Politik

Wagner-Experte im Interview "Die Welt der russischen Söldner ist klein"

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Prigoschin war zweifelsohne ein Anführer, den Wagner nicht einfach ersetzen kann, so Lechner.

Prigoschin war zweifelsohne ein Anführer, den Wagner nicht einfach ersetzen kann, so Lechner.

(Foto: AP)

Wer nach dem Tod von Wagner-Chef Prigoschin künftig in der Privatarmee den Ton angibt, weiß derzeit niemand. Den Söldnern vor Ort sei das aber egal, sagt Experte John Lechner im Interview. Solange das Geld stimme, würden die Kämpfer auch zu einer anderen Gruppe wechseln. Einige stünden bereits Schlange, um die Geschäfte in Afrika zu übernehmen. Einen Zerfall der Wagner-Gruppe sehe er allerdings nicht. "In Afrika tut man so, als wäre nichts gewesen."

ntv.de: Herr Lechner, Sie sind ein ausgewiesener Wagner-Experte und schreiben ein Buch über die Söldnerfirmen. Dazu stehen Sie mit zahlreichen Wagner-Leuten im direkten Kontakt. Was sagen diese zum mutmaßlichen Tod ihres Chefs?

John Lechner ist ein unabhängiger Forscher, der über die Politik Russlands und afrikanischer Staaten schreibt, mit einem besonderen Schwerpunkt auf dem Konflikt in der Zentralafrikanischen Republik. Sein Buch über die Geschichte der Wagner-Gruppe wird voraussichtlich 2024 erscheinen.

John Lechner ist ein unabhängiger Forscher, der über die Politik Russlands und afrikanischer Staaten schreibt, mit einem besonderen Schwerpunkt auf dem Konflikt in der Zentralafrikanischen Republik. Sein Buch über die Geschichte der Wagner-Gruppe wird voraussichtlich 2024 erscheinen.

(Foto: privat)

John Lechner: Die Leute, mit denen ich bei Wagner gesprochen habe, scheinen es mittlerweile als Realität zu betrachten, dass Jewgeni Prigoschin und Dimitri Utkin beim Flugzeugabsturz getötet wurden. Es herrschte zunächst Verwirrung, was eigentlich genau passiert ist. Alle warten ab, was die noch verbliebene Wagner-Führung sagen wird. Die verbliebenen Kommandeure wollen sich zu einer Art Kriegsrat zusammentun und die nächsten Schritte diskutieren. Es bleibt abzuwarten, wie sich die Beziehung zwischen Wagner und potenziell bestimmten russischen Institutionen wie dem Verteidigungsministerium von hier aus entwickeln wird.

Mit im Flugzeug saßen weitere hochrangige Funktionäre von Wagner, die mutmaßlich alle tot sind. Kann man denn jetzt sagen, dass Wagner enthauptet und damit nicht mehr funktionstüchtig ist?

Prigoschin und Utkin sind offensichtlich ein enormer Verlust für die Organisation. Gerade was das Charisma betrifft, wenn man dies so ausdrücken darf. Was den Führungsstil anbelangt, wird vor allem Prigoschin nicht zu ersetzen sein. Aber was die Funktionsfähigkeit der Firma angeht, kann man sagen: Es gibt durchaus andere Kommandeure, die wahrscheinlich größeres militärisches Talent haben als Utkin, der bislang Militärführer von Wagner war. Dies bedeutet aber nicht automatisch, dass einer von ihnen dazu geeignet ist, die gesamte Organisation zu übernehmen.

Glauben Sie, dass die Wagner-Struktur selbst in der Lage ist, diesen dysfunktionalen Moment zu überwinden?

Das wäre möglich, aber es hängt von einer Reihe von Faktoren ab, nicht zuletzt davon, inwieweit Wagner in Zukunft weiter mit dem Staat zusammenarbeiten wird. Es gibt die Theorie, dass die Beziehung zwischen Wagner und dem Verteidigungsministerium reibungsloser verlaufen könnte, wenn Prigoschin und Utkin jetzt weg sind. Das Problem dabei ist, dass es sehr von persönlichen Beziehungen abhängt, in die wir nicht viel Einblick haben. Prigoschins Beziehung zum Verteidigungsministerium war ziemlich klar, weil er es ständig auf Telegram gepostet hat. Wie sich die verbliebene Wagner-Führung nun aufstellt, bleibt noch abzuwarten.

Wie wird Wagners Engagement in der Zentralafrikanische Republik oder anderen afrikanischen Ländern weitergehen?

Erst einmal werden wir in der nahen Zukunft Kontinuität sehen. Aus mehreren Gründen: Dass Wagner in Afrika vertreten ist, ist der Tatsache geschuldet, dass es dem russischen Staat an Kapazität und Interesse mangelt, offiziell Truppen auf dem afrikanischen Kontinent zu stationieren. Russland ist weder logistisch noch ressourcenmäßig in der Lage, sein Militär nach Afrika zu schicken. Und es gibt derzeit keine andere Söldnerfirma, die das in diesem Umfang stemmen könnte und dem Verteidigungsministerium so nah steht. Hinzu kommt, dass Wagner in der Zentralafrikanischen Republik über ein umfangreiches institutionelles Wissen und Expertise in Bezug auf Afrika besitzt, das notwendig ist, um solche Operationen am Laufen zu halten.

Erst vor wenigen Wochen hat sich Russland auf dem großen Afrika-Gipfel als Partner angeboten. In dieser Hinsicht spielt Wagner doch eine unersetzbare Rolle, oder?

Es gibt innerhalb und außerhalb von Wagner Leute, die diese Operationen auch gerne weiterführen würden - nicht zuletzt, weil Russland beim jüngsten Afrika-Gipfel in St. Petersburg sehr darauf bedacht war, zu zeigen, dass das Land nach der Invasion der Ukraine geopolitisch nicht isoliert ist. Das soll die Glaubwürdigkeit Moskaus auf dem Kontinent nicht beeinträchtigen. Daher erwarte ich zum jetzigen Zeitpunkt keine größeren personellen Veränderungen in der Zentralafrikanischen Republik oder in Mali.

Ist es denn wahrscheinlich, dass langfristig die Wagner-Strukturen von einem anderen, ähnlichen Söldner-Unternehmen absorbiert werden? Es gibt ja viele ähnliche Firmen in Russland mittlerweile.

Ich habe mit einem ehemaligen Wagner-Kämpfer gesprochen, der jetzt von der Firma Redut rekrutiert wurde, die dem Kreml ebenfalls nahesteht. Er sagte, die Welt der russischen Söldner ist klein. Letztendlich schließen die im Laufe der Zeit Verträge mit verschiedenen Gruppen ab, je nachdem, wer gerade besser zahlt. Es gab unter den Söldnern Russlands bislang immer eine spezielle Eifersucht gegenüber Wagner. Selbst wenn jetzt eine andere Firma die Wagner-Geschäfte übernehmen würde, besteht die Wahrscheinlichkeit, dass dort wieder dieselben Männer arbeiten, nur eben mit einem anderen Abzeichen auf der Uniform.

Prigoschin war in Russland mehr als nur der Chef von Wagner. Er war ein Oligarch mit einem gewaltigen Firmenimperium, direktem Zugang zum Kreml und einem sehr vollen Bankkonto. Wirkt sich das auch auf die Finanzen des Wagner-Imperiums aus?

Wir wissen leider nicht viel über Wagners Finanzstrukturen. Aber ich bin mir sicher, dass es in Russland viele Oligarchen gibt, die in der Lage sind, diese Strukturen zu übernehmen. Aber letztlich haben wir viel zu wenig Ahnung davon, wie die tatsächlich aussieht. Es besteht sogar die Option, dass Prigoschin selbst nicht einmal der Mehrheitsaktionär war. Also lässt sich nur schwer sagen, was sich ändern wird.

Sie haben auch zu Wagner in vielen afrikanischen Ländern recherchiert und sich mit afrikanischen Politikern dazu ausgetauscht. Wie reagiert man in der Zentralafrikanischen Republik und in Mali auf den Tod des Wagner-Chefs?

Es wird mit Sicherheit keine Reaktion der afrikanischen Regierungen dazu geben. Die Afrikaner wissen nur zu gut, dass dies eine innere Angelegenheit Russlands ist, zu welcher man sich am besten nicht äußert. Und so hört man derzeit auch gar nichts aus Bangui oder Bamako oder anderen afrikanischen Hauptstädten, wo Wagner aktiv ist. Im Fall von Mali hat die Regierung nie zugeben, dass es Wagner dort überhaupt gibt. Und warum sollten sie sich zum Tod von Wagners Chef äußern, wenn ihrer Meinung nach Wagner nie im Land war? Afrika tut so, als wäre nichts gewesen, damit man so weitermachen kann wie bisher.

Mit John Lechner sprach Simone Schlindwein

Quelle: ntv.de

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