Politik

Putsch im Niger Wenn die letzte Bastion fällt

00:00
Diese Audioversion wurde künstlich generiert. Mehr Infos
Unterstützer der Putschisten demonstrieren mit einer russischen Fahne in Nigers Hauptstadt Niamey.

Unterstützer der Putschisten demonstrieren mit einer russischen Fahne in Nigers Hauptstadt Niamey.

(Foto: AP)

Es ist ein harter Schlag, nicht nur für die Bevölkerung im Niger, auch für Europa und Deutschland. Der Staatsstreich im Niger durch ranghohe Armeegeneräle kann und wird wohl für ganz Afrika und auch Europa weitreichende Folgen haben.

Der Niger war die letzte Bastion für den Kampf gegen den internationalen Terrorismus im Sahel. Der bettelarme Staat in der Wüste galt in den vergangenen Jahren für die Europäer und vor allem die Deutschen als das letzte quasi befreundete Land in der von Krisen und Terror gebeutelten Region. Jetzt ist auch dieser Wüstenstaat in die Hände von Russland-freundlichen Militärs gefallen.

Im benachbarten Mali gab es 2020 und 2021 mehrere Militärputsche. Mittlerweile ist dort eine Junta aus Generälen an der Macht, die in ihren Außenbeziehungen radikal mit dem Westen gebrochen hat. Die ehemalige Kolonialmacht Frankreich hat sich ganz aus dem Land zurückgezogen, die UN-Mission, an der auch die Bundeswehr beteiligt ist, soll zum Ende des Jahres beendet werden. Die russischen Söldner der Militärfirma Wagner sind seit 2021 in Mali stationiert.

Im benachbarten Burkina Faso ist die Lage ähnlich. Dort stürzten Militärs im Jahr 2022 gleich zweimal den jeweiligen Machthaber und warfen im Anschluss die französischen Truppen aus dem Land, die dort im Kampf gegen den internationalen Terrorismus in der Sahelzone stationiert waren. Auch dort gibt es unbestätigte Spekulationen über einen möglichen Einfluss Russlands und der Wagner-Truppen. Im Sudan brach im April ein Bürgerkrieg aus, bis heute wird dort heftig gekämpft. Auch dort spielen Wagner-Vertreter und russische Einflüsse eine gewaltige Rolle. Im benachbarten Tschad kriselt es derzeit ebenso gewaltig, nicht zuletzt aufgrund der Flüchtlingsströme aus dem Sudan. Dort hat nach dem Tod des Langzeitpräsidenten Idriss Déby 2021 dessen Sohn Mahamat Kaka in einem Quasi-Putsch die Macht an sich gerissen und regiert bis heute ohne Verfassung.

Prigoschin will Operationsgebiet seiner Söldner ausweiten

Dass nun der Niger ebenso unter die Kontrolle von Militärs gerät, die womöglich einen Schulterschluss mit Wagner und Russland eingehen, bedeutet, dass ausgerechnet die Region im Norden Afrikas, wo zahlreiche islamistische Terrororganisationen in der unwegsamen Wüste operieren, nun von afrikanischen Militärs und ihren russischen Wagner-Verbündeten kontrolliert wird. Wagner-Chef Jewgenij Prigoschin, der nach seinem Aufstand offenbar so weit rehabilitiert ist, dass er auf dem Russland-Afrika-Gipfel in Sankt Petersburg auftrat, sagte am Mittwoch in einem Interview mit einem zentralafrikanischen Sender stolz, noch bevor der Staatsstreich in Niger vollständig vollzogen war, er sei "bereit", das Operationsgebiet seiner Truppen im "Kampf gegen den Terrorismus in Afrika auszuweiten".

Das enorm unterentwickelte Land Niger, das die höchste Geburtenrate der Welt und damit den höchsten Anteil an Kindern an der Bevölkerung hat, war in der Vergangenheit in Afrika ein nur wenig beachtetes Land. Auch bei der Verteilung von Entwicklungshilfe aus Europa hatte Niger nie viel abbekommen. Dann entdeckten im Zuge der sogenannten Flüchtlingskrise, als die Lage auf dem Balkan 2015 eskalierte und über eine Million Migranten und Geflüchtete sich in die Europäische Union retteten, die EU und die Bundesregierung die strategisch wichtige Rolle Nigers.

Die europäische Grenzagentur Frontex hatte damals Satellitenbilder ausgewertet über die Routen der Migranten aus Westafrika durch die Sahara. Die meisten Reifenspuren der Schleuser-Trucks, die auf Satellitenbildern zu erkennen waren, gingen durch die Wüstenstadt Agadez im Norden des Niger. Daraufhin flog die damalige Bundeskanzlerin Angela Merkel 2016 in das Land. Sie sagte dem damaligen Präsidenten Mahamadou Issoufou Entwicklungshilfe in großem Umfang zu, wenn dieser den Kampf der Europäer gegen die Migration als Türsteher unterstütze.

Im April schickte Deutschland Soldaten in den Niger

Mittlerweile sind aus Berlin und Brüssel weit über eine Milliarde an Wirtschafts- und Entwicklungshilfen in nur wenigen Jahren in den Niger geflossen. Auch Militärunterstützung gab es im großen Umfang. Zunächst wurden nigrische Sicherheitskräfte von französischen und deutschen Soldaten im Kampf gegen Schleuser ausgebildet. In Nigers Hauptstadt Niamey wurde am Flughafen mit Hilfe der Bundesregierung ein sogenannter Lufttransportstützpunkt eingerichtet, also ein Drehkreuz, worüber Nachschub und Truppen für die UN-Stabilisierungsmission im benachbarten Mali sicher abgewickelt werden konnten. Ende April beschloss die Bundesregierung, 60 Soldatinnen und Soldaten der Bundeswehr in den Niger zu entsenden. Deren Ziel, so die Bundesregierung: "Die Fähigkeiten der nigrischen Streitkräfte sollen verbessert werden, damit sie selbständig terroristische Bedrohungen eindämmen, die Bevölkerung schützen und für ein sicheres Umfeld sorgen kann."

All diese europäischen Bemühungen, den Niger zu stabilisieren, um noch einen verlässlichen Partner in der umkämpften Region vor den Toren Europas zu haben, sind offenbar nicht aufgegangen. Jetzt hat ausgerechnet die Armee, die von deutschen Bundeswehrausbildern trainiert wurde, den gewählten Präsidenten abgesetzt. Dies zeugt einmal mehr davon, dass die herkömmlichen, vom Westen angewandten Stabilisierungsstrategien in Afrika nicht aufgehen - und möglicherweise von Russland gekonnt erfolgreich unterminiert werden.

Der Putsch im Niger geschah zufälligerweise pünktlich zu Beginn des Russland-Afrika-Gipfels, zu welchem Russlands Präsident Wladimir Putin seine afrikanischen Amtskollegen eingeladen hatte. Nigers Präsident Mohamed Bazoum war nicht selbst nach Russland geflogen. In Russland macht deswegen die kremlnahe Zeitung "Kommersant" Witze über den abgesetzten Staatschef: "Wenn Mohamed Bazoum von Anfang an beschlossen hätte, am Gipfel in Sankt Petersburg teilzunehmen, hätte es keine Probleme gegeben", so Russlands größte Tageszeitung. Dann hätte heute Nigers abgesetzter Präsident "in aller Ruhe die Sehenswürdigkeiten des Schlosses Peterhof und des Konstantinpalastes erkunden können", witzelt der Kommentar.

Quelle: ntv.de

Newsletter
Ich möchte gerne Nachrichten und redaktionelle Artikel von der n-tv Nachrichtenfernsehen GmbH per E-Mail erhalten.
Nicht mehr anzeigen