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Obwohl "die Welt brennt" Warum bestehen wir auf Mallorca-Urlaub und SUV?

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Koffer packen und ab zum Flughafen: Für viele ist die Flugreise im Sommer selbstverständlich.

(Foto: picture alliance / Daniel Kubirski)

Längst wissen wir, dass Flugzeuge Unmengen an CO2 ausstoßen und SUV echte Klimasünder sind. Auf seine Reise in den Süden oder den Geländewagen will trotzdem kaum einer verzichten. Gesellschaftsnormen lassen uns kaum eine andere Wahl, sagt Gerhard Reese. Der Professor für Umweltpsychologie an der Universität Koblenz-Landau erklärt im Interview mögliche Gründe für unser paradoxes Verhalten - und warum man in der Klimakrise nur bedingt auf individuelle Verantwortung setzen kann.

ntv.de: Die Bedrohung durch den Klimawandel ist uns allen bekannt. Hitzewellen, Dürren und Starkregen wie im Ahrtal werden wahrscheinlicher - erst recht, wenn wir nichts dagegen tun. Trotzdem bestehen wir auf unseren Mallorca-Urlaub, den SUV oder die Alufolie. Wie passt das zusammen?

Gerhard Reese: Das ist die komplizierteste Frage. Es gibt nicht die eine Antwort, warum das bei allen Menschen so ist. Aber es gibt Aspekte, die mit einer hohen Wahrscheinlichkeit Einfluss haben: Wenn ich in einem Haushalt groß geworden bin, in dem immer alles mit Folie eingepackt wurde, dann werde ich das auch weiter machen. Wenn es schon immer jede Woche sieben Mal Fleisch gab, dann werde ich das auch so fortführen. Wenn ich immer mit dem Auto zur Schule gebracht wurde, ist es normal, dass das Auto allgegenwärtig ist. Hier wird direkt sichtbar: Es gibt eine Reihe an Gewohnheiten, die mit dem sozialen Kontext, in dem wir groß werden, interagieren. Wenn meine ganzen Freunde in den Urlaub fliegen, habe ich das Gefühl, dass ich irgendetwas verpasse, wenn ich einfach an die Ostsee oder in den Thüringer Wald fahre. Genauso ist es, wenn meine Nachbarn sich ein großes, neues Auto kaufen. Vielleicht denke ich dann: Oh, das hat ja bestimmt gute Gründe, vielleicht sollte ich das auch machen. Es ist auch eine verfestigte Norm in Deutschland, mit 18 Jahren den Führerschein zu machen. Eine große Rolle spielen dabei Narrative. Wir leben etwa in einer Gesellschaft, die Konsum sehr belohnt. Altmaier sagte zum Beispiel letztes Jahr in der "Bild": "Einkaufen ist eine patriotische Aufgabe." Man sieht: Der Konsum wird über alles gestellt. Wir sollen kaufen, wir sollen reisen. Der Standard - das, was wir gesellschaftlich machen sollen - ist also oft genau das Gegenteil von klimabewusstem Verhalten. Deswegen ist es zu kurz gedacht, nur auf die individuelle Verantwortung zu setzen. Es kann jeder von uns einen Beitrag leisten, aber wir müssen das Ganze viel systemischer denken.

Wie müsste dieses System aussehen?

Wir agieren als Menschen ja nicht in einem Vakuum. Es reicht nicht, Menschen umweltbewusst zu machen und dann zu denken, sie werden sich schon dementsprechend verhalten. Es ist ein Wechselspiel mit dem System, in dem wir leben. Wir bräuchten eine Politik, die bestimmte Rahmenbedingungen setzt, in denen wir bestimmte Verhaltensweisen einfacher zeigen können. Zum Beispiel kann es helfen, umweltschonende Güter und Handlungen günstiger und klimaschädliche teurer zu machen. Damit sich am Ende nicht nur Menschen mit viel Geld Brot und Milch leisten können, braucht es eine Umverteilung. Manch Niedrigverdiener schert sich vielleicht nicht um seinen ökologischen Fußabdruck, aber er hat eben auch einen vergleichsweise geringen. Dadurch, dass er sich die ganze Fliegerei und das große Auto nicht leisten kann, ist es nicht er, bei dem die politische Debatte ansetzen muss. Studien zeigen: Je höher das Einkommen, umso größer der ökologische Fußabdruck. An bestimmten Stellen sind daher Verbote nützlich, denn sie sind das Gerechteste, was wir machen können: Was verboten ist, ist verboten - da können sich reiche Menschen auch nicht rauskaufen. Jetzt haben wir gerade noch die Chance, als Gesellschaft zu entscheiden, an welchen Schrauben wir drehen. Die Generation in 20, 30 Jahren wird diese Chance vielleicht nicht mehr haben.

Durch die Bundestagswahl hatten wir als Gesellschaft gerade die Chance, an diesen Stellschrauben zu drehen. Allerdings haben viele Menschen ihre Wahlentscheidung nicht primär vom Klimawandel abhängig gemacht - auch nicht im Ahrtal, wo viele Menschen die schlimmen Folgen unmittelbar zu spüren bekommen haben. Warum?

Ein Grund wird sein, dass dieses konkrete Ereignis noch nicht ganz bewusst mit dem Klimawandel in Verbindung gebracht wird. Zudem ist politische Zugehörigkeit eine sehr stabile Sache. Das ist ein gutes Beispiel: Man hat immer gesagt, die Menschen müssen die Folgen nur am eigenen Leib spüren, dann wird sich was ändern. Jetzt sehen wir, dass die Welt brennt und sich trotzdem kaum etwas ändert. Entweder ist die ursprüngliche Theorie falsch oder es gibt noch viele andere Faktoren, die eine Rolle spielen. Welche das sind, ist eine große Frage.

Werden mehr Menschen umweltbewusst handeln, wenn die Naturkatastrophen zunehmen?

Möglich ist das. Wenn Naturkatastrophen häufiger passieren und das auch als Folge der Klimakrise benannt wird, nehmen wir ein größeres Risiko für uns und Freunde und Familie wahr. Allerdings gibt es eine sogenannte Optimismus-Verzerrung: In der Regel glauben wir, dass wir selber weniger wahrscheinlich von etwas Schlimmen betroffen sind als andere. Wir brauchen einen Bewusstseinswandel, keine Frage. Der wird es aber alleine nicht richten - wir brauchen eben auch Rahmenbedingungen, die uns unterstützen.

Sie sagten, Menschen in 20, 30 Jahren werden die Wahl, wie sie etwas gegen den Klimawandel tun, vielleicht nicht mehr haben. Die Lebensumstände werden sich durch die Folgen des Klimawandels stark verändert haben. Vor allem junge Menschen sorgen sich deswegen schon jetzt um ihre Zukunft - sie haben Klimaangst. Inwiefern unterstützt Klimaangst ein umweltbewussteres Verhalten?

In einer neuen Studie haben wir tatsächlich einen Zusammenhang zwischen Klimaangst und Unterstützung klimapolitischer Maßnahmen sowie Umweltschutz festgestellt. Das heißt, je stärker die Klimaangst ist, desto größer war auch die Bereitschaft, etwas zu tun. Es ist also anscheinend nicht so, dass Klimaangst dazu führt, dass wir größtenteils den Kopf in den Sand stecken. Das heißt natürlich nicht, dass es reicht, den Menschen Angst zu machen. Es ist aber ein weiterer Punkt, der in die Entscheidung, sich umweltbewusst zu verhalten, mit hineinspielen kann.

Welche Gruppen verhalten sich am klimaschädlichsten? Gibt es beispielsweise Unterschiede zwischen Jung und Alt?

Da gibt es kaum Studien. Ich vermute, dass es eine stärkere Betroffenheit bei den Jüngeren gibt. Gleichzeitig sollte man keinen Konflikt zwischen Jung und Alt heraufbeschwören. Gerade in den Generationen Ü50 und Ü60, die sich in den 1980er-Jahren an Kernkraftwerke gekettet haben, fühlen sich Menschen sonst über einen Kamm geschert. Diese Generation ist genauso wenig eine homogene Gruppe, wie die Bewegung Fridays for Future die ganze Jugend repräsentiert. Auch gibt es zum Beispiel die Annahme, dass Menschen mit Kindern umweltbewusster sind. Gleichzeitig sieht man, wie viele Eltern mit ihren Kindern in den Urlaub fliegen oder Mütter, die mit ihrem Jeep beim Bioladen vorfahren. Das soll kein Bashing sein, sondern zeigt, wie die Psychologie an die Grenze gesellschaftlicher Normen kommt. Diese Normen dem Klimawandel anzupassen bringt mehr, als individuelle Ausrutscher an den Pranger zu stellen.

Mit Gerhard Reese sprach Sarah Platz

Quelle: ntv.de

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