Politik

Umstrittenes Atomprogramm Wie nah ist der Iran einer Atombombe?

00:00
Diese Audioversion wurde künstlich generiert. Mehr Infos
Das Satellitenfoto von Maxar zeigt die Nuklearanlage in Fordo, die zum Großteil tief unter der Erde liegt und für herkömmliche Raketen nicht erreichbar ist.

Das Satellitenfoto von Maxar zeigt die Nuklearanlage in Fordo, die zum Großteil tief unter der Erde liegt und für herkömmliche Raketen nicht erreichbar ist.

(Foto: AP)

Der Konflikt zwischen Israel und dem Iran ist an sich schon brisant. Weitere Spannung erhält er durch das iranische Atomprogramm. Teheran arbeitet offenbar an einer Atombombe. Doch wann ist sie einsatzbereit? Und könnte sie noch verhindert werden?

Der erste direkte Angriff des Iran auf Israel hat die Sorge vor einer weiteren Eskalation des Konflikts angefacht. Zwar hat Israel die allermeisten der mehr als 500 Geschosse des Iran und seiner Verbündeten abgefangen. Doch das Land droht mit einem Gegenschlag. Laut dem israelischen Fernsehen gibt es eine ganze Reihe möglicher Ziele: iranische Ölfelder und Militärstützpunkte, Einrichtungen der Revolutionsgarden - oder aber Atomanlagen.

Das seit Jahrzehnten laufende iranische Atomprogramm verleiht dem Konflikt eine besondere Brisanz, denn es eröffnet die Möglichkeit einer atomaren Bewaffnung des Landes - und einer Auseinandersetzung zwischen Atommächten. Denn Israel besitzt Atombomben, auch wenn es das nie offiziell bestätigt hat. Doch kann der Iran gleichziehen? Und wann ist es soweit?

Ulrich Schlie, Professor für Sicherheits- und Strategieforschung an der Universität Bonn sieht den Iran "unmittelbar" vor der Bombe. Die Situation sei "brandgefährlich", sagte er Ippen-Media Der Nuklear-Experte Behrooz Bayat, Senior Fellow am Center for Middle East and Global Order (CMEG), erklärt das differenzierter: "Die Islamische Republik ist nahe daran, genügend radioaktives Material für die Herstellung einer Atombombe zu haben", sagt er ntv.de. Aber das mache noch keine Bombe, schließlich seien dafür noch andere Teile nötig. Dazu gehört etwa ein Trägersystem wie eine Rakete - die ballistischen Raketen, die das Land besitzt, reichen laut Bayat dafür nicht aus. Von einer fertigen Bombe ist der Iran seiner Meinung nach "noch relativ weit entfernt, ich schätze zwei bis drei Jahre, sofern die Entwicklung ungehindert vorangehen kann".

Die Iran-Expertin Azadeh Zamirirad von der Stiftung Wissenschaft und Politik sieht das ähnlich. Gegenüber dem ZDF nannte sie den Iran einen "nuklearen Schwellenstaat", denn er erfülle fast alle technischen Voraussetzungen, um eine Atombombe bauen zu können. Von einer fertigen Waffe sei das Land damit aber "immer noch ein ganzes Stück weit entfernt", sagte sie und nannte Schätzungen von sechs bis achtzehn Monaten. Schneller gehen könnte laut einem Bericht der "Washington Post" der Bau eines einfachen Nukleargeräts, das innerhalb von etwa sechs Monaten fertig wäre, wie die Zeitung unter Berufung auf US-Beamte und Experten der Internationalen Atomenergiebehörde (IAEA) berichtet.

Urananreicherung gewinnt an Tempo

An Uran kann der Iran problemlos kommen - das Land verfügt über natürliche Vorkommen und reichert das radioaktive Element auch selbst an. Jahrelang hat die internationale Gemeinschaft versucht, eine für Waffen nötige Anreicherung von 80 bis 90 Prozent Reinheitsgrad zu verhindern. Mit mäßigem Erfolg. Zwar wurde 2015 die Wiener Nuklearvereinbarung geschlossen und der Iran wollte seine Urananreicherung begrenzen. Doch seit der damalige US-Präsident Donald Trump 2018 die Vereinbarung aufkündigte, ist sie faktisch am Ende.

Seitdem hat die Urananreicherung an Tempo gewonnen. Ende Februar berichtete die IAEA, dass das Land die Produktion von hoch angereichertem Uran stark erhöht habe. Insgesamt verfügt das Land demnach über 121,5 Kilogramm an 60-prozentigem Uran. Für eine Atombombe sind etwa 50 Kilogramm von mindestens 80- bis 90-prozentigem Uran nötig. Es braucht aber nur wenige Wochen, um das Material auf diesen Wert zu bekommen.

Entsprechend besorgt ist der Westen. Er wirft dem Iran seit langem vor, Atombomben entwickeln zu wollen, was Teheran aber stets bestreitet. "Das Argument der Regierung der Islamischen Republik, das Atomprogramm friedlich nutzen zu wollen, ist vorgeschoben. Das Regime im Iran wollte eine Bombe bauen, ob es das noch kann und will, ist ungewiss", sagt Experte Bayat. Ihm zufolge hat das Atomprogramm zwei Ziele: einmal die Abschreckung, um ein Drohpotenzial aufzubauen und politisch-ökonomische Zugeständnisse vom Westen zu erpressen. Und zweitens, eine Atombombe zu bauen, wenn sich eine günstige Gelegenheit bietet.

Expertin Zamirirad sieht beide Ziele in einem engen Zusammenhang: Zur Abschreckung reiche der Status als nuklearer Schwellenstaat aus. "Sollte der Konflikt mit Israel aber weiter eskalieren, dann steigt das Risiko erheblich, dass der Iran versuchen wird, verlorenes Abschreckungspotenzial über eigene Atombomben zu kompensieren."

Militärischer Schlag mit großen Risiken

Das Zeug, eigene Atombomben zu bauen, hat der Iran. Der ehemalige iranische Atomchef sagte kürzlich sehr deutlich, dass sein Land über die technischen Fähigkeiten verfüge, Atombomben zu entwickeln. "Inzwischen entwickelt der Iran sein Atomprogramm selbstständig", sagt auch Bayat. So würden Zentrifugen und Maschinen mit höherer Leistung produziert. "Wenn ein Land auf der technologischen Entwicklungsstufe wie der Iran freie Hand hat und keine Kosten scheut, dann kann es eine Bombe bauen." Allerdings verweist er auf internationale Kontrollen, weil der Iran dem Atomwaffensperrvertrag beigetreten ist. Um diese zu beenden, müsste er erst - wie Nordkorea - aus dem Vertrag austreten.

Bleibt die Frage, ob Israel tatsächlich Atomanlagen bombardieren würde, um die Entwicklung entsprechender Waffen zumindest zu verzögern. Einfach ist das angesichts der massiven Sicherheitsvorkehrungen nicht. "Einerseits gibt es Atomanlagen, die tief unter der Erde liegen", erklärt Bayat. "Zwar gibt es mittlerweile auch bunkerbrechende Raketen, die diese treffen könnten, aber um diese einzusetzen, müssten die USA sich an dem Angriff beteiligen." Das ist unwahrscheinlich, versucht US-Präsident Joe Biden doch, Israel von einem schweren Gegenschlag abzuhalten.

Bleiben jene Atomanlagen, die offen liegen und daher vergleichsweise leicht erreichbar sind. "Allerdings könnte bei solch einem Angriff Nuklearmaterial in die Umgebung gelangen und eine Umweltkatastrophe auslösen", warnt Bayat. Durch Winde könnte das radioaktive Material in der Umgebung verstreut werden. "Ich hoffe, dass Israel sich nicht in so ein Abenteuer stürzt, und glaube, dass sich die Israelis einen solchen Angriff sehr genau überlegen würden und müssen."

Ohnehin lässt sich das Atomprogramm nach den Worten von Zamirirad "mit Militärangriffen nicht mehr zurückfahren". Sie sieht die besten Aussichten in einer politischen Verständigung und erinnert an das Atomabkommen von 2015. Dank technischer Beschränkungen und umfassender internationaler Kontrollen sei Teheran damals "weit vom Bau einer Bombe entfernt" gewesen. Ihre Schlussfolgerung: "Was wir brauchen, ist eine neue Rahmenvereinbarung."

Bayat sieht das anders: "Der beste Weg wäre, das Regime von innen zu schwächen und zu überwinden." Die Voraussetzungen dafür sieht er gegeben, "nur haben die westlichen Länder scheinbar andere Interessen". Er hält das dennoch für den einzig gangbaren und auch nachhaltigen Weg. "Ein Krieg wäre eine Katastrophe. Und ein neues Atomabkommen würde dem Regime der Islamischen Republik eine gewisse Legitimation verleihen. Stattdessen sollten die Protestbewegungen im Iran politisch und diplomatisch unterstützt werden", sagt er. Ein überwältigender Großteil der Menschen im Iran lehne das islamische Regime ohnehin ab.

Quelle: ntv.de

Newsletter
Ich möchte gerne Nachrichten und redaktionelle Artikel von der n-tv Nachrichtenfernsehen GmbH per E-Mail erhalten.
Nicht mehr anzeigen