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Jung, populär, weniger gewaltsam Was steckt hinter der Welle an Staatsstreichen in Afrika?

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In Gabuns zweitgrößter Stadt Port-Gentil jubeln Einwohner dem Militär zu.

In Gabuns zweitgrößter Stadt Port-Gentil jubeln Einwohner dem Militär zu.

(Foto: GAETAN M-ANTCHOUWET via REUTERS)

Ein Militärputsch folgt in Afrika auf den nächsten. Alles Zufall oder gibt es einen gemeinsamen Trend? Und was ist anders als bei den Staatsstreichen in der Vergangenheit?

Und noch ein afrikanischer Präsident ist mit Gewalt aus dem Amt gehievt worden, dieses Mal im kleinen Gabun, wo am Samstag Wahlen stattgefunden hatten. Der bisherige Präsident Ali Bongo hatte diese nach Angaben der Wahlbehörde mit 64,27 Prozent der Stimmen gewonnen. Die Putschisten, darunter hochrangige Militärs verschiedener Sicherheitsorgane, erklärten die Wahl jetzt aber für ungültig und setzten Bongo ab.

Gabun ist das perfekte Beispiel eines afrikanischen Regimes, das seit Jahrzehnten unangefochten an der Macht ist und dann von seinen eigenen Generälen gestürzt wird. Der heute 64-jährige Präsident hatte das Amt 2009 von seinem Vater Omar Bongo übernommen, der seit 1967 regiert hatte. Der Bongo-Clan war insgesamt mehr als 50 Jahre lang an der Macht. Die Präsidentenfamilie verwaltete das kleine Land mit gerade einmal 2,3 Millionen Einwohnern und seinen Öl-Reichtümern quasi wie Privatbesitz und etablierte über die Jahrzehnte ein korruptes, kleptokratisches System, in dem nur wenige im Land profitieren, die Mehrheit aber in Armut lebt.

Erst Ende Juli gab es im nicht weit entfernten westafrikanischen Niger einen Staatsstreich. Im benachbarten Mali hatten 2020 und 2021 die Militärs gleich zweimal geputscht, jedes Mal ausgeführt von Generälen der Armee. Mittlerweile ist dort eine Junta an der Macht. Im benachbarten Burkina Faso ist die Lage ähnlich. Dort stürzten Militärs im Jahr 2022 ebenfalls zweimal den jeweiligen Machthaber. In Guinea wurde Präsident Alpha Conde 2021 aus dem Amt gehievt. Im Sudan war 2019 ein Putsch gegen Langzeitherrscher Omar al Bashir erfolgt, woraufhin eine Übergangsregierung einberufen wurde, die im April in einem grausamen Bürgerkrieg unterging. Im südafrikanischen Simbabwe ist gerade erst der 80-jährige Präsident Emmerson Mnangagwa in einer umstrittenen Wahl bestätigt worden. Mnangagwa hatte 2017 Langzeitherrscher Robert Mugabe gestürzt und sich selbst an die Macht geputscht.

"Es scheint, dass ein neues Putschmodell etabliert wird"

Der Trend zum Putsch ist in Afrika nicht von der Hand zu weisen. Ähnliche Wellen von Staatsstreichen hatte es auf dem Kontinent zwar schon früher gegeben, insbesondere in der Zeit unmittelbar nach der Unabhängigkeit der Staaten von der Kolonialherrschaft in den 1960er-Jahren.

Doch diese Putsche sind anders, sagen Analysten. "Es scheint, dass ein neues Putschmodell etabliert wird, das sich in wesentlichen Punkten von den bisherigen unterscheidet", argumentiert das International Institute for Democracy and Electoral Assistance (IDEA), ein globaler Thinktank, der sich mit den Ursachen von Staatsstreichen befasst. "Die Putschisten sind etwas jünger, die Putsche waren weniger gewalttätig und in einigen Fällen fanden sie (mit Unterstützung der Bevölkerung) vor dem Hintergrund politischer Stagnation und intensiver Sicherheitsprobleme statt", so die IDEA-Analysten.

Auch die Art der ausländischen Beteiligung an diesen Staatsstreichen scheint sich zu ändern. Im Vergleich zu den Zeiten des Kalten Kriegs lässt sich deutlich weniger Militärhilfe von außen nachweisen, im Gegenteil: Vor allem in den ehemaligen Kolonien Frankreichs in Westafrika, also konkret im Niger, in Burkina Faso und Mali, richten sich die Putschisten eindeutig gegen die einstigen Herrscher. In diesen Fällen warfen die Militärs glattweg die französischen Truppen aus dem Land, was weitreichende Folgen auch im Kampf gegen islamistische Terrorgruppen im Sahel haben wird.

Die Propaganda von der glorreichen Zukunft wirkt nicht mehr

Dass sich Staatsstreiche in Afrika derzeit häufen, hat verschiedene Ursachen, aber auch gemeinsame Hintergründe. Nach Jahren der globalen Krisen, ausgelöst durch die Corona-Pandemie und weiter verschärft durch den Ukraine-Krieg und die dadurch steigenden Energie- und Lebensmittelpreise, leiden fast alle afrikanischen Gesellschaften an den schlimmen Folgen: Die Armut nimmt rasant zu und die Menschen realisieren nun nach Jahren der Dauerkrise, dass es keinen Umschwung gibt und ihre Regierungen keine Rezepte auf Lager haben, wie sie diese Krisen abwenden können. Viele Afrikaner mussten in den vergangenen Jahren mit ansehen, wie ihre korrupten Eliten und Präsidentenfamilien noch reicher wurden, während die Mehrheit der Bevölkerung keinen Ausweg aus dem Abwärtstrend sieht. Sprich: Die Hoffnung und die Propaganda von der glorreichen Zukunft, mit der sich viele Langzeitherrscher über Jahrzehnte an der Macht halten, wirkt nicht mehr.

Gleichzeitig macht sich der Generationenwandel bemerkbar. Aufgrund der hohen Geburtenrate ist die Mehrheit der Afrikaner mittlerweile unter 40 Jahre jung und sieht in Anbetracht der hohen Arbeitslosigkeit keine Zukunftschancen. Die Präsidenten sind meist aus der Generation der Großväter. In Uganda nennt der 76-jährige Präsident Yowerie Museveni, seit 36 Jahren an der Macht, die Ugander in seinen stundenlangen Ansprachen neckisch "Bazukulu", übersetzt: meine Enkelkinder.

In vielen afrikanischen Regimen ist das Militär eine oder gar die entscheidende Machtsäule der Herrschaft. Aufgrund mangelnder Jobalternativen in der Wirtschaft zieht es viele junge Leute in die Armee. Die Präsidenten, größtenteils selbst Militärs, investieren oft mehr Geld in die Ausbildung ihrer Soldaten als in den Bildungssektor und damit in Schulen und Universitäten. Sprich: Für junge Leute aus den Unterschichten ist eine Militärkarriere eine Möglichkeit des sozialen Aufstiegs.

Ausdruck von Hoffnungslosigkeit

Um besonders diejenigen Einheiten fit zu halten, die die Präsidenten an der Macht halten - also Präsidentengarde und Spezialtruppen - werden Mitglieder dieser Verbände weltweit auf Militärakademien geschickt: in die USA, nach Großbritannien, Frankreich, Russland, China, Ägypten oder Südafrika. Einige kommen als ausgebildete Oberste in ihre Heimatländer zurück und müssen dort feststellen, dass das Land stagniert und es nicht vorangeht. Viele werden in Militäroperationen gegen Islamisten eingesetzt und machen dann Karriere. So lässt sich erklären, warum in jüngster Zeit junge Offiziere, wie in Mali der 42-jährige Oberst Assimi Goïta, aus den am besten trainierten Einheiten der Armee plötzlich die Macht an sich reißen.

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Von Massen an arbeitslosen Jugendlichen werden diese Putschisten bejubelt und gefeiert - sie gelten in den Augen der jungen Generation also als Hoffnungsschimmer. Am Beispiel Malis haben Umfragen ergeben: 82 Prozent der Bevölkerung des Landes vertraut den Militärs mehr als den Politikern, eine Folge der extremen Korruption. In Guinea hat eine Umfrage aber auch ergeben, dass die Mehrheit sich dennoch ein demokratisches System wünscht. Sie erhoffen sich, dass die Militärs die Demokratie wieder herstellen. Die demokratischen Institutionen sind in den meisten Ländern nach Jahrzehnten der autokratischen Herrschaft marode und ausgehöhlt. So ist es auch kein Wunder, dass die Putschisten heute in Gabun oder Ende Juli im Niger die Verfassung und die Staatsorgane allesamt mit aufgelöst haben. Für diese Generation wirkt dies wie "Frühjahrsputz".

Unter den jungen Putschisten sind Vorbilder wie Thomas Sankara aus Burkina Faso oder Amilar Cabral aus Guinea-Bissau populär. Diese Militärs kamen in den 1970er- und 1980er-Jahren als sozialistische Revolutionäre an die Macht, die die arme Jugend von den Diktaturen befreien wollten und dann wie Sankara ermordet wurden. Die Militärputsche sind also auch Ausdruck der Hoffnungslosigkeit einer jungen Generation, die in Afrika die Macht zur Not mit Gewalt übernimmt.

Quelle: ntv.de

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