Überweisung getätigt und das Geld später von der Trump Organization erstattet bekommen. Im Jahr 2018, als Trump schon längst im Weißen Haus war, beschuldigte die New Yorker Staatsanwaltschaft Cohen, die Zahlungen seien unzulässige Wahlkampfspenden gewesen, weil sie so kurz vor der Wahl Schaden von Trump abwenden sollten. Cohen bekannte sich im Prozess schuldig und wurde zu einer Gefängnisstrafe verurteilt.
Schweigegeld - Verurteilung sehr unsicher
Als Präsident war Trump vor Strafverfolgung geschützt, er genoss Immunität. Jetzt geht es Bezirksstaatsanwalt Alvin Bragg offenbar um die Frage, ob nicht nur Anwalt Cohen, sondern auch der Ex-Präsident selbst gegen Gesetze zur Wahlkampffinanzierung verstoßen hat. "Trump könnte durchaus zu einer Bewährungs-, Geld- oder sogar zu einer Gefängnisstrafe verurteilt werden. Es wird aber viel Zeit vergehen. Bei einem Prozess am gleichen Gericht gegen die Trump Organization vergingen ungefähr 15 Monate von der Anklageerhebung bis zum Beginn des Verfahrens. Wir werden Trump vermutlich frühestens in der ersten Jahreshälfte 2024 im Gerichtssaal sehen", erwartet Roland Peters, der für ntv.de aus Nord- und Südamerika berichtet.
Schon jetzt ist klar, dass der historische Prozess politisch extrem aufgeladen sein wird, weil Trump Anfang 2025 zum zweiten Mal ins Weiße Haus einziehen will. "Im ersten Halbjahr nächsten Jahres finden die Vorwahlen statt. Trump wird versuchen, alles das, was gegen ihn vorgebracht wird, politisch für seine eigenen Zwecke zu nutzen. Die Flucht nach vorne ist die einzige Möglichkeit, die er hat", analysiert Peters im ntv-Podcast "Wieder was gelernt".
Dass Trump verurteilt wird, ist aber alles andere als sicher. Manche Juristen halten es sogar für unwahrscheinlich und sehen in diesem Fall den rechtlich schwächsten. Manche Trump-Kritiker seien regelrecht bestürzt darüber, dass ausgerechnet dieser Fall den Auftakt einer möglichen Anklagewelle gegen den früheren Präsidenten bildet, fasst das US-Magazin "The Atlantic" zusammen.
Sollte Trump in diesem konkreten Fall verurteilt werden, könnte er sogar trotzdem noch einmal zum US-Präsidenten gewählt werden. Das amerikanische Recht sieht vor, dass der Präsident theoretisch auch aus dem Gefängnis heraus regieren dürfte.
Juristisch verhindern, dass Trump ins Oval Office zurückkehrt, könnten auch andere pikante Fälle nicht. "Ihm droht noch eine Anklage wegen Verleumdung von einer Frau, die er in den 90er Jahren vergewaltigt haben soll. Trump hat sie beschimpft und als Lügnerin bezeichnet. Und dann läuft noch ein Betrugsprozess gegen die Trump Organization, an deren Ende eine 250-Millionen-Dollar-Strafe stehen könnte", berichtet Peters im Podcast.
Wahlbeeinflussung - Beweislast erdrückend, Präsidentschaft möglich
Politisch sind diese beiden Fälle aber eher nachrangig zu betrachten, spannender ist der Blick nach Georgia, denn auch dort droht dem Milliardär juristisches Ungemach. Bezirksstaatsanwältin Fani Willis ermittelt gegen den Versuch des ehemaligen Präsidenten, das Ergebnis der Präsidentschaftswahl 2020 in dem Bundesstaat zu beeinflussen. Trump hatte damals den republikanischen Wahlleiter Brad Raffensperger angerufen und ihn dazu aufgefordert, im Wahlbezirk Fulton County "11.780 Stimmen zu finden". Die hätte der frühere Präsident gebraucht, um Joe Biden in Georgia noch zu überholen. "Dieses Telefonat könnte die berühmte 'smoking gun' sein, mit der Trump überführt wird", macht Peters deutlich.
Von der Staatsanwaltschaft in Georgia hieß es zuletzt, eine Anklage sei jederzeit möglich. Trumps Anwälte dagegen sagen, die Ermittlungen seien nicht richtig durchgeführt worden. Die Ermittlungsergebnisse dürften bei einer Anklage nicht gegen ihn verwendet werden. Folgt das Gericht dieser Argumentation, müsste der komplette Fall neu aufgerollt werden. Lässt es die Anklage zu, könnte Trump schon bald die nächste Anklageschrift ins Haus flattern - und damit verbunden enorme politische Sprengkraft: Ein Präsident, der einen Wahlleiter telefonisch auffordert, die Abstimmungsergebnisse zu manipulieren, lässt sich getrost als Angriff auf die Demokratie bezeichnen.
Aber auch im Georgia-Fall gilt: Selbst wenn Trump verurteilt wird, dürfte er zumindest theoretisch ein zweites Mal Präsident werden, weil es sich, genau wie bei der Schweigegeld-Affäre, um einen Fall auf Bundesstaatsebene handelt.
Geheimdokumente - Große Gefahr für Trump, aber Zeitdruck
Das ist bei zwei anderen möglichen Anklagen anders. Zum einen wird Trump vorgeworfen, streng geheime Dokumente aus dem Weißen Haus mitgenommen zu haben, als er aus dem Amt ausschied.
Bei einer FBI-Durchsuchung seines Anwesens in Mar-a-Lago wurden 700 Seiten Material gefunden, darunter hochsensible Papiere aus seiner Amtszeit mit höchster Geheimhaltungsstufe. Trumps Anwälte sagen, er habe alle relevanten Aufzeichnungen längst zurückgegeben.
"Dieser Fall kann extrem gefährlich für ihn werden, weil es einer der beiden Fälle ist, die dazu führen können, dass er kein Präsident werden darf, wenn er angeklagt und verurteilt werden sollte. Es geht bei den Ermittlungen des Justizministeriums aber auch um den allgemeinen Umgang Trumps mit solchen Dokumenten während seiner Präsidentschaft", berichtet Peters.
Es gibt Berichte, dass Trump in seiner Zeit als Präsident Dokumente regelmäßig zerrissen und die Toilette heruntergespült hat oder zumindest herunterspülen wollte. In manchen Fälle sollen Mitarbeiter im Weißen Haus solche Schnipsel noch in der Schüssel gefunden, herausgefischt und zusammengeklebt haben, um Trump gewissermaßen vor sich selbst zu schützen. Der Präsident und seine Mitarbeiter sind eigentlich dazu verpflichtet, solche Dokumente aufzubewahren, weil das im nationalen Sicherheitsinteresse ist.
Juristen sehen in diesem Fall die größte Gefahr einer Verurteilung für Trump. Sollte sich der zuständige Sonderermittler des Justizministeriums, Jack Smith, für eine Anklage entscheiden, seien die Fakten "so eindeutig wie in keiner anderen Angelegenheit", analysiert "The Atlantic".
Allerdings ist der Zeitdruck groß. Sollte Trump oder ein anderer republikanischer Politiker am 20. Januar 2025 ins Präsidentenamt eingeführt werden, wird er das Justizministerium höchstwahrscheinlich dazu bringen, das Verfahren einzustellen.
Sturm aufs Kapitol - Schwerwiegendster Vorwurf, juristisch heikel
Ähnlich ist die Ausgangslage in einem weiteren Fall, den Sonderermittler Smith im Auftrag des Justizministeriums beaufsichtigt. Es geht um Trumps Rolle beim Sturm auf das Kapitol am 6. Januar 2021, als Vizepräsident Mike Pence im Kongress die Stimmen der Wahlleute auszählte und damit die Niederlage von Trump gegen Joe Biden endgültig feststand. Trump hielt in der Nähe des Kapitols eine Rede und forderte seine Anhänger auf, zum Kapitol zu marschieren. Fünf Menschen, darunter vier Demonstranten und ein Polizist, kamen im Zuge des gewaltsamen Angriffs ums Leben.
Der Untersuchungsausschuss des Repräsentantenhauses hat die unverbindliche Empfehlung abgegeben, Trump aus folgenden Gründen anzuklagen: Behinderung eines amtlichen Verfahrens, Verschwörung zum Betrug an den Vereinigten Staaten, Verschwörung zur Abgabe einer falschen Erklärung, Anstiftung oder Unterstützung eines Aufstandes. Trump soll, kurz gesagt, seine wütenden Anhänger dazu animiert haben, das Kapitol zu stürmen, um die Stimmenauszählung im Kongress zu behindern.
Dennoch wäre es im Fall einer Anklage juristisch kein leichtes Unterfangen für Sonderermittler Smith, Trump tatsächlich schuldig zu sprechen, erwartet "The Atlantic". Der Vorwurf "Insurrection", Aufruhr, ist die schwerwiegendste Anschuldigung gegen den Ex-Präsidenten. Ob Smith dem folgt, ist aber alles andere als sicher. Und Zeitdruck hat der Sonderermittler auch hier. Klar ist nur so viel: Sollte Trump im Kapitol-Fall verurteilt werden, darf er kein öffentliches Amt mehr ausüben, eine zweite Amtszeit als Präsident wäre unmöglich.
Dieser Text ist eigentlich ein Podcast: Welche Region schickt nur Verlierer in den Bundestag? Warum stirbt Ostdeutschland aus? Wieso geht dem Iran das Wasser aus? Welche Ansprüche haben Donald Trump und die USA auf Grönland?
"Wieder was gelernt" ist ein Podcast für Neugierige. Hören Sie rein und werden Sie dreimal die Woche ein wenig schlauer.
Alle Folgen finden Sie in der ntv-App, bei RTL+, Amazon Music, Apple Podcasts und Spotify. Für alle anderen Podcast-Apps können Sie den RSS-Feed verwenden.
Sie haben eine Frage? Schreiben Sie uns gerne eine E-Mail an podcasts@ntv.de
Quelle: ntv.de