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Hauchdünnes Ja für Schwarz-Rot Berlins SPD ist unrettbar zerstritten

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Franziska Giffey sagte am Sonntag bei der Bekanntgabe des Abstimmungsergebnisses, sie sei "sehr erleichtert".

Franziska Giffey sagte am Sonntag bei der Bekanntgabe des Abstimmungsergebnisses, sie sei "sehr erleichtert".

(Foto: picture alliance/dpa)

Die Sozialdemokraten sind eine zuverlässige Kraft der Mitte. Noch jedenfalls. Der Mitgliederentscheid in Berlin über Schwarz-Rot zeigt, dass sich weite Teile der Partei davon verabschiedet haben, was die Mehrheitsgesellschaft will.

Die Berliner SPD ist in drei Lager gespalten: Da sind erstens diejenigen, die eine Koalition mit der CDU wollen, zweitens die Mitglieder, die lieber das rot-grün-rote Bündnis fortgesetzt hätten, sowie drittens jene, die ihre Partei lieber in der Opposition gesehen hätten, um den künftigen Kurs zu klären. Je nach Standpunkt und Hang zum Zynismus könnte man sagen, damit sind die Sozialdemokraten - wenigstens in der Hauptstadt - noch immer eine echte Volkspartei, weil ihre Mitgliederschaft die Gesellschaft gut widerspiegelt und genauso zerstritten ist wie die Bevölkerung. Die einen wollen in der Mitte bleiben, die anderen möchten die Partei deutlich weiter nach links rücken. Manche klingen sogar politisch rechts.

"Der neue Faschismus wird nicht sagen: Ich bin der Faschismus. Er wird sagen: Ich bin Sinem Taşan-Funke und habe ein (sic!) Migrationshintergrund", schrieb ein Spandauer SPD-Mitglied auf Twitter an die Adresse der Juso-Landesvorsitzenden Sinem Taşan-Funke, die sich gegen Schwarz-Rot ausgesprochen hatte. Das Statement verfremdete ein Zitat, das dem italienischen Mussolini-Gegner und Schriftsteller Ignazio Silone zugeschrieben wird, der erst Kommunist war, später der Sozialdemokratie nahestand: "Der neue Faschismus wird nicht sagen: Ich bin der Faschismus. Er wird sagen: Ich bin der Antifaschismus." Die Aussage wird in rechten Kreisen verwendet, um vor linker Intoleranz zu warnen.

"Feind, Todfeind, Parteifreund" ist als Zitat von Franz Josef Strauß überliefert und passt gut zur zerstrittenen Berliner SPD, die am Sonntag mit lausigen 54,3 Prozent ihren Vorsitzenden Franziska Giffey und Raed Saleh folgte, in eine Koalition mit der CDU einzuwilligen. Erstaunlich ist, dass unter den 45,7 Prozent, die eine Regierung von Christ- und Sozialdemokraten ablehnten, eine beachtliche Zahl von Parteimitgliedern war, die gerne Rot-Grün-Rot neu aufgelegt hätten, also das dilettantische Bündnis, das die Berliner im Februar abgewählt hatten, auch wenn es rein rechnerisch eine Mehrheit hat oder nun vielmehr: gehabt hätte.

Kühnert torpediert Giffey - aber erst kurz vor Ende des Votums

Was interessiert die SPD, was die Bevölkerung will. Darin zeigt sich, dass der stark von Kevin Kühnert, SPD-Generalsekretär im Bund, beeinflusste Landesverband noch weiter nach links gerutscht ist, als er es ohnehin schon ist. Kühnert hatte Mitte März verkünden lassen, die Bundespartei kommentiere "grundsätzlich keine laufenden Koalitionsgespräche", das sei allein Ländersache. Der Generalsekretär hat entweder keine Ahnung, was sein Sprecher öffentlich zum Besten gibt, oder er legt es sehr gewitzt aus, was eher zu Kühnert passt.

Nachdem die Koalitionsgespräche beendet worden waren, also nicht mehr "laufen", erklärte er in Interviews mit dem "Spiegel" und "The Pioneer", erschienen an den letzten Tagen des Mitgliederentscheids über Schwarz-Rot, was Kühnert von Kai Wegener, dem Berliner CDU-Vorsitzenden und bald Regierenden Bürgermeister, hält: wenig bis nichts. "Gerade die Personalie Kai Wegner ist eine, die ich als Berliner für mehr als gewöhnungsbedürftig halte", sagte er. "Dieser Mann verkörpert wenig von meiner Heimatstadt, in der ich seit bald 34 Jahren lebe. Mir tut das weh."

Das ist typisch für Kühnerts Politikverständnis. Natürlich ging es ihm in erster Linie nicht darum, seine Vorbehalte gegen den Christdemokraten zu bekunden, sondern Giffey und Saleh eins reinzuwürgen und ihnen das Leben noch schwerer zu machen, als sie es sowieso haben werden in dem schwarz-roten Bündnis, das - erst recht nach den mageren 54,3 Prozent - alles andere als eine "Große Koalition" ist. Es ist ein offenes Geheimnis, dass die zwei Landesvorsitzenden und der Generalsekretär keine allerbesten Freunde sind. Kühnert sägt an den Stühlen des Führungsduos, um jemanden zu installieren, der weiter links steht als Giffey und Saleh, die weder Konzerne enteignen wollen noch Jugend- und Clan-Kriminalität verniedlichen.

Die Berliner Jusos, die mit Kühnert bestens verdrahtet sind, hatten sich klar gegen Schwarz-Rot in Stellung gebracht, weil es mit der CDU "keine soziale und gerechte Stadt geben" könne, da sie "mit rechtspopulistischen Inhalten Wahlkampf gemacht" habe. Dabei verwiesen sie immer wieder auf einen schlechten Witz des Neuköllner Jugendstadtrats Falko Liecke sowie die dümmliche, sinnlose, undurchdachte und sehr wohl rassistische Anfrage der Christdemokraten im Landesparlament nach den Vornamen der Randalierer der Silvesternacht, die die Partei im Übermut des Aufwindes im Wahlkampf gestellt hatte.

Liecke hatte im Februar 2022 auf Twitter unter ein Foto nach der Wahl von Ricarda Lang und Omid Nouripour als neue Grünen-Chefs "Ich wünsche ein fröhliches 'Allahu Akbar'" geschrieben, den Post bald wieder gelöscht und sich dafür entschuldigt. Die SPD aber, die ständig Toleranz predigt, kramt den "Scherz" immer wieder raus, um die CDU als Gesamtpartei anzuzählen. Die Christdemokraten, die nicht frei von unfähigen Leuten sind, schafften es nicht, geheim zu halten, dass Liecke Jugendstaatssekretär im neuen Senat werden soll - ein gefundenes Fressen für die Gegner von Schwarz-Rot. Allerdings: Eine überflüssige Anfrage und einen blöden Scherz zum Kern der Berliner CDU zu erklären, ist maßlos überzogen.

Keine Volkspartei mehr

Besonders übel ist, dass die Befürworter von Rot-Grün-Rot in der SPD kein Problem damit hatten, Verkehrssenatorin Bettina Jarasch erneut in Regierungsverantwortung, Giffey aber scheitern zu lassen. Es war die Grünen-Politikerin, die die Regierungschefin hintergangen und großen Anteil daran hatte, dass die Stimmung in dem bisherigen Regierungsbündnis zuletzt nicht mehr die allerbeste war. Jarasch hatte Giffey nicht informiert, dass sie die Friedrichstraße zur Fußgängerzone erklären wird - nicht unbedingt ein vertrauensbildender Akt. Kurzum: Ein Teil der SPD-Basis hätte es in Kauf genommen, ihre Vorsitzende abzusägen und Jarasch den späten Triumph zu gönnen.

Angesichts dieses Verhaltens ihrer eigenen Partei leuchtet ein, warum Giffey und Saleh versuchen, das magere Ergebnis pro Schwarz-Rot als "klare Mehrheit" und -noch größerer Unsinn - "Richtungsentscheidung" zu verkaufen, "die weit über das hinausgeht, was die nächsten drei Jahre betrifft". Da wird Kühnert schon kräftig dagegenhalten. Man ist geneigt, sich bei Giffey für Kritik zu entschuldigen, dass sie nach der Wahl im Herbst 2021 ihr Versprechen gebrochen hat, eine Koalition der bürgerlichen Mitte zu bilden. Erst jetzt wird klar, wie groß der Druck des linken Flügels gewesen sein muss, der die Grünen und die Linke vergöttert.

Beispielhaft dafür steht die heftige Kritik in der hauptstädtischen SPD an den Äußerungen des ehemaligen Bundestagspräsidenten Wolfgang Thierse, der vor zwei Jahren vor Aggressionen gegen die Mehrheitsgesellschaft warnte. Das Berliner SPD-Mitglied hielt "die Verlagerung ins Identitätspolitische für problematisch, zum Beispiel finde ich wichtiger als Sprachänderung, dass wir am Gender-Pay-Gap arbeiten". Und weiter: "Einen Teil der Arbeiterschaft haben wir bereits verloren. Das muss uns doch beschäftigen als Partei!" Tut es aber nicht. Denn die SPD ist in Berlin wie generell in Ostdeutschland nicht mal mehr ansatzweise eine Volkspartei.

Quelle: ntv.de

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