Streit über Schwarz-Rot "In der Berliner SPD laufen Dinge - das geht gar nicht"
19.04.2023, 11:30 Uhr Artikel anhören
Franziska Giffey will künftig mit der CDU von Kai Wegner koalieren, als Juniorpartnerin. Am Sonntag ist klar, ob ihr Plan aufgeht.
(Foto: picture alliance/dpa)
Die Sozialdemokraten in Berlin stimmen noch bis Freitag über eine Koalition mit der CDU ab, am Sonntag wird das Ergebnis veröffentlicht. Die Vorsitzende des SPD-Ortsverbands "Kreuzberg 61", Hannah Lupper, spricht von heftigem Druck aus dem Landesvorstand auf die Basis, dem Bündnis zuzustimmen. Hier erklärt sie die Stimmungslage.
ntv.de: Frau Lupper, wie ist die Stimmung in der Berliner SPD?
Hannah Lupper: Sehr gemischt. Der Streit zwischen Befürwortern und Gegnern einer Koalition mit der CDU zieht sich durch den gesamten Landesverband. Es gibt gute Gründe, dafür zu stimmen, und genauso gute Gründe, dagegen zu sein. In meinem Ortsverband Kreuzberg 61 sind rund 75 Prozent gegen Schwarz-Rot. Das ist natürlich nicht repräsentativ für die gesamte SPD der Stadt, aber in seiner Deutlichkeit doch überraschend klar. Insofern hat das Votum auch Aussagekraft über die generelle Stimmung.

Hannah Lupper ist Vorsitzende des SPD-Ortsverbandes "Kreuzberg 61" im Berliner Bezirk Friedrichshain-Kreuzberg.
(Foto: privat)
Und Sie selbst: Wie entscheiden Sie sich?
Ich stimme dagegen. Einerseits aus bundespolitischen Erwägungen. Denn Berlin müsste sich im Falle einer schwarz-roten Koalition im Bundesrat enthalten und somit Beschlüsse der Ampel blockieren. Aber auch, weil es sich bei der Berliner CDU um die Partei handelt, die Friedrich Merz folgt, stockkonservativ ist und die Vornamen mutmaßlicher Straftäter erfahren will, um daraus sehr fragwürdige Schlüsse zu ziehen. Das macht es für uns nicht leicht, eine Kooperation mit den Christdemokraten zu begrüßen.
Die Drehbuchautorin Anne Rabe beschwerte sich auf Twitter über Beleidigungen und Drohungen, "weil ich mich gegen den Koa-Vertrag ausspreche und gegen die Art und Weise, wie die Parteispitze ihre Macht ausspielt". Gibt es Druck? Spüren Sie den auch?
Auf jeden Fall. Seit Wochen erreichen uns an der Basis täglich E-Mails des Landesvorstandes, in denen die Segnungen der Großen Koalition gepriesen werden. Aber Gegenpositionen kommen darin nicht vor. Gegnerinnen und Gegnern von Schwarz-Rot bleiben faktisch nur die Medien, um sich Gehör zu verschaffen. Die parteiinternen Kanäle sind für sie verschlossen. Es laufen zwar die Mitgliederforen, in denen aber auch nur auf Druck der Jusos Gegenpositionen auf dem Podium vertreten sind. Ohne die wären die Kritiker gar nicht zu Wort gekommen.
Wenn die SPD-Basis der Führung nicht folgt, wird den Landesvorsitzenden Franziska Giffey und Raed Saleh nichts anderes als der Rücktritt übrig bleiben. Richtig?
Zunächst müssen alle das Mitgliedervotum respektieren. Mein Eindruck ist, dass die Skeptiker und Kritiker es durchaus akzeptieren werden, wenn die Mehrheit für eine Koalition mit der CDU votiert. Kommt das Bündnis nicht zustande, ist es wichtig, dass die Berliner SPD erst einmal diskutiert, warum wir das schlechteste Wahlergebnis seit 1990 hatten. Und dazu gehört auch der interne und öffentliche Umgang mit denen, die dem Landesvorstand in der Koalitionsfrage nicht folgen wollten. Es ist ja ein Unding, dass die unteren Gremien wie Kreisparteitage und Arbeitsgemeinschaften dazu angehalten werden, nicht abzustimmen und sich nicht zu positionieren.
Sie beziehen sich hier auf die Mail von Landesgeschäftsführer Sven Heinemann an alle Gliederungen der Partei, sich neutral zu verhalten und nicht abstimmen zu lassen.
Genau. Diese Gremien sind ja eigentlich dafür da, erst zu diskutieren und dann eine Haltung zum Ausdruck zu bringen. Politische Gremien sollen schließlich politische Beschlüsse fassen, sie sind keine Zierde oder Alibiveranstaltungen. Der Landesvorstand verhindert nicht nur Positionierungen, sondern nimmt sich zugleich das Recht heraus, eine Werbekampagne pro Schwarz-Rot zu fahren, wie toll der Koalitionsvertrag ist und dass das alles voll super wird. Die Kritiker aber sollen sich zurückhalten und möglichst schweigen. Das habe ich in der krassen Form noch nicht erlebt in der Berliner SPD. Da laufen Dinge - das geht gar nicht.
Was zum Beispiel?
Schon vor der Mail von Sven Heinemann wurde auf unserem Kreuzberger Parteitag die Tagesordnung kurzfristig geändert, eine Generalaussprache angesetzt, sodass keine Zeit mehr bleiben sollte, einen Beschluss zu Schwarz-Rot zu fassen. Das haben die Delegierten abgewendet. Und ich weiß, dass das nicht der einzige Parteitag war, bei dem es so ablief. Das war in mehreren Kreisverbänden so. Die Mail mit dem Aufruf zur Neutralität war der Höhepunkt des Ganzen.
Aber am Ende sollte doch sowieso jede und jeder seinem Gewissen folgen und für sich entscheiden, was sie oder er will.
Na klar, es gibt keinen Zwang. Umso wichtiger ist eine offene Debatte im Vorfeld des Mitgliederentscheids. Ich habe mir das sehr genau überlegt, wie ich abstimme, war anfangs offen für das Bündnis mit der CDU. Aber es passt einfach nicht. Wobei ich auch sagen muss: Gute Optionen hat die SPD momentan sowieso nicht. Die CDU ist allerdings die schlechteste von allen.
Schwarz-Rot wollen Sie persönlich nicht. Was raten Sie der SPD?
Rot-Grün-Rot neu aufzulegen, wird unter den aktuellen Voraussetzungen auch nicht funktionieren. Die Stimmung zwischen SPD und Grünen ist alles andere als gut. Es hat auf beiden Seiten viele verbale Attacken gegeben, auch schon kurz vor der Wahl. Deshalb fände ich den Gang in die Opposition richtig, damit wir uns so umfassend neu sortieren können, dass wir wieder als Partei erkennbar sind. Denn in einer rot-grün-roten Koalition sind wir immer die Bremse, die Grüne und Linke stoppen, und in einem Bündnis mit der CDU werden wir die Partei sein, die der Union ein paar Leistungen für sozial Schwache abringt. Beides macht keinen Spaß und ist für Wählerinnen und Wähler unattraktiv, wie das Ergebnis vom Februar gezeigt hat.
Mit Hannah Lupper sprach Thomas Schmoll
Quelle: ntv.de