Politik

Zum heutigen Europatag Was sagt uns heute noch der 9. Mai 1950?

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"Der Friede der Welt kann nicht gewahrt werden ohne schöpferische Anstrengungen, die der Größe der Bedrohung entsprechen", sagte Robert Schuman am 9. Mai 1950 im französischen Außenministerium.

"Der Friede der Welt kann nicht gewahrt werden ohne schöpferische Anstrengungen, die der Größe der Bedrohung entsprechen", sagte Robert Schuman am 9. Mai 1950 im französischen Außenministerium.

(Foto: picture-alliance / dpa)

Die meisten Menschen dürften nicht wissen, warum heute "Europatag" im Kalender steht oder was es mit der Montanunion auf sich hat. Doch der Feiertag hat drei Botschaften, an die zu erinnern gerade heute lohnt.

Der Europatag am 9. Mai erinnert daran, dass 1950 an diesem Tag der französische Außenminister Robert Schuman in seinem Ministerium am Quai d’Orsay seinen Vorschlag zur Gründung der Montanunion feierlich erklärte. Dies war der erste Schritt in Richtung der europäischen Integration.

Etabliert ist dieser Feiertag nicht, die meisten Bürger müssen nachschlagen, warum heute "Europatag" in ihrem Kalender steht oder was die Montanunion war. Ich finde den Europatag erst seit 2008 in meinen alten Kalendern aufgeführt. Zum 50-jährigen Jubiläum 2000 stand er noch nicht im Kalender. Welche Botschaften hat der Europatag, der an die Gründung dieser sehr fernen Montanunion erinnert? Lohnt es sich in jüngster Zeit sogar mehr, an diesen Tag zu erinnern?

Die erste Botschaft: Für Robert Schumann war die Montanunion, offiziell die Europäische Gemeinschaft für Kohle und Stahl, ein Einstieg in eine gemeinsame supranationale europäische Organisation in einer schwierigen Situation. Der Kalte Krieg hatte gerade begonnen, im westlichen Europa drohte jedes Land seine eigene Sonderpolitik zu verfolgen - auch die noch schwer berechenbare, gerade erst gegründete Bundesrepublik. Ohne Zweifel hat die Montanunion, die Robert Schumann 1950 vorschlug, nicht viel mit der heutigen Europäischen Union zu tun.

Europäische Lösungen für Krisen

Aus heutiger Sicht war die Montanunion ein kleines Projekt, ein Dach für den gemeinsamen Markt der Schwerindustrie von nur sechs Ländern. Die Bürger hatten von europäischer Zusammenarbeit nur vage, nicht selten auch negative Vorstellungen. Sie ängstigen sich oft noch vor europäischen Grenzöffnungen für Waren oder Personen.

Bereits am 18. April 1951 wurde der Vertrag über die Montanunion in Paris unterzeichnet. Im Bild Robert Schuman neben dem ersten deutschen Bundeskanzler Konrad Adenauer.

Bereits am 18. April 1951 wurde der Vertrag über die Montanunion in Paris unterzeichnet. Im Bild Robert Schuman neben dem ersten deutschen Bundeskanzler Konrad Adenauer.

(Foto: picture alliance / PRASA)

Die Europäische Union ist dagegen nicht mehr nur das Projekt eines größeren gemeinsamen Wirtschaftsmarktes. Sie befasst sich auch mit Außenpolitik, Umweltpolitik, Verbraucherschutz, Sozialpolitik, Forschungsfinanzierung, Migrationspolitik, Recht, sichert Grundrechte für 27 europäische Länder. Die Bürger sehen sich heute überwiegend als Unionsbürger, nehmen Einfluss über Wahlen, über Bürgerverbände, über Klagen an europäischen Gerichten, über Beschwerden bei der Europäischen Kommission. Die Europäische Union ist keine Behörde, sondern ein demokratisch kontrolliertes politisches Machtzentrum. Sie ist das geworden, weil Europapolitiker immer wieder in gemeinsamen Krisensituationen europäische Lösungen suchten und durchsetzten, ohne sich dabei an einem Masterplan orientieren zu können. Auch in den vielen Krisen der letzten fünfzehn Jahre ist das meist geschehen. Wer hätte noch 2019 gedacht, dass die Europäische Union Impfmittel gegen eine Covid-Pandemie verwalten und Militärgüter gegen den Angriffskrieg Putins in der Ukraine finanzieren würde? In Krisensituationen das Potenzial der europäischen Länder zusammenzulegen und Krisen mit europäischen Lösungen besser durchzustehen, ist eine erste Botschaft dieses Europatags.

Der deutsch-französische Erfolg

Die zweite Botschaft des Europatags dreht sich um die deutsch-französische Partnerschaft. Robert Schuman ging 1950, nur fünf Jahre nach dem Zweiten Weltkrieg, mit der deutsch-französische Zusammenarbeit in der Montanunion ein großes Wagnis ein. Er stieß auf Skepsis und Gegnerschaft. Franzosen und Deutschen misstrauten sich damals noch überwiegend. Die zahlreichen Erfolge der deutsch-französischen Partnerschaft in den vergangenen siebzig Jahren zeigen, dass diese mutige Weichenstellung von Robert Schumann richtig war. Zu dieser deutsch-französischen Zusammenarbeit gehört allerdings auch, dass sie öfters in Schwierigkeiten geriet, weil die Interessen der beiden Länder auseinander liefen und nur durch mühsame Kompromisse zusammengebracht werden können, und dies auch nur durch Politiker, die das wirklich wollten.

Aktuell vertreten Frankreich und Deutschland wieder unterschiedliche Positionen in der China-Politik ebenso wie in der Energiepolitik, in der Staatsverschuldung wie in Rüstungsprojekten. Kompromisse müssen immer wieder mühsam gefunden werden. Diese Zusammenarbeit in Gang zu halten war auch deshalb schwierig, weil es sich nicht nur um eine binationale Zusammenarbeit handelte, sondern um europäische Entscheidungen, die Frankreich und Deutschland zusammen vorbereiten und in oft langen Verhandlungen auch durchsetzen mussten. Umso wichtiger ist es, sich an diesem 9. Mai 2023 daran zu erinnern, wie erfolgreich diese Zusammenarbeit war, solange sie illusionslos, aber auch unbeirrt blieb.

Friedenssicherung ist wieder ein Thema der Europapolitik

Die dritte Botschaft des Europatags ist Friedenssicherung. Das war 1950 das Hauptziel Robert Schumanns. Die Friedenssicherung rückt 2023 wieder in das Zentrum der Europapolitik, so wie sie 1950 im Mittelpunkt der Montanunion stand. Natürlich bedeutete europäische Friedenssicherung um 1950 etwas anderes als heute.

1950 sollte die Montanunion die Rüstungsindustrie der ehemaligen Kriegsgegner zusammenlegen und damit den Frieden zwischen den europäischen Kriegsgegnern des Zweiten Weltkriegs absichern, der damals noch immer in den Köpfen der Menschen steckte. 2023 dagegen hilft die Europäische Union militärisch der Ukraine, die nicht Mitgliedsland ist, in der Befürchtung, dass demnächst auch ihre Mitgliedsländer durch Russland angegriffen werden. Die Unterschiede sind unverkennbar. Aber Friedenssicherung und Kriegsangst sind 2023 wieder ein Thema der Europapolitik, anders als in den meisten der siebzig Jahre dazwischen, ähnlich wie um 1950.

Der Europatag 2023 besitzt daher durchaus Botschaften, sogar deutlich drängender als zum 50. Jahrestag. Er erinnert daran, dass die europäische Zusammenarbeit in Krisensituationen oft gut funktionierte und sehr gebraucht wurde, dass sich die deutsch-französische Zusammenarbeit immer wieder bewährte und dass Friedenssicherung in Europa gegen Völkerrechtsverletzungen eine harte Daueraufgabe bleibt.

Prof. Dr. Hartmut Kaelble hatte bis 2008 einen Lehrstuhl für Sozialgeschichte an der Humboldt-Universität zu Berlin. Er zählt zu den renommiertesten deutschen Sozialhistorikern.

Quelle: ntv.de

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