Terror-Hinweise oft von Partnern Warum deutsche Nachrichtendienste vom Ausland abhängig sind


Der am Samstag verhaftete Libyer soll einen Anschlag auf die israelische Botschaft in Berlin geplant haben.
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Wie so oft kam der Hinweis auf den in Bernau festgenommenen Terrorverdächtigen von einem ausländischen Nachrichtendienst. Experten zufolge sind die deutschen Behörden insbesondere im Bereich Terrorismus auf Partner angewiesen. Das liegt auch an strengen Regularien.
Es ist fraglos ein Erfolg: Mit der Festnahme des Terrorverdächtigen in Bernau bei Berlin wurde mutmaßlich ein Terroranschlag auf die israelische Botschaft vereitelt. Ein Erfolg, der dem Hinweis eines befreundeten Nachrichtendienstes zu verdanken ist. Der Libyer hatte sich in einem Chat mit einem IS-Mitglied über die Anschlagspläne ausgetauscht, ein ausländischer Dienst machte die deutschen Kollegen darauf aufmerksam. In Deutschland hatte man den Mann nicht auf dem Radar.
In der Vergangenheit lieferten ausländische Nachrichtendienste wiederholt den entscheidenden Hinweis auf Terrorverdächtige, etwa bei einem mit Rizin geplanten Anschlag 2018 in Köln. Damals fiel den US-Amerikanern bei einem Internet-Monitoring auf, dass der Verdächtige große Mengen des Giftstoffs online bestellt hatte. Die Festnahme in Bernau bei Berlin sei nun erneut ein "Beleg für die hohe Abhängigkeit der deutschen Sicherheitsbehörden von ausländischen Nachrichtendiensten", so Hessens Innenminister Roman Poseck.
"Maximal abhängig von den USA"
Diese Abhängigkeit gebe es in der Tat, sagt Markus Ogorek von der Universität zu Köln im Gespräch mit ntv.de. "Nach Zählung des BKA kam bei den rund 20 Anschlägen, die seit 2010 quasi in letzter Minute verhindert wurden, fast in der Hälfte aller Fälle der entscheidende Hinweis von ausländischen Nachrichtendiensten", so der Rechtswissenschaftler mit Schwerpunkt Nachrichtendienstrecht. Besonders beim islamistischen Terrorismus sowie teilweise in der Spionageabwehr ist Deutschland dem Experten zufolge auf Partnerdienste angewiesen.
"Wir sind bei der IS-Bedrohung maximal abhängig von den USA", sagt auch der Sicherheitsexperte Guido Steinberg von der Stiftung Wissenschaft und Politik im Interview mit ntv.de. "Erste Informationen über Anschlagspläne kommen fast immer aus den USA, manchmal aus Großbritannien und hin und wieder aus Israel." Steinberg sieht darin zwei grundlegende Probleme. "Erstens: Möglicherweise gibt es einmal eine Regierung in den USA, die weniger transatlantisch gesinnt ist und diese Hilfe reduziert oder an Bedingungen knüpft."
Zweitens habe es in den Jahren 2014 bis 2016 eine Phase gegeben, in der die USA Probleme hatten, die Kommunikation des IS zu überwachen, so Steinberg. "Das Ergebnis war eine katastrophale Anschlagswelle, zunächst in Belgien und Frankreich mit den Attentaten und schließlich auch hier in Deutschland im Jahr 2016 auf dem Weihnachtsmarkt in Berlin."
Strenge Kontrollen in Deutschland
Ausländische Nachrichtendienste, etwa in den USA oder Großbritannien, verfügen nicht nur über mehr Ressourcen und Mittel, sondern auch über mehr Befugnisse. In Deutschland hingegen unterliegen die Dienste strengen Kontrollvorgaben, Genehmigungs- und Dokumentationspflichten. Maßnahmen, die in die Grundrechte eingreifen, müssen vielfach vorab durch unabhängige Kontrollstellen genehmigt werden. Das Internet flächendeckend zu screenen, ist im Inland von vornherein nicht erlaubt. Auch Personen können grundsätzlich nur überwacht werden, wenn zumindest Anhaltspunkte dafür vorliegen, dass sie etwa Extremisten oder Agenten sind.
Ogorek nennt als Beispiel die Online-Durchsuchung. "Beim Auslesen von Handys muss eine unabhängige Stelle alle erhobenen Daten zunächst durchgehen, bevor der Verfassungsschutz mit ihnen arbeiten darf." Der Zeitaufwand sei mitunter enorm. "Damit ist das Instrument eigentlich erledigt und steht wohl auch deshalb nur in Bayern im Gesetz", so der Rechtsprofessor. Dass Handys hingegen durch örtliche Polizeistellen beschlagnahmt und dann ohne vergleichbare Kontrolle ausgewertet werden, passiere in Deutschland täglich - "und zwar auch bei kleineren Delikten, etwa im Drogenbereich. Hier passen die Maßstäbe nicht zusammen."
Die strenge Rechtsprechung in Deutschland diene dem Schutz von Freiheitsrechten und sei auch eine sinnvolle Ableitung aus den Erfahrungen der NS-Zeit, so Ogorek. "Im Ergebnis führt die Judikatur der Karlsruher Verfassungsrichter jedoch dazu, dass wir auf ausländische Dienste angewiesen sind, bei denen wir unter dem Gesichtspunkt der Rechtsstaatlichkeit überhaupt keine Kontrolle mehr vornehmen können."
Mehr Befugnisse gefordert
Nach der Festnahme am Samstag kam vielfach die Forderung auf, die Nachrichtendienste mit mehr Befugnissen auszustatten. "Es kann nicht sein, dass wir auf Hinweise aus dem Ausland angewiesen sind, aber selbst unsere Fähigkeiten nicht voll ausschöpfen dürfen, weil ein falsches Datenschutzverständnis uns die Hände bindet", sagte der Thüringer Verfassungsschutzchef Stephan Kramer. Der CDU-Sicherheitsexperte Roderich Kiesewetter kritisierte, dass den deutschen Behörden konkrete Befugnisse bei der Überwachung von Messenger-Diensten fehlten. Dies gelte auch für die Finanzaufklärung, die Speicherung von IP-Adressen und die automatische Gesichtserkennung, sagte er dem "Tagesspiegel".
Neue Gesetze müssten allerdings verfassungsrechtlich wasserdicht sein, um nicht früher oder später vom Bundesverfassungsgericht kassiert zu werden, mahnt Rechtswissenschaftler Mark Zöller im Gespräch mit ntv.de. "Mich wundert immer, wenn in der Politik neue Befugnisse gefordert werden, dann aber nicht gesagt wird, wie das verfassungskonform umgesetzt werden soll", so der Experte von der Ludwig-Maximilians-Universität München.
Ohnehin seien die deutschen Nachrichtendienste besser als ihr Ruf, so Zöller. Das Geschäft bestehe stets aus einem Geben und Nehmen. "Auf lange Sicht erwarten Partnerdienste selbst von befreundeten Staaten immer eine Gegenleistung. Man kann es also auch positiv sehen: Wir sind offensichtlich gut genug im Liefern von Informationen, denn das ist die Voraussetzung dafür, dass auch wir welche bekommen."
Quelle: ntv.de