
Ein Stratege: Sigmar Gabriel weiß etwas, was einige Menschen in Deutschland gern wissen würden - wer der nächste SPD-Kanzlerkandidat wird.
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Hannelore Kraft behauptet, sie wisse, wer Kanzlerkandidat ihrer Partei wird. Wieso sagt die SPD es dann nicht endlich? Sigmar Gabriel und die Genossen wollen es diesmal anders machen – was nicht schlecht sein muss.
Über den nächsten SPD-Kanzlerkandidaten wird zurzeit viel gesprochen. Wer die Debatte verfolgt, dem kann dabei schnell etwas schwindelig werden. Erst recht seitdem die sozialdemokratische NRW-Ministerpräsidentin Hannelore Kraft in dieser Woche verriet, sie wisse bereits, wer Kandidat wird.
Ein Blick zurück: Am Wochenende hatte Parteichef Sigmar Gabriel das mögliche Kandidatenfeld um Olaf Scholz sogar auf drei erweitert. Generalsekretärin Katarina Barley sagte zu Wochenbeginn: "Wenn wir mehrere Kandidierende haben, die sich zur Wahl stellen, dann werden wir eine Urwahl durchführen." Kurz darauf sagte SPD-Arbeitsministerin Andrea Nahles dem "Tagesspiegel", eine Mitgliederbefragung sei Quatsch. "Ende Januar wird entschieden, wer für die SPD ins Rennen geht." Und dann kam Hannelore Kraft, die auf die K-Frage angesprochen, sagte: "Ich weiß, wer es wird, aber ich sage es Ihnen nicht."
Man könnte meinen, Gabriel & Co. amüsierten sich zurzeit kräftig darüber, dass sie mit ihren Äußerungen fast täglich für neue Spekulationen auslösen. Darüber, dass seit Monaten über den SPD-Kandidaten gerätselt wird. Dass es ihnen gelingt, die Spannung so lange aufrecht zu erhalten, und sie sich auch von der Entscheidung Angela Merkels, im kommenden Jahr wieder anzutreten, nicht aus der Ruhe bringen lassen. Nur: Wie gut kann es strategisch sein, wenn sich die SPD-Spitze untereinander so kräftig zu widersprechen scheint?
"Bleibt so cool"
Wenn das Rennen wirklich so offen ist und mehrere Sozialdemokraten zur Debatte stehen, wie Gabriel und Nahles suggerieren - wie kann es dann sein, dass die Entscheidung offenbar schon gefallen ist? Warum will die SPD dann noch bis Ende Januar warten? Hat Deutschland nicht das Recht bald zu erfahren, wer es wird? Wie gemein ist das denn? "Entweder Entscheidung ist gefallen und SPD verschaukelt die Wähler. Oder K-Frage ist wieder so offen wie es scheint - und Kraft ahnungslos", twitterte Karl Doemens, der sich als Korrespondent des Dumont-Hauptstadtbüros seit langem mit der SPD beschäftigt.
Es gibt verschiedene Möglichkeiten, Krafts Vorstoß zu interpretieren. Entweder er war mit Gabriel abgesprochen und dient dem Zweck, das Thema in der Debatte und die Spannung hoch zu halten. Oder Kraft, die bald in den Wahlkampf für die Landtagswahl in Nordrhein-Westfalen einsteigt, wird langsam ungeduldig. Ihr Landesverband sprach sich vor Wochen als erstes deutlich dafür aus, dass Gabriel kandidieren soll. Der SPD-Chef und seine Stellvertreterin gelten nicht unbedingt als innigste Freunde. Dennoch wäre es schon merkwürdig, wenn Kraft die Strategie der Parteispitze gezielt unterlaufen würde.
Die hat Gabriel zuletzt in einer Fraktionssitzung ausgegeben, als er sagte: "Bleibt so cool, wie wir es in den letzten Wochen gewesen sind. Dann werden wir 2017 nicht nur den Bundespräsidenten stellen, sondern auch den Bundeskanzler." In den vergangenen Wochen ist es gelungen, den strategischen nicht unbedingt nachteiligen Eindruck aufrechtzuerhalten, dass mit Martin Schulz ein zweiter Bewerber parat steht. Das gilt erst recht, seitdem klar ist, dass dieser nicht wieder als EU-Parlamentspräsident kandidieren und in die Bundespolitik wechseln wird. Und Scholz? Der Erste Bürgermeister Hamburgs wollte sich dazu nicht äußern. In der Vergangenheit hat er mehrfach bekräftigt, in Hamburg bleiben und 2020 dort wieder antreten zu wollen. Gabriel nannte ihn im Frühjahr schon einmal als möglichen Kandidaten, was Scholz ablehnte.
Besser als 2009 und 2013
Tatsächlich stehen also nur zwei Personen ernsthaft zur Debatte. Wird Gabriel Kanzlerkandidat und Schulz neuer Außenminister? Oder wird Gabriel Außenminister und Schulz tritt gegen Merkel an? Alles ist denkbar. Nur wann ist der geeignete Zeitpunkt, das Rätsel zu lüften? Ist der Januar tatsächlich besser geeignet, weil der erhoffe Effekt sonst zwischen den Jahren, irgendwo zwischen Festtagsgans und Parlamentspause verpuffen könnte? Auch darüber kann man wahrscheinlich streiten. Genug Zeit hat der SPD-Chef, denn Frank-Walter Steinmeier soll erst im Februar zum Bundespräsidenten gewählt werden.
Gabriel hat einen Plan, wie es ablaufen soll, davon muss man ausgehen. Und er wird nicht der einzige sein, der ihn kennt. Zeitpläne sind in der Politik normal und üblich. Man kann es komisch finden, dass die große Frage zwei Monate vor dem Stichtag offenbar längst entschieden ist. Vorwerfen kann man es der SPD eigentlich nicht. Die Sozialdemokraten wollen es eben anders machen als bei den frühen und chaotischen Sturzgeburten ihrer Kandidaten 2009 und 2013. Die Erinnerung mahnt dazu, es diesmal besser und vor allem durchdachter zu machen. Und so oft, wie sich die SPD-Vertreter in den letzten Monaten bei der K-Frage auf einen Zeitplan berufen, wäre es schon etwas peinlich, diesen dann doch nicht einzuhalten.
Den meisten Wählern wird es ziemlich egal sein, ob die SPD ihren Kandidaten im November, Januar oder Februar kürt. Viele Menschen dürften zur Kenntnis nehmen, dass die Partei selbstbewusst genug ist, sich nicht unter Druck setzen zu lassen. Die SPD weiß die Medien durchaus für ihre Zwecke zu nutzen. Die Diskussion beschert ihr seit Wochen zuverlässig noch etwas mehr Aufmerksamkeit als sonst. Trotz der schlechten Umfragen ist die Frage nach dem SPD-Kanzlerkandidaten offenbar auch im Jahr 2016 noch spannend - also muss sie auch wichtig für das Land sein. Auch aus wahltaktischen Gründen ist das nicht das allerschlechteste.
Quelle: ntv.de