Heuchler an der Klimafront? Warum Privatjets nicht das (eigentliche) Problem sind
04.11.2021, 17:23 Uhr
CO2-Protz Privatjet. Reichtum ist klimaschädlich. Das muss sich ändern.
(Foto: imago images / Mandoga Media)
Ob Jeff Bezos oder Ursula von der Leyen: Ausgerechnet während des Klimagipfels in Glasgow rücken vermeintliche Privatjet-Skandale von Reichen und Mächtigen in den Fokus. Doch die Empörung darüber birgt Gefahren.
Ein mutmaßlicher Skandal erschüttert den Klimagipfel COP26 in Glasgow: Um die Erderwärmung zu bremsen, reisten Konzernlenker, Royals und andere Entscheider in einer Armada aus 400 Privatjets nach Glasgow, berichtete die "Daily Mail". Darunter befanden sich Amazon-Chef Jeff Bezos und Fürst Albert von Monaco. Mehr als 13.000 Tonnen CO2 seien dafür in die Luft geblasen worden, rechnet das Blatt vor - so viel, wie fast 1200 Bundesbürger im Jahr ausstoßen. "Hypocrite airways?" titelt die Zeitung fragend. Soll heißen, die Promis seien mit der Fluggesellschaft "Heuchler" geflogen.
Der CO2-Ausstoß der Elite ist tatsächlich frappierend. Vor allem, wenn es ums Fliegen geht. Bill Gates etwa legte laut einer Studie im Jahr 2017 rund 343.500 Kilometer im Flugzeug zurück - er hätte auch mehr als acht Mal um die Erde fliegen können. Damit allein pustete er 1600 Tonnen Treibhausgas in die Atmosphäre. Wenn jedoch die Privatjets der Reichen und Mächtigen in den Fokus der Klimabemühungen geraten, wäre das eine arg verengte Sicht auf das eigentliche Problem. Und diese birgt mehrere Gefahren.
Erstens: Die Kritik am Einsatz der Jets fördert die Vorstellung, dass es klar definierbare CO2-Problemstellen gibt, die man wie unschöne Steinchen aus einem Mosaik entfernen könnte, ohne das Gesamtbild zu ändern. Zu den großen Bösewichtern zählen neben dem Flugverkehr etwa Kohlekraftwerke, Autos mit Verbrennungsmotor und der Rindfleisch-Konsum. Doch sie machen nur einen Teil des Treibhausgasproblems aus - der große Rest entweicht von der Öffentlichkeit oft unbemerkt in die Atmosphäre. Um die Erderwärmung zu begrenzen, wird es nicht reichen, dass ein paar Flüge wegfallen.
Gut und Böse schlecht zu trennen
Innerhalb dieses gewaltigen Systems vieler versteckter Emissionen ist es zudem oft schwierig, klar zwischen klimaschädlichen und klimafreundlichen Elementen zu unterscheiden. Ein Beispiel: Während Flugzeuge als Klimasünde verschrien sind, gilt die Eisenbahn als Klimaretter. Doch laut einer Untersuchung wird bei der Bahn etwas unterschlagen: Anders als das Flugzeug benötigt sie Schienen, Brücken und Tunnel. Für die Errichtung wird Beton und Stahl eingesetzt, bei deren Herstellung entsteht CO2. Dazu kommen noch die Baumaschinen und der Transport der Arbeiter zu den Baustellen: weitere CO2-Quellen. Das macht Bahnfahren zwar nicht klimaschädlicher als Fliegen - es zeigt aber, wie schwer ist, Gut und Böse voneinander zu trennen.
Aber sollten nicht gerade die Reichen und Mächtigen als Vorbilder dienen? Dieses Argument tauchte auch nach dem 19-minütigen Privatjet-Flug von EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen auf. Mal davon abgesehen, dass ein Verzicht auf Privatjets als "gutes Beispiel" in den Ohren jener, die sich maximal ein Ticket in der Economy-Class leisten können, wie Hohn klingen dürfte - wollten die Reichen und Mächtigen wirkliche Vorbilder sein, müssten sie ihren persönlichen CO2-Jahresausstoß auf 0,7 Tonnen reduzieren. So niedrig muss er nämlich im Jahr 2050 sein, damit das 1,5-Grad-Ziel noch erreicht werden kann. Zum Vergleich: Ein Bundesbürger verursacht aktuell 11,17 Tonnen CO2 im Jahr.
0,7 Tonnen CO2 im Jahr - ein Pro-Kopf-Niveau, auf dem die ärmsten Länder der Welt bereits heute rangieren. Selbst ein Normalsterblicher im Westen hätte große Schwierigkeiten, dieses zu erreichen, für Superreiche, Konzernchefs und Spitzenpolitiker dürfte das noch schwieriger sein. Aber nicht, weil sie nicht wollten, sondern weil sie es gar nicht könnten. Es gibt aus unserer CO2-Welt kein Entrinnen, solange sich nicht grundsätzlich etwas ändert.
Einzelkämpfer haben es schwer
Drittens: Der Fingerzeig auf die Reichen droht, die Möglichkeiten des Einzelnen überzubewerten. Das Konzept vom individuellen CO2-Fußabdruck vermittelt den Eindruck, dass die eigene (Kauf-)Entscheidung der ausschlaggebende Faktor beim Kampf gegen den Klimawandel ist. Doch solange das gesamte System auf dem massenhaften Ausstoß von CO2 beruht, wird das Anprangern einzelner Emissions-Sünden reine Augenwischerei bleiben.
Vielmehr muss sich das System von Grund auf ändern, damit auch individuelle Entscheidungen etwas bewirken können. So müssten etwa Technologien gefördert werden, die klimafreundliche und zugleich bezahlbare Alternativen zu heutigen Autos, Flugzeugen und dem Fleischkonsum hervorbringen. Die Politik muss dafür die Rahmenbedingungen schaffen, Bürger ihr an Wahlurnen den Auftrag dazu erteilen. Mit dem Geldbeutel könnte dann jeder sich für wirklich klimaneutrale Dienstleistungen und Produkte entscheiden. Und vielleicht fliegen künftig dann auch Bezos und Co. reinen Gewissens CO2-frei um die Welt - wie auch immer das aussehen mag.
Beim Blick zur COP 26 in Glasgow sollte es daher nicht um Privatjets der Einflussreichen gehen, sondern darum, ob sie die entscheidenden Weichen stellen, um den Systemumbau voranzutreiben. Wenig wäre etwa gewonnen, wenn alle mit dem Segelboot anreisten und um am Ende den Gipfel ohne Durchbruch wieder verlassen. Apropos Segelboot: Genau damit wollte Klimaaktivistin Greta Thunberg auf CO2-sparende Weise zum Klimagipfel 2019 in New York reisen. Am Ende stellte sich heraus, dass für die Organisation des Trips zusätzliche Flugreisen nötig waren. Die Geschichte macht deutlich: Ein richtiges Leben im falschen ist auch beim Klimaschutz schwierig.
Quelle: ntv.de