
Wie einst Mao: Ein Bild von Xi Jingping im Museum der KP Chinas. Darunter steht: "Ich werde kein Ego haben und für das Volk leben".
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Es ist kein harter Bruch, den Chinas Präsident Xi vollführt. Doch die Abkehr vom wirtschaftlich offenen China ist offensichtlich. Eine "Resolution zur Geschichte" zementiert seine Macht auf Jahrzehnte - und führt den Personenkult wieder ein.
Mao, Deng und nun Xi: Mit der Annahme einer sogenannten Resolution zur Geschichte wird Chinas amtierender Präsident zum dritten Säulenheiligen der Volksrepublik erhoben. Neben Staatsgründer Mao Tsetung und Reformer Deng Xiaoping steht Xi Jingping künftig für eine eigene Ära. Er wird nicht nur eine dritte Amtszeit anstreben, sondern könnte sogar auf Lebenszeit regieren. Hinter dem Schritt des Zentralkomitees der Kommunistischen Partei steckt mehr als eine Huldigung des starken Mannes. Es ist auch eine Rückkehr zum Personenkult und eine Zementierung von Xis Kurs - der künftig den Westen noch stärker herausfordern wird.
Eine "Resolution zur Geschichte" dient dazu, "bedeutende Errungenschaften und historische Erfahrungen" der KP Chinas aufzuzählen. Tatsächlich wird die nun verabschiedete Resolution, die bisher nur in Auszügen veröffentlicht wurde, aber genutzt, um Partei und Land auf den Kurs Xis einzuschwören und seine Politik als ideologisches Fundament der kommenden Jahrzehnte festzuschreiben. "Beharrlich" solle die Position Xis "als Kern der Partei" hochgehalten werden, heißt es etwa.
"Die Resolution ist ein äußerst wichtiges Parteidokument, das im Konsens verfasst und abgeschlossen wird", sagt Valarie Tan, wissenschaftliche Mitarbeiterin beim Mercator Institute for China Studies (MERICS). Sie sieht in der Resolution vor allem ein Propaganda-Dokument, das "ein wichtiges Instrument für Xi sein wird, um seinen Kritikern und möglichen Gegnern zuvorzukommen, die seine Autorität und Politik in Frage stellen könnten".
Xis mächtige Vorgänger hatten solche Resolutionen auf gleiche Weise genutzt. Mao machte sich damit 1945, noch vor Gründung der Volksrepublik, zum starken Mann Chinas und legte seine Linie als einzig richtige fest. Deng rechnete dann 1981 mit Maos Herrschaft und dem Terror vor allem während der "Kulturrevolution" ab - und führte das Land auf einen Kurs der wirtschaftlichen Reform und Öffnung.
Mächtiger als der Staatsgründer
Doch auch diese Ära ist nun vorbei. Auch wenn Xi eine Abrechnung mit der Vergangenheit vermeidet, grenzt er sich doch deutlich ab. Die Resolution kommt aber auch nicht zu Beginn seiner Amtszeit, sondern auf ihrem Höhepunkt. Seit 2012 ist er Generalsekretär der KP, im Jahr darauf wurde der 68-Jährige Präsident. Dank der Aufhebung der Begrenzung der Amtszeit, die Deng als Lehre aus der Mao-Zeit eingeführt hatte, dürfte Xi Ende kommenden Jahres zum dritten Mal zum mächtigsten Parteivertreter gewählt werden. Auch eine Herrschaft auf Lebenszeit ist möglich.
Xi wandelt damit auf den Spuren Maos. Innerparteilich ist er bereits jetzt mächtiger als der Staatsgründer. Seit seinem Amtsantritt hat Xi konsequent Konkurrenten und Widersacher ausgeschaltet. Mittel zum Zweck war eine Anti-Korruptions-Kampagne, die führende Parteikader genauso traf wie einflussreiche Banker und Wirtschaftsführer. Innerparteiliche Opposition muss Xi nicht mehr fürchten. Im Gegenteil: Experten sehen viel mehr die Wiedergeburt des "Führerkults", offiziell umschrieben als "demokratischer Zentralismus". Die ohnehin vor allem mit Gefolgsleuten besetzten Parteigremien werden entmachtet, Xi zum autoritären Herrscher.
Die Resolution befasst sich deshalb auch weniger mit der Vergangenheit, als vielmehr mit der Fortführung der Ära Xi. Ohne scharfen Bruch hat er das Land von Dengs Kurs der wirtschaftlichen Reform und Öffnung weggeführt, und stattdessen wieder die Ideologie ins Zentrum gerückt - auch hier auf den Spuren Maos, wenn auch unter modernen Vorzeichen. An Stelle von Dengs Pragmatismus setzt Xi die Durchsetzung der Ideologie.
Seit Jahren schon strafft die KP die Zügel, geht hart gegen missliebige Künstler, Oppositionelle etwa in Hongkong oder muslimische Minderheiten in Xinjiang vor, bringt aber auch allzu mächtig gewordene Konzernchefs auf Linie. Das bekannteste Beispiel ist der Milliardär Jack Ma, der kurz vor dem Börsengang seiner Ant Group diszipliniert wurde und vorübergehend aus der Öffentlichkeit verschwand. Der wegen Kritik entlassene chinesische Politikprofessor Wu Qiang fürchtet "eine Zerstörung der Zivilgesellschaft", die im Zuge des wirtschaftlichen Aufschwungs entstand, wie er der Deutschen Presse-Agentur sagte.
Grund für Xis Kurs dürfte nicht nur die finanzielle Macht der chinesischen Großkonzerne sein, die im Falle von Schieflagen das ganze Wirtschaftssystem mitreißen könnten - siehe die Schwierigkeiten des Immobilienkonzerns Evergrande. Auch die durch die wirtschaftliche Öffnung zunehmende Spaltung der Gesellschaft wird zum Problem und gefährdet die Macht der Partei. In diesem Jahr rief Xi stattdessen den "gemeinsamen Wohlstand" als Ziel aus, bis 2050 will er die große soziale Ungleichheit im Land abbauen. Große Konzerne reagierten bereits mit wohltätigen Spenden auf den neuen Kurs.
Chinas "unberechenbare Herausforderung"
Der harten Kontrolle und Ideologisierung im Inneren, die auch als bewusste Abgrenzung vom kapitalistischen Westen verstanden werden muss, entspricht Chinas zunehmend aggressives Auftreten nach außen. Xi setzt auf nationalistische Töne, ihm schwebt eine Wiederauferstehung alter chinesischer Größe vor. Ex-Politikprofessor Wu warnte vor einer "unberechenbaren Herausforderung" für Chinas Nachbarn und die internationale Ordnung. "Nach außen wird der Nationalismus mehr Blindheit und Irrationalität zeigen."
So steigt etwa der Druck auf die Republik China auf Taiwan seit Jahren. Die Insel gehörte nie zur Volksrepublik, Peking sieht sie gleichwohl als Teil Chinas und strebt ihre Eingliederung an. Militärische Drohgebärden wie zuletzt die Entsendung Hunderter Militärmaschinen in Richtung Taiwan sollen die dortige Regierung einschüchtern und auf einen China-freundlichen Kurs zwingen. Doch auch eine militärische Eroberung wird längst unverhohlen ins Spiel gebracht. Auch der Territorialkonflikt im Südchinesischen Meer wird unter Xi ungleich aggressiver geführt als unter seinen Vorgängern - unter Verweis auf historische Karten.
Zwar stellt sich Xi immer wieder als Verfechter von Globalisierung und Multilateralismus dar. Gleichzeitig treibt er jedoch die Abschottung chinesischer Märkte voran, und versteht internationale Zusammenarbeit nur unter der Bedingung chinesischer Vormachtstellung. Dieser Kurs wird die chinesische Politik in den kommenden Jahren, wenn nicht Jahrzehnten bestimmen.
Die USA treten diesem Führungs- und Machtanspruch energisch entgegen - Präsident Joe Biden mag zwar in der Ausführung weniger aggressiv sein als sein Vorgänger Donald Trump, in der Sache unterscheiden sie sich aber kaum. Die EU dagegen ist in ihrem Kurs noch unentschieden, zwischen wirtschaftlicher Zusammenarbeit mit China und Abgrenzung bei einigen Themen. Xis Machtanspruch und aggressiver Ton könnte die Europäer dazu bringen, sich etwa in der Taiwan-Frage klarer gegen China zu positionieren.
Wie schwer die Konfrontation mit Peking am Ende wird, hängt auch davon ab, wie fest Xi dann noch im Sattel sitzt. In einem Jahr, auf dem 20. Parteikongress, will er sich für eine dritte Amtszeit als Generalsekretär wählen lassen. Die "Resolution zur Geschichte" ist dafür ein wichtiger Schritt. Die Wiederwahl hängt auch von der wirtschaftlichen Entwicklung des Landes ab. Die Schuldenkrise von Evergrande und anderen Konzernen, die schwächelnden Wachstumszahlen, weitere Handelsstreits mit den USA, auch die nach wie vor nicht besiegte Corona-Pandemie und das zunehmend rigide Vorgehen gegen Oppositionelle sowie gegen Popstars und Popkultur könnten Xi Widerspruch bescheren. Dann wäre der gerade erst ausgerufene Säulenheilige schnell am Ende.
Quelle: ntv.de