USA-Experte Werz im Interview "USA nehmen Scholz nicht übel, deutsche Interessen zu vertreten"
26.01.2023, 20:33 Uhr
Scholz beteuert, das Verhältnis zu den USA und Präsident Biden sei bestens. Biden lobte Deutschland für sein Ukraine-Engagement. Und auch Washington-Kenner Michael Werz sieht keine Belastungen.
(Foto: REUTERS)
Dass Bundeskanzler Scholz aushandelte, dass auch die Amerikaner der Ukraine Panzer liefern, erkennen manche als Erfolg an. Andere befürchten, die Entscheidung belaste das Verhältnis zu den USA. Der deutsch-amerikanische Wissenschaftler Michael Werz vom Thinktank Center for American Progress in Washington sieht das nicht. Im Gegenteil - ihm zufolge ist das deutsch-amerikanische Verhältnis so stark wie nie zuvor.
ntv.de: Bundeskanzler Scholz hat vor knapp einem Jahr die Zeitenwende ausgerufen. Was ist daran Zeitenwende, wenn Deutschland weiterhin nichts ohne die Amerikaner machen will, wie jetzt bei den Panzer-Lieferungen?
Michael Werz: Der Begriff beschreibt ja eher etwas, das bereits geschehen ist. Es wird anerkannt, dass sich 30 Jahre nach dem Ende des Kalten Krieges Grundsätzliches verändert hat. Sowohl im Verhältnis Europas zu Russland, im Verhältnis der USA zu China und, wie das globale Gefüge funktioniert.

Dr. Michael Werz forscht seit 2009 am Center for American Progress in Washington, einem liberalen Thinktank. Er hat die deutsche und die amerikanische Staatsbürgerschaft.
In Deutschland heißt es aber oft, dass Europa unabhängiger von den Amerikanern werden und selbstbewusster auftreten soll. Stattdessen ist es jetzt wieder wie im Kalten Krieg. Ohne Washington geht nichts.
Hier in den USA sprechen zwar auch einige über einen neuen Kalten Krieg, aber das ist der falsche Begriff. Natürlich hat die Zeitenwende dazu geführt, dass man in Deutschland nun darüber diskutiert, was in der eigenen Verantwortung liegt, und in welchen Fällen Deutschland auch militärisch handeln sollte. Diese Diskussion findet ja statt und wird durch das Sondervermögen für die Bundeswehr auch finanziell untermauert. Auch die Opposition unterstützt das, zumindest in den groben Zügen. Aus meiner Perspektive von Washington aus wirkt es aber so, dass die Diskussion um die Panzer-Lieferungen oft recht ideologisch, zum Teil uninformiert und mit zu großer Ungeduld geführt wurde.
Wie meinen Sie das?
Es ist eine politische Situation, in der es um schwerwiegende und weitreichende Entscheidungen geht. Dass man da dem Kanzler nicht zugesteht, die notwendigen Gespräche mit den Verbündeten hier in Washington sowie in Europa zu führen und sich auch eine gewisse Nachdenklichkeit zu erlauben, das verwundert schon. Hier vor Ort wurde in informierten Kreisen sehr viel ausgewogener über die Risiken diskutiert, nun der Ukraine qualitativ neues Kriegsgerät zu liefern.
Sie meinen, die Diskussion war zu sehr auf die Frage "Panzer, ja oder nein?" und nicht auf die möglichen Risiken fokussiert?
Aus meiner Perspektive war vor allem der Ton unangemessen. Etwa wenn gesagt wurde, der Kanzler werde nur von russlandfreundlichen SPD-Teilen getrieben, er habe versagt und unmoralisch gehandelt oder auch Deutschland im Westen isoliert. Hier in den USA wurde die Debatte nicht mit so einer hohen Aufregungstemperatur geführt. Ich hatte gestern noch Gespräche im State Department und im Weißen Haus. Es wird dem deutschen Kanzler keineswegs übelgenommen, dass er deutsche und europäische Interessen mitdenkt. Im Gegenteil, das wird von ihm erwartet.
Olaf Scholz soll es zur Bedingung gemacht haben, dass auch die USA Abrams-Panzer liefern. Kann man das als einen Sieg, als einen Erfolg gegenüber Biden interpretieren?
Nun, ich denke das gute Ergebnis der Lieferung von mehr Panzern als ursprünglich erwartet und die Beteiligung aller wichtigen Verbündeten spricht für sich. Und man kann auch davon ausgehen - für uns hier in den USA eher schmerzhaft - dass das Bundeskanzleramt auch einkalkuliert hat, dass der Krieg in der Ukraine unter Umständen über die nächste amerikanische Präsidentschaftswahl im November 2024 hinaus andauert. Niemand kann sagen, wie diese Wahl ausgehen wird. In Deutschland, aber auch in Frankreich und anderen europäischen Ländern ist sicher noch präsent, als Präsident Trump im Mai 2017 recht nonchalant die gegenseitige Beistandsverpflichtung in der NATO infrage gestellt hat. Und man hat in Europa sicherlich auch nicht vergessen, dass seine Administration 2019 die Kurden in Nordsyrien allein gelassen hat. Darum ist es nicht nur legitim, sondern aus europäischer Perspektive auch verständlich, das man sich vergewissert, mit welchem Einsatz und für welche Dauer die Vereinigten Staaten die Allianz gegen Russland tragen. Im Repräsentantenhaus gibt es ja bereits Stimmen vom rechten Flügel der Republikanischen Partei, die die Hilfe für die Ukraine infrage stellen.
Aber auch bei den Republikanern ist die Mehrheit für die Unterstützung der Ukraine.
Das ist richtig. Aber wir haben gerade im Repräsentantenhaus gesehen, wie Kevin McCarthy 15 Wahlgänge brauchte, um von seiner eigenen Fraktion zum Sprecher gewählt zu werden. Dafür musste er dem stimmentscheidenden rechten Flügel erstaunliche politische Zugeständnisse machen und wichtige Fraktions- und Ausschussposten übertragen. Dieser Teil der Fraktion sieht die Ukraine-Hilfe sehr kritisch. Einzelne haben sogar die Selenskyj-Rede im Kongress boykottiert. Insofern ist es legitim, wenn die Europäer sich vergewissern, dass diese Allianz auch langfristig hält.
Sie meinen, Scholz könnte befürchtet haben, in zwei Jahren allein, ohne die Amerikaner gegen Russland zu stehen?
Ich weiß nicht, was der Kanzler denkt. Aber das wäre aus deutscher und europäischer Perspektive ein ganz vernünftiges Argument. Die Lieferung der Abrams-Panzer ist nicht nur symbolisch wichtig - sie signalisiert vor allem, dass die USA sich längerfristig gegenüber den Alliierten in Europa verpflichten, und dass europäische, und in diesem Fall deutsche Stimmen in den USA nicht nur Gehör finden, sondern auch US-Positionen zu verändern vermögen.
Am Mittwoch wurde Präsident Biden bei seinem Statement im Weißen Haus gefragt, ob Scholz ihm die Lieferung der Abrams-Panzer als Bedingung gestellt hat. Steht der Präsident nun als Verlierer da? Sind die Amerikaner nun genervt?
Das ist nicht mein Eindruck. Wenn hier dem Präsidenten vorgeworfen wird, eine Niederlage erlitten zu haben, dann gehört das zum politischen Tagesgeschäft. Aber das spiegelt nicht die Stimmung in der Biden-Administration wider. Mein Eindruck ist vielmehr, dass die Koordination zwischen Weißem Haus und Kanzleramt enger ist als in den vergangenen 15 oder 20 Jahren. Und dass hier eine Abstimmung erfolgt, die vertrauensvoller ist als mit den meisten anderen Bündnispartnern, vielleicht sogar mit allen. Wenn man in Washington über Europa spricht, ist klar, dass damit Berlin gemeint ist. Man gesteht Deutschland zu, auch eigene Interessen durchzusetzen. Das wird nicht als Sieg oder Niederlage aufgefasst und wird letztlich dieses bilaterale Verhältnis noch vertiefen.
Obama und Merkel waren doch auch sehr eng.
Das stimmt, aber es gab nicht solche ausgreifenden und transformierenden Auseinandersetzungen wie sie jetzt stattfinden. Die Tatsache, dass aus dieser Phase militärischer und politischer Krisen die transatlantischen Beziehungen nicht geschwächt, sondern gestärkt hervorgehen, hat auch damit zu tun, dass die Akteure in Berlin und Washington dieses Verhältnis zu einer absoluten Priorität gemacht haben.
Das heißt, die USA halten dem Kanzler nicht vor, dass er zu zögerlich und zaudernd agiert?
Nein, das war eine Diskussion, die vor allem in Deutschland geführt wurde. Hier ist schon klar, dass in Polen, den baltischen Staaten und auch in Deutschland die Diskussion anders geführt wird, weil diese Gesellschaften dem Krieg in jeder Hinsicht näher sind als wir hier in Washington. Dass diejenigen, die dem viel stärker ausgesetzt sind, sich der Hilfe der USA versichern, hat nichts mit Zögerlichkeit oder Unentschiedenheit zu tun. Es geht hier immerhin um die Lieferung schweren auch für Angriffe verwendbaren Kriegsgerätes in ein Krisengebiet in unmittelbarer Nähe zu Deutschland. Dass diese Entscheidung nicht übers Knie gebrochen wird, ist doch nachvollziehbar.
Dem Kanzler wird auch vorgeworfen, wie der ganze Prozess nach außen hin aussah. Wir haben über die Presse von der Forderung erfahren, die USA sollten auch Panzer liefern. In Ramstein soll der US-Verteidigungsminister Austin laut geworden sein. Das sah nicht gerade nach Einigkeit und völlig normalem Vorgang aus.
Es ist sicher für die USA eine neue Erfahrung, dass von deutscher Seite so selbstbewusst argumentiert wird. Andererseits wird in Washington seit Jahren gefordert, dass Europa stärker und autonomer wird. Dass dann auch Eigeninteressen vertreten werden, ist selbstverständlich. Verteidigungsminister Austin ist ein ehemaliger General, war Oberkommandierender im Irak, und ist es vielleicht nicht gewohnt, dass seine Anweisungen einmal nicht befolgt werden. Seine Militärkarriere, die ja bis in die 70er Jahr zurückreicht, prägte auch sicherlich seine Sicht auf Europa und Deutschland. Aber dass man im Jahr 2023 auch vor dem Hintergrund der Verwerfungen innerhalb der amerikanischen Demokratie neue Kompromisse schließen, intensivere Diskussionen führen und auf die Partner zugehen muss, ist doch klar.
Die Amerikaner argumentierten lange mit der komplizierten Ausbildung und Logistik gegen Abrams-Lieferungen. Fehlte ihnen das Verständnis für Bedenken bezüglich der Wirkung deutscher Panzer, die gegen Russland in den Krieg ziehen?
Das könnte sein, ist aber letztlich nicht entscheidend. Denn es ist auch eine Konsequenz aus dem Nationalsozialismus zu sagen, dass so etwas wie Auschwitz nie wieder geschehen darf. Dass autoritäre und faschistische Regime sich nicht mehr etablieren dürfen, und dass imperiale Landnahmen bekämpft werden müssen. Dass der amerikanische Verteidigungsminister nun die Abrams-Panzer liefern muss, ist aus meiner Sicht auch eine Art Abschlagzahlung resultierend aus dem Vertrauensverlust, den die USA in der Trump-Ära erlitten haben.
Unterm Strich hat die Ukraine nun sogar mehr Panzer, als wenn Deutschland gleich Leopard geliefert hätte.
Das ist auch ein Erfolg dieser nachdenklichen und vorsichtigen Vorgehensweise. Und wenn man den aktuellen Umfragen in Deutschland Glauben schenken darf, ist ja eine deutliche Bevölkerungsmehrheit an Bord. Gleichzeitig ist man zu einem für die Ukraine überraschend guten Ergebnis gekommen.
Ein wichtiger Hintergrund für die ganze Debatte ist die Sorge vor einer Eskalation. Gibt es die in den USA auch oder sind die Amerikaner mutiger als die Deutschen?
Die Regierung hier ist etwas forscher, aus zwei Gründen. Zum einen passt die Auseinandersetzung mit Russland in veraltete Schemata des Kalten Krieges und allen ist klar, dass man das jetzt durchfechten muss. Zum anderen ist es leichter, einen Krieg zu führen, der weit weg ist: Wir haben hier in den USA bezahlbare Energiepreise und spüren kaum direkte Auswirkungen, auch in der öffentlichen Diskussion ist das Thema lange nicht so allgegenwärtig wie in Europa. Hinzu kommt, dass selbst die noch nicht lange zurückliegenden Kriege in Afghanistan und dem Irak zwar verheerende Konsequenzen vor Ort gezeitigt haben, aber hier in den USA letztlich nur begrenzte Wirkung auf die Lebensumstände der US-Gesellschaft hatten.
Genießen es die USA jetzt, mal wieder auf der "richtigen Seite" in einem Konflikt mit klar verteilten Rollen zu stehen?
Ja, aber in dem Sinne, dass es sich um einen Konflikt handelt, in dem Demokratie und aufgeklärte Interessen verteidigt werden - und das entspricht der Grundausrichtung der neuen Regierung in Washington. Und es ist militärstrategisch eine neue Erfahrung, weil zum ersten Mal in der jüngeren Geschichte die Verbündeten der USA mit asymmetrischer Kriegsführung gegen einen überlegenen Gegner erfolgreich sind. Im Irak, in Afghanistan und Vietnam war es aus US-Perspektive immer andersherum. Das spiegelt sich auch darin, dass es noch keine wirklich breite öffentlichen Kritik an den enorm hohen Kosten der Unterstützung der Ukraine gibt.
Mit Michael Werz sprach Volker Petersen
Quelle: ntv.de