Politik

"Historische Entscheidung" EU einigt sich auf Schutzstatus für Geflüchtete

In Deutschland sind offiziell bislang 5500 Geflüchtete aus der Ukraine registriert worden.

In Deutschland sind offiziell bislang 5500 Geflüchtete aus der Ukraine registriert worden.

(Foto: picture alliance/dpa)

Mehr als eine Million Ukrainer sind bereits vor dem Krieg aus ihrem Land geflohen. Viele von ihnen könnten Schutz in der EU suchen. Die EU-Staaten einigen sich darauf, Geflüchtete unkompliziert aufzunehmen. Damit zeigen sie sich so geschlossen wie selten bei dem Thema.

Die Kriegsflüchtlinge aus der Ukraine könnten schon in den nächsten Tagen ein einjähriges Aufenthaltsrecht in der Europäischen Union bekommen. Die EU-Staaten einigten sich darauf, die Flüchtenden schnell und unkompliziert aufzunehmen. EU-Innenkommissarin Ylva Johansson sprach von einer "historischen Entscheidung".

"Wir müssen uns auf Millionen Flüchtlinge vorbereiten, die in die Europäische Union kommen", sagte Johansson am Rande eines Treffens der EU-Innenminister in Brüssel. Seit Beginn des Krieges haben nach Angaben des UN-Flüchtlingshilfswerks UNHCR schon mehr als eine Million Menschen das Land verlassen. Allein in Polen haben mehr als 500.000 Menschen Zuflucht gesucht.

In Deutschland seien zunächst 5500 Menschen registriert worden, sagte Bundesinnenministerin Nancy Faeser im Deutschlandfunk. Tatsächlich dürften bereits deutlich mehr Geflüchtete angekommen sein. Viele von ihnen reisen direkt zu Verwandten und Freunden - ohne sich bei den Behörden zu melden. Im Fokus steht unter anderem Berlin. Allein am Mittwoch seien fünf Züge aus Warschau mit insgesamt 3000 bis 4000 Menschen gekommen, sagte Sozialsenatorin Katja Kipping. "Heute sind es noch einmal deutlich mehr, die insgesamt kommen." Kipping betonte: "Das, was auf uns zukommt, wird enorm."

Ukrainer mit biometrischem Reisepass dürfen sich ohne Visum 90 Tage lang frei in der EU bewegen. Man müsse jedoch auf den 91. Tag vorbereitet sein, sagte Johansson zuletzt. Deshalb schlug die EU-Kommission vor, erstmals die Richtlinie für den "massenhaften Zustrom" Vertriebener zu nutzen. Die EU-Staaten stimmten nun zu, letzte Details dürften auf Botschafterebene ausgearbeitet werden. Die Richtlinie wurde in Folge der Kriege der 1990er Jahre im ehemaligen Jugoslawien geschaffen und soll auch eine Überlastung der Asyl-Behörden verhindern. So ächzte etwa das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge während und nach der großen Fluchtbewegung 2015 und 2016 unter der Vielzahl der Asylanträge. Den Schutzsuchenden werden überall in der EU bestimmte Rechte eingeräumt, etwa der Zugang zu Sozialhilfe sowie eine Arbeitserlaubnis.

Faeser sieht "Paradigmenwechsel"

Die gemeinsame Migrations- und Asylpolitik ist normalerweise kein Feld, in dem sich die EU-Staaten auf einer Linie zeigen. Seit Jahren streiten sie erbittert insbesondere über die Verteilung Schutzsuchender. Heftiger Widerstand gegen eine verpflichtende Verteilung kommt vor allem von Staaten wie Polen und Ungarn, die nun besonders von der Fluchtbewegung aus der Ukraine betroffen sind. Plötzlich zeigt sich die EU geschlossen, wie auch bei den harten Sanktionen gegen Russland. Alle Länder seien bereit, die Geflüchteten aufzunehmen, sagte Faeser. Dies sei "ein bisschen ein Paradigmenwechsel". Und sie fügte hinzu: "Ich hoffe, dass diese Humanität auch beibehalten wird."

Ein Schlüssel für die Verteilung der Schutzsuchenden aus der Ukraine ist nach Faesers Worten derzeit nicht nötig. "Viele der Geflüchteten gehen zu Freunden und Angehörigen in anderen Ländern", sagte die SPD-Politikerin. Sie verwies auf große Gruppen ukrainischer Staatsangehöriger etwa in Spanien und Italien. Bislang haben die Nachbarländer der Ukraine noch nicht einmal um Unterstützung bei der Aufnahme der Kriegsflüchtlinge gebeten. Die große Mehrheit der ukrainischen Flüchtlinge will laut UNHCR-Sprecher Chris Melzer in Nachbarländern wie Polen bleiben.

Vor allem Frauen und Kinder flüchten

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Aus der Ukraine fliehen hauptsächlich Frauen und Kinder. Die Regierung in Kiew hat ukrainischen Männern im Alter zwischen 18 und 60 Jahren die Ausreise untersagt, sie unterliegen der Wehrpflicht. Der Andrang an den polnischen Grenzübergängen sei aktuell geringer als in den vergangenen Tagen, sagte Melzer. Da viele Menschen bei Verwandten, Freunden, in angemieteten Wohnungen oder bei hilfsbereiten Polen privat unterkämen, seien Sporthallen und Jugendherbergen noch nicht voll. Sollten sich die russischen Angriffe auch auf den Westen der Ukraine ausdehnen, dürften jedoch noch viel mehr Menschen fliehen.

Komplette Eintracht bestand bei den Innenministerin in Brüssel dann allerdings doch nicht. Streitpunkt war vor allem die Frage, ob der temporäre Schutz für alle Menschen aus der Ukraine gelten soll, also auch für jene ohne ukrainischen Pass. Österreichs Innenminister Gerhard Karner verwies auf Vorbehalte bei seinem Land und anderen Staaten wie Polen, der Slowakei und Ungarn. Nach einer Sitzung der EU-Botschafter waren die letzten Unstimmigkeiten schließlich ausgeräumt. So müssen unter anderem die Staatsangehörigen bestimmter Länder fünf Jahre in der Ukraine gelebt haben, um den Schutzstatus zu erhalten, wie es aus Diplomatenkreisen hieß. Die einzelnen EU-Staaten können die Regel jedoch auch großzügiger auslegen.

Quelle: ntv.de, Michel Winde und Anne-Béatrice Clasmann, dpa

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