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Zu Unrecht verpönt Die GroKo ist tot, lang lebe Schwarz-Rot

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Franziska Giffey und Kai Wegner tuscheln am Montag bei der Vorstellung ihres Koalitionsvertrags, der von ihren Parteien jeweils noch abgesegnet werden muss.

Franziska Giffey und Kai Wegner tuscheln am Montag bei der Vorstellung ihres Koalitionsvertrags, der von ihren Parteien jeweils noch abgesegnet werden muss.

(Foto: IMAGO/Bernd Elmenthaler)

Koalitionen aus Union und SPD sind durch die Merkel-Jahre in Verruf geraten. Doch Berlin zeigt, dass das Bündnis kein Auslaufmodell ist. Allerdings müssen Christ- und Sozialdemokraten liefern.

Der Unterschied in der Schreibweise ist gering, aber dennoch eine Kampfzone in Deutschland, auch in der Politik. "Berlinerinnen und Berliner", heißt es in dem diese Woche veröffentlichten Koalitionsvertrag von SPD und CDU. Im Abkommen der rot-grün-roten Vorgängerregierung war stets von "Berliner*innen" die Rede. Dass den Genderstern eine konstante Mehrheit der Bevölkerung, auch Frauen, ablehnt, hatten SPD, Grüne und Linke beharrlich ignoriert.

An 32 Stellen des 149 Seiten starken rot-grün-roten Koalitionsvertrages war von "Gewalt" in unterschiedlichen Zusammenhängen die Rede, etwa gegen Frauen, Asylbewerber und Personen, die aufgrund ihrer geschlechtlichen Identität Opfer werden, aber kein einziges Mal in Bezug auf Islamisten, als habe es den mörderischen Anschlag auf den Weihnachtsmarkt an der Gedächtniskirche nie gegeben. Die Große Koalition wiederum hebt in ihrer Vereinbarung hervor: "Rechtsextremismus ist derzeit die größte Gefahr für unsere Demokratie. Darüber hinaus stellt auch der Phänomenbereich des Islamismus eine große Bedrohung dar."

Richtig. Auch in der Reihenfolge. Linke und Grüne in Berlin aber haben die Augen verschlossen vor bestimmten Gefahren nach dem Motto: Es kann nicht sein, was nicht sein darf - und damit viele Menschen verprellt und verloren, die sehr wohl auch (!) im radikalen Islamismus eine Bedrohung sehen und diese klar benannt haben möchten, statt sie zu verniedlichen, zu bemänteln oder gar auszuklammern.

Auch das neue Bündnis wird es schwer haben

Wie sehr Ignoranz von Gewaltpotenzial unterschiedlicher Motivation nach hinten losgehen kann, bekam die scheidende Regierende Bürgermeisterin Franziska Giffey nach der Silvesterrandale zu spüren, als sie vor den Trümmern ihrer Politik stand. Die Sozialdemokratin war es, die die SPD schon 2021 in eine bürgerliche Koalition führen wollte, ihr Versprechen aber brach oder besser: brechen musste, weil ihr die Basis nicht folgen wollte und sie in ein Bündnis mit Grünen und Linke zwang.

Es ist Giffey hoch anzurechnen, dass sie nun den Weg ebnete für ein schwarz-rotes Bündnis, obwohl sie die Chance gehabt hätte, Regierungschefin einer rot-grün-roten Koalition zu bleiben. Die SPD-Frau zeigte damit, dass Machtstreben eben doch nicht immer oberste Gebote in der Berufspolitik sind - auch das ein bedeutendes Signal.

Wichtig sind die Ankündigungen von CDU und SPD, endlich wieder eine Politik zu machen, die weniger polarisiert und die Menschen, wie es immer so schön heißt, mitzunehmen versucht. In Zeiten der Unruhe und Ungewissheit kann es ohnehin keine Regierung in Bund und Ländern allen recht machen. Auch das neue Bündnis wird es schwer haben, die verkrustete Verwaltung zu reformieren, die Bildungsmisere in Berlin zu entschärfen und die Hauptstadt gegen den Klimawandel zu wappnen, ohne Privathaushalte und Unternehmen in Übermaß zu verärgern.

Die GroKo war ein Graus

Ob die Friedrichstraße geschlossen bleibt oder wieder geöffnet wird, steht nicht im Koalitionsvertrag. Wie so vieles andere auch nicht. Die Vereinbarung ist Beleg für Unsicherheit sowie Verhandlungs- und damit Konfliktpotenzial. "Prüfen" - auch in Variationen wie "wird geprüft" und "Überprüfung" - taucht an 208 Stellen im Koalitionsvertrag auf.

Trotzdem: Probieren muss es Schwarz-Rot. Die Verantwortung, dass es gelingt und Berlin tatsächlich Fortschritte erzielt, zumindest Licht am Ende des Tunnels sichtbar wird, ist eine immense Last. Versagen die zwei Parteien, bleiben ihre Versprechen unerfüllt, wird die Frustration zunehmen. Gelingt das Miteinander und sind echte Fortschritte erkennbar, wäre es ein Sieg der Vernunft. Und die Rehabilitation der in Verruf geratenen Großen Koalition - ein Begriff, von dem sich Deutschland endlich verabschieden sollte, da die SPD schon lange keine Volkspartei im herkömmlichen Sinne mehr ist und auch CDU und CSU nicht mehr wirklich.

In der Regierungszeit von Angela Merkel hat das Image des Bündnisses aus Union und SPD spürbar gelitten. Die bloße Existenz der GroKo war für viele ein Graus, schon weil sie konsequent die Mitte bediente und deshalb vermutlich zur Stärkung der Ränder führte. Umso wichtiger ist es, wie in Berlin, ein Bündnis des Ausgleichs zu schaffen, das nicht einfach nach Gutsherrenart und Pseudobeteiligung der Bevölkerung eine zentrale Straße für den Verkehr sperrt, ohne den Leuten ausgiebig zu erklären, warum das sein muss.

Deutschland muss lernen, dass Schwarz-Rot eine von vielen Varianten ist, in der sich demokratische Parteien zusammentun. Von einer (angeblich) Großen Koalition wird stets nur Großes erwartet - Unsinn. Wenn wir als Öffentlichkeit Schwarz-Rot oder Rot-Schwarz als ganz normale Bündnisse betrachten, hat das auch Auswirkungen darauf, wie wir die anderen Parteien sehen. Dann wäre endlich Schluss damit, dass Grüne und SPD sich gegenseitig vorwerfen, wenn sie mit der ach so bösen CDU koalieren (wollen). Das war schon immer lächerlich - und ist es erst recht in Zeiten, wo einem das Lachen zu oft im Halse stecken bleibt.

Quelle: ntv.de

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