Politik

Einreise, Versorgung, Verteilung Wie organisiert Deutschland die Aufnahme der Flüchtlinge?

Tausende Menschen aus der Ukraine haben Deutschland bereits erreicht. Berlins Sozialsenatorin Kipping spricht von der "Spitze des Eisberges". Doch was erwartet die Flüchtlinge hier, wie werden sie versorgt und welchen rechtlichen Rahmen gibt es?

Mehr als eine Million Menschen haben die Ukraine bereits verlassen, Tausende sind bereits in Deutschland angekommen. Es dürften noch viel mehr werden. Berlins Sozialsenatorin Katja Kipping von der Linken rechnet mit der größten Flüchtlingswelle seit dem Zweiten Weltkrieg. "Was wir jetzt erlebt haben, ist erst die Spitze eines Eisberges", sagte sie im Deutschlandfunk.

Die Bundespolizei registrierte Stand Freitag 18.436 Einreisen aus der Ukraine - rund 15.000 ukrainische Staatsangehörige sowie Menschen aus Drittländern. Es seien "zum ganz überwiegenden Teil Familien (…), vor allem Frauen und Kinder, die einreisen", hieß es. Allerdings gehen die Behörden von einer hohen Dunkelziffer aus, also von Menschen, die (noch) nicht registriert sind.

Bundesrepublik und Bundesländer stellen sich bereits auf die Flüchtlinge ein und ergreifen entsprechende Maßnahmen. So kündigte Bundeskanzler Olaf Scholz eine intensive Vorbereitung auf die Aufnahme an. Bundesinnenministerin Nancy Faeser sei nun "intensiv dabei, zusammen mit den Ländern die Vorbereitungen für die Aufnahme zu treffen", sagte der SPD-Politiker.

Info-Seiten der Länder zur Ukraine

Bund und Länder haben Überblicksseiten zum Thema Ukraine eingerichtet. Dort gibt es Hinweise zu Hilfsaktionen und Geflüchteten, teils auch auf Ukrainisch und Russisch:

Bundesinnenministerium - Migrationsbeauftragte des Bundes - Baden-Württemberg - Bayern - Berlin - Brandenburg - Bremen - Hamburg - Hessen - Mecklenburg-Vorpommern (PDF) - Niedersachsen - Nordrhein-Westfalen - Rheinland-Pfalz - Saarland - Sachsen - Sachsen-Anhalt - Schleswig-Holstein - Thüringen

Eine wichtige Entscheidung trafen die Innenminister der EU bereits am Donnerstag. Sie einigten sich darauf, den Menschen, die vor dem russischen Angriff flüchten, einen einheitlichen Schutzstatus zuzuerkennen. Das bedeutet, dass sie bis zu drei Jahre innerhalb der EU leben können, ohne einen Asylantrag stellen zu müssen, der ein langes Verfahren nach sich ziehen würde. Die Geflüchteten können damit in Deutschland oder einem anderen EU-Staat, in dem sie den Schutzstatus erhalten, einer Arbeit nachgehen, sind krankenversichert und können ihre Kinder zur Schule schicken. Sie haben damit mehr Freiheiten als Asylsuchende. Die EU-Entscheidung muss allerdings noch in Bundesrecht umgesetzt werden.

Pass oder Schengenvisum

Viele der Flüchtlinge, die nach Deutschland kommen, erreichen zunächst Berlin, das Kipping als "das Tor zu Europa" bezeichnete. "Es werden jetzt erstmal unfassbar viele Menschen mit Zügen aus Polen nach Berlin kommen", sagte die Berliner Integrationsbeauftragte Katarina Niewiedzial dem "Tagesspiegel". Sie erwartet aber, dass viele auch weiterziehen oder bundesweit verteilt werden.

Den ankommenden Menschen stellen sich viele rechtliche, aber auch praktische Fragen, vom Aufenthaltsstatus über die Unterbringung bis zur Corona-Impfung. Das fängt schon bei der An- und Einreise an: Während für die Einreise per Bahn ein ukrainischer Pass oder Ausweis reicht, gibt es für Fahrten innerhalb Deutschlands in DB-Reisezentren das kostenlose "helpukraine"-Ticket.

Prinzipiell dürfen sich Menschen, die einen biometrischen Pass der Ukraine besitzen, auch ohne Visum in Deutschland aufhalten - bis zu 90 Tage, wie etwa Touristen. Ohne Pass ist ein 90 Tage gültiges und verlängerbares Schengenvisum nötig - das gilt etwa für Menschen aus Drittstaaten, die aus der Ukraine geflohen sind. Das Visum ist in deutschen Auslandsvertretungen erhältlich. Menschen mit ukrainischem Pass oder Schengenvisum müssen sich bei ihrer Ankunft in Deutschland zunächst nicht registrieren. Die Umsetzung des EU-Beschlusses könnte hier aber konkrete Vorschriften machen.

Ohnehin registriert Berlin nach Angaben von Sozialsenatorin Kipping bisher nur diejenigen, die es selbst unterbringt oder mit Bussen in andere Bundesländer bringt. Das Land bringe schätzungsweise ein Drittel der Geflüchteten unter, der Rest mache das ganz selbstständig, so Kipping. Sie betonte, dass die Berliner Verwaltung keineswegs überfordert sei.

Unterkunft und Versorgung

Die Bundeshauptstadt schafft laut Kipping zunächst 20.000 Plätze für die Kriegsflüchtlinge. Untergebracht werden die Menschen aber auch in privaten Unterkünften. Dazu zählen nicht nur Verwandte und Bekannte, sondern auch Wohnungen, die zur Verfügung gestellt werden, sowie Angebote von Hotels, Altersheimen und ähnlichen Einrichtungen. Bei einigen Bundesländern können sich Bürger, die Schlafplätze zur Verfügung stellen möchten, bereits online anmelden. Hinzu kommen Netzwerke wie Unterkunft-Ukraine.

Menschen ohne Unterkunft und Verpflegung können sich im Berliner Ankunftszentrum in Reinickendorf melden und werden dort registriert. Geflüchtete dürfen Busse und Bahnen kostenfrei nutzen, zudem gibt es einen Shuttleservice zwischen Hauptbahnhof und Ankunftszentrum. Dort wird den Menschen eine Unterkunft zugewiesen, zudem erhalten sie eine Erstversorgung und Verpflegung. Außerdem gibt es dort die Informationen, wie der Aufenthaltstitel gewährt wird.

Wie die weitere Versorgung der Menschen aussieht - also etwa Sozialleistungen und Gesundheitsversorgung -, wird derzeit von den Behörden noch verhandelt. Laut einer Einigung zwischen Innen- und Arbeitsministerium, über die die Nachrichtenagentur Reuters berichtete, sollen die Kriegsflüchtlinge ähnliche Leistungen wie Asylbewerber erhalten - somit keinen direkten Anspruch auf Hartz IV. Im Gegensatz zu Asylsuchenden sollen die Kriegsflüchtlinge einen sofortigen Zugang zum Arbeitsmarkt haben. Die Arbeitserlaubnis ist in der Aufenthaltserlaubnis enthalten. Zudem soll den Menschen auch der Zugang zu Integrationskursen gewährt werden.

Arbeit und Corona-Impfung

Unterstützung haben bereits Arbeitgeber und Gewerkschaften zugesagt. "Die Unternehmen, Betriebs- und Personalräte stehen bereit, ihren Anteil zu tragen, diese Menschen aufzunehmen, aus- und fortzubilden und in den Arbeitsmarkt zu integrieren", heißt es in einer gemeinsamen Erklärung des Deutschen Gewerkschaftsbunds (DGB) und der Bundesvereinigung der Deutschen Arbeitgeberverbände (BDA). Diese Verfahren müssten rechtssicher und unbürokratisch organisiert werden. "Wir rufen die Bundesregierung auf, diesen Rahmen zu schaffen", erklärte die Verbände.

Unklar ist auch noch, wie genau die Verteilung der Flüchtlinge aussehen sollen. Bayerns Innenminister Joachim Herrmann von der CSU forderte eine faire Verteilung - europaweit. "Die Bundesregierung muss sich jetzt für eine geordnete und gerechte Verteilung der Kriegsflüchtlinge innerhalb der EU einsetzen", sagte der amtierende Vorsitzende der Innenministerkonferenz am Donnerstag. Die große Solidarität in den EU-Mitgliedstaaten stimme ihn hoffnungsvoll, dass dies auch klappe. Innerhalb Deutschlands könne er sich eine Verteilung nach dem Königsteiner Schlüssel vorstellen, sagte Herrmann - die Verteilung richtet sich dann nach Steueraufkommen und Bevölkerungszahl der Bundesländer.

Für die ankommenden Flüchtlinge gelten natürlich auch die jeweils gültigen Corona-Maßnahmen, etwa bei der Benutzung des Nahverkehrs. Die Berliner Verwaltung will Geflüchteten in Kürze Angebote für eine Corona-Impfung unterbreiten. Auch Bundesgesundheitsminister Karl Lauterbach plant entsprechende Angebote. "Dafür wird es leicht verständliche Aufklärungsbögen in ukrainischer Sprache geben", sagte der SPD-Politiker dem "Spiegel". Laut Bundesgesundheitsministerium verfügt nur etwa ein Drittel der Ukrainerinnen und Ukrainer über eine Corona-Schutzimpfung - davon wiederum ein Drittel mit dem chinesischen Impfstoff Sinovac, der in der EU nicht zugelassen ist.

Quelle: ntv.de, mit dpa/AFP/rts

ntv.de Dienste
Software
Social Networks
Newsletter
Ich möchte gerne Nachrichten und redaktionelle Artikel von der n-tv Nachrichtenfernsehen GmbH per E-Mail erhalten.
Nicht mehr anzeigen