Einigung in Griechenlandkrise "Vielleicht hat sich Schäuble verrannt"
16.07.2015, 21:24 Uhr
Griechenland und seine Gläubiger haben sich geeinigt: Die Europäische Zentralbank gewährt Notkredite, ein Reformpaket ist im Athener Parlament bereits beschlossen und ein drittes Milliarden-Hilfspaket gilt als sicher. Ist das der ersehnte Ausweg aus der Krise? Die deutsche Presse ist skeptisch. Während weitgehend Einigkeit über die Notwendigkeit weiterer Milliardenhilfen herrscht, wächst der Unmut über den Verhandlungsprozess. Vor allem mit Finanzminister Wolfgang Schäuble wird hart ins Gericht gegangen, da dieser auch nach dem Abstimmungs-Marathon weiter an einem "Grexit auf Zeit" festhält.
So schickt allen voran der Tagesspiegel mahnende Worte in Richtung Bundeskanzlerin. Diese müsse "ihren Finanzminister in die Schranken weisen. Denn Schäuble wirbt weiter für den 'Grexit' und erzeugt damit genau die Unsicherheit, an der die griechische Wirtschaft erstickt. Bliebe es dabei, dann würden die rund 80 Milliarden Euro, mit denen die Bundeskasse für Griechenlands Schulden haftet, ganz sicher fällig."
Hoffnungsvoll gibt sich das Straubinger Tagblatt, gibt aber auch zu Bedenken, dass Tsipras nun die Verwaltung im Hinblick auf das neue Hilfspaket umbauen müsse, denn "tatsächlich kann es ja nicht sein, dass Brüssel und die Euro-Partner weiter etliche Milliarden ins Land pumpen, ohne dass sich erkennbar die Lage entspannt und verbessert."
"Nach Brüsseler Kompromissen schalten die beteiligten Politiker normalerweise einen Gang zurück und verteidigen zu Hause die Einigung", kommentiert die Frankfurter Allgemeine Zeitung. "Nicht so in diesem Fall: Tsipras sagt im Parlament, dass er nicht an die vereinbarten Reformen glaube, aber keine andere Wahl gehabt habe, als ihnen zuzustimmen. Schäuble hält weiter öffentliche Vorträge darüber, dass ein vorübergehender Grexit und ein Schuldenschnitt eigentlich die bessere Lösung seien. In Deutschland wie in Griechenland kann das Publikum nur noch den Eindruck gewinnen, dass es der jeweils andere Partner nicht ernst meine. Und im Rest Europas wird man sich fragen, wie stabil die Einigung vom Montagmorgen eigentlich ist."
Die Sinnhaftigkeit der Verhandlungen zweifeln auch die Journalisten der Berliner Welt an, die Griechenland als Sündenbock der Euro-Zone sehen, an dem ein Exempel statuiert werden soll, ebenso "wie es bei der Disziplinierung eines unbotmäßigen Schülers gar nicht um ihn geht, sondern um die anderen, um die Klasse und ihre Disziplin, um die Autorität der Lehrerin, um die Gültigkeit der Schulordnung. Jeder weiß, dass Griechenland nach den Verhandlungen kein anderes Land sein wird, so wie der auf den Flur geschickte Schüler nicht als Intelligenzbestie und Fleißbolzen zurückkehrt. Aber die Ordnung ist vorerst gerettet, bis zur nächsten Krise. Wie sinnvoll diese Ordnung ist, wie gut der Unterricht, das steht bei solchen Maßnahmen nicht zur Debatte. Es handelt sich ja um einen rein gruppendynamischen, nicht pädagogischen Prozess."
"Das ganze Hin und Her der Äußerungen belegt, dass man auf beiden Seiten noch lange nicht über das Stadium der polittaktischen Spielchen hinaus ist. Das ist fatal", meint auch die Ludwigsburger Kreiszeitung und kritisiert Schäubles unbeirrte Haltung: "Schließlich ist der Deutsche wegen seiner unnachgiebigen Haltung bei der Griechenlandrettung sowieso schon der europäische Buhmann schlechthin. Schlimmer geht es nimmer mit den Anfeindungen."
Der Trierische Volksfreund resümiert: "Vielleicht hat sich Wolfgang Schäuble verrannt. Viele Ökonomen, aber auch seine europäischen Partner halten einen Grexit auf Zeit für abenteuerlich. Doch der deutsche Finanzminister ist davon nach wie vor überzeugt. Schäuble ist hartnäckig und hart zugleich wie kaum ein anderer Politiker. Wenn er glaubt, das Richtige zu tun, ist er davon schwer abzubringen. Selbst wenn sich herausstellen sollte, dass es dann doch das Falsche ist."
Zusammengestellt von Annika Thöt.
Quelle: ntv.de