Politik

Wieduwilts Woche Wo bleibt der Krawall der jungen Generation?

Da war doch was? Aufkleber vom März 2019.

Da war doch was? Aufkleber vom März 2019.

(Foto: www.imago-images.de)

Klimaschutz ist out, wir leben im Hier und Jetzt. Statt zusammenzurücken, stampfen die Älteren mit den Füßen auf - nur ein paar junge Irre kleben sich auf Straßen fest.

Man kann den Überblick etwas verlieren, in diesen Zeiten: Pandemie, Krieg, politisch unkorrektes Liedgut ("Layla", immer geiler), wie sollen unsere mürben Hirne da denn noch mitkommen? Da ist allerdings diese eine Sache, vor der diese eine Schwedin immer warnte - richtig: Klimadings, na, -wandel.

In Erinnerung ruft diese leider global relevante Unpässlichkeit im Moment lediglich ein Haufen von Medien-Momenthelden mit Sekundenkleber unter den Händen. Sie nerven, sie sind ein bisschen peinlich, sie wollen eine Zukunft, die ihnen die Älteren nicht gönnen. "Die letzte Generation" kreischt und klebt sich theatralisch auf Autobahnen fest, sie geht allen auf den Geist, die noch etwas zu erledigen haben. Videos von inzwischen robusteren Polizeieinsätzen auch auf deutschen Straßen werden umweht von einer gewissen Genugtuung all jener, die sich "Normalität" wünschen: Zupft diese Kinder von der Straße, wir wollen unsere Ruhe.

Dabei haben die Verklebten in einem Recht: Die Welt dreht sich nicht gerade zum Besseren. Wie der Klimawandel die Situation in Deutschland verändert, lässt sich vielerorts prima nachlesen, etwa in "Deutschland 2050" von Toralf Staud und Nick Reimer. Die durchaus auch nervige, weil nervositätssteigernde Lektüre sei empfohlen, man bekommt es jetzt auch über die Bundeszentrale für politische Bildung, für schmale 4,50 Euro.

Interessiert Sie Klimaschutz?

Klima wie in Pamplona herrsche dann in Hamburg, in Berlin sei es so muckelig wie in Toulouse, schreiben die Autoren. Minutiös listen sie auf, was hier alles anders wird: Kälteräume werde man brauchen, wo sich Bürgerinnen und Bürger vor der Hitze schützen können. Igel und Kuckuck würden bedroht sein, heißt es, neue Mückenarten hingegen das Denguefieber verbreiten. Migrationsströme in ungeahnter Dimension würden zu einem Thema nationaler Sicherheit. Wenn Sie glauben, der Metallschrotthaufen namens Deutsche Bahn sei jetzt schon dysfunktional, dann warten Sie auf das wüstenartige Klima, in dem keine Lok mehr anspringt und die Reifen auf schmelzendem Asphalt steckenbleiben.

Aber, ganz ehrlich, interessiert Sie und mich das eigentlich? Ich will es einmal so ausdrücken: 2050 bin ich siebzig. Klar möchte ich dann nicht den Rest meiner dann wohl überschaubaren Zeit schwitzen, aber meine wesentlichen Lebensziele habe ich dann hoffentlich abgehakt, den Rest erledige ich zu Hause. Noch ältere wiederum müssen sich gar nicht um diesen Zeitraum scheren: Die Kids kommen schon zurecht, aber jetzt haben wir gerade andere Sorgen und, im Übrigen: mit mir die Ahrtalflut, nach mir die Sintflut.

Das ist das Dilemma. Die Politik, letztlich per definitionem zum Auflösen gesamtgesellschaftlicher Dilemmata bestimmt, hat es nicht leicht: Das Dringende drängt immer dringlicher, Energiepreise, Wohlstandsverfallsangst, sozialer Frieden. Und so setzt die Ampel, ausgerechnet die Ampel, im Notfall doch wieder auf Kohle.

Nichts brennt in der Republik

Der Klimawandel gerät dabei in den Hintergrund, nicht nur dort, wo er anderen Prioritäten zum Opfer fällt. Einen bundesweiten Hitzeaktionsplan etwa gibt es nicht, manche Bundesländer machen da was, andere nicht, man schiebt die Verantwortung auf die Kommunen, so etwas wie Koordination ist nicht ersichtlich. Deutschland macht also, was es am besten kann: Auf Zuständigkeitsbäumchen verweisen.

Inzwischen bemühen die Jungen die Gerichte, damit sich die Alten noch um ihre Zukunft scheren, etwa vor dem Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte. Das Bundesverfassungsgericht erfand kurzerhand eine Art intertemporale Gerechtigkeit in Sachen CO2-Emission - also einen Handlungsanspruch im Hier und Jetzt, um Freiheitsverluste in der Zukunft zu verhindern. Das war eine juristische Revolution. Nicht erst seitdem hagelt es Klagen: VW soll den Verbrenner einstellen, verlangte etwa kürzlich ein Landwirt.

Es ist eigentlich ein Wunder, dass Deutschland gerade nicht durch einen handfesten Generationenkonflikt zerrissen wird. Zu Zeiten der Halbstarkenkrawalle in den 1950er Jahren ging es nur gegen die auch sexuelle Verklemmtheit des Zeitgeistes. Heute dulden die Viertelstarken praktisch jede Einschränkung und noch viel mehr: Nachdem die heutige Schülergeneration zwei Jahre an die Pandemiemaßnahmen verloren hat, wirklich verloren, droht ihr an Universitäten womöglich bald ein Nachschlag: Wenn das Heizen nämlich zu teuer und die Hörsäle zu kalt sind, heißt die Lösung, schon wieder, Daheimbleiben. Es wird dann wieder aus der Ferne unterrichtet. Was die Frage aufwirft: Wieso brennt eigentlich noch nichts in der Republik? Sind "die jungen Leute" vernünftig oder nur matt?

Enthemmtes Hygieneverhalten

Zumal die ältere Generation die jüngere geradezu zum Duell herausfordert. Es sind vor allem störrische Männer, die angesichts der aktuellen Problemlagen mit Auskünften über ihr persönliches Warmwaschverhalten glänzen. Bundestagsvizepräsident Wolfgang Kubicki duscht, bis er "fertig" ist, auch der Journalist Helmut Markwort informierte über sein völlig enthemmtes Hygieneverhalten. So ist das halt auf den letzten Biografiemetern: Alles Künftige ist zweitrangig. Und weil die große Tatsache, der Klimawandel, zwar gesichert ist, nicht aber die Wirkweise einzelner Maßnahmen, laufen wir schon wieder auf Erkenntnistreibsand wie in der Pandemie.

Zwischen diesen Fronten gibt es kaum einen Mittelweg, die Brücken sind eingerissen, neue baut und erzwingt niemand. Die Klimaaktivisten unterstellen allen Maßsuchenden Vernichtungswillen oder Dummheit. Manche Ältere reagieren auf Mahnungen mit hysterischen Lachemojis, glühendem Mädchenhass, gern in Gestalt von Anti-Greta-Thunberg-Kofferraumaufklebern. Dazwischen klafft ein politischer Hohlraum, in den sich niemand mehr vorwagt. Ist die Klimapolitik auch deshalb aus den Talkshows gerutscht? Die lautesten Mahnungen zum Energiesparen kommen gerade aus der Bundesregierung. Wie brav und bieder kann eine Gesellschaft eigentlich sein?

"Fridays for Future" waren einmal die bekanntesten Klimaschützer. Heute hat die Bewegung ihren Protest auf Podien verlagert, selbst zum Jahrestag der Ahrtal-Flut spielt sie eine deutlich geringere Rolle als noch vor einigen Monaten. Sie stellen die angemessen mahnenden Statisten in den Debatten der Erwachsenen. Ihre Mahnungen und der Sekundenkleber der "letzten Generation" sind zur letztlich dezenten Begleitmusik des Katastrophenmanagements geworden.

Abgesagte Revolution

Die Revolution ist also offenbar abgesagt. Das ist im Jetzt tatsächlich recht angenehm. Die Zukunft wird uns das womöglich nicht verzeihen - aber dann sind wir ja, mit etwas Glück, nicht mehr da.

Quelle: ntv.de

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