
US-Präsident Trump im Gespräch mit Abgeordneten.
(Foto: REUTERS)
In Frankreich sorgt der Pharmakonzern Sanofi für Empörung, weil er einen möglichen Impfstoff im Zweifelsfall zuerst an die USA liefern will. Doch sich über das Unternehmen zu ärgern, führt am Kern des Problems vorbei.
In Frankreich scheint die Pharma-Industrie mal wieder ihrem schlechten Ruf voll gerecht zu werden. Der Konzern Sanofi strich zwar in den vergangenen Jahren hohe Millionenbeträge in Form von staatlichen Forschungskrediten ein. Doch jetzt, wo es darauf ankommt, zeigt sich das Unternehmen unpatriotisch. Habe man einen Impfstoff gegen das Coronavirus entwickelt, werde Sanofi als Erstes die USA beliefern, sagte Generaldirektor Paul Hudson und löste damit einen Sturm der Entrüstung aus.
Es ist leicht, sich über so eine Äußerung aufzuregen. Überraschend kommt sie aber nicht. Zwar ist das Coronavirus eine Herausforderung für den gesamten Planeten und rein moralisch ist es kaum zu rechtfertigen, warum nun gerade US-Amerikaner mehr Anrecht auf Impfschutz haben sollten als andere Menschen auf der Welt. Ein Impfstoff müsse allen gleichermaßen zur Verfügung stehen, fordert daher nicht nur die EU-Kommission, sondern gerade auch 140 Präsidenten, Ex-Politiker und UN-Vertreter.
Doch Hudsons Begründung hat auch ihre Logik: Er rechtfertigt die mögliche vorrangige Belieferung der USA mit deren Zahlungen. Deren Regierung habe investiert, um ihre Bevölkerung zu schützen. Daher habe sie nun das Recht auf die größten Vorbestellungen. Das ist die übliche Marktlogik, so tickt die Wirtschaft nun einmal. Das kann man nun besonders kalt und verachtenswert finden, aber überraschend ist es nicht. Sanofi macht das, was Unternehmen eben machen: Produkte herstellen, Kunden beliefern. Zumal die Sache gar nicht so dramatisch ist, wie sie klingt. Sanofi versicherte, dass man keineswegs exklusiv an die USA liefern wolle. Man werde auch in Europa produzieren, so es denn zügig genehmigt werde. Das wiederum gelobte die EU dann auch zu tun.
Hauen und Stechen oder gemeinsame Lösung?
Unberechtigt ist die Empörung in Frankreich und anderswo dennoch nicht. Denn der Fall widerspricht jenem Bestreben, dass nun, in der Krise, die den gesamten Planeten betrifft, nicht Gewinninteressen oder nationale Egoismen den Ton angeben sollten. Das Coronavirus stellt die gesamte Menschheit vor eine Herausforderung - besteht man sie einigermaßen vereint oder kommt es zu einem Hauen und Stechen, einem Gedränge und Prügelei um den ersten Impfstoff? Offensichtlich hat sich US-Präsident Donald Trump für letztere Variante entschieden. Dass das mächtigste Land der Welt sich auf diesen Kurs begibt, ist die eigentliche Enttäuschung. Und nicht, dass Unternehmen sich danach richten.
Trumps "America First"-Politik zeigt hier ihre hässlichste Seite. Diesmal geht es nicht um Zölle und Handelsdefizite, sondern um Menschenleben. Es ginge auch anders - wie es etwa der designierte Präsidentschaftskandidat der Demokraten, Joe Biden, fordert. Amerika solle global führen, meint er, vorangehen, nicht (nur) egoistisch sein. Etwa so wie 2014, als der damalige Präsident Barack Obama den Kampf gegen den Ebola-Ausbruch in Afrika zur Chefsache machte. Das Gegenteil passiert jetzt. Kaum überraschend beteiligten sich die Amerikaner nicht an der internationalen Geberkonferenz, bei der die EU 7,4 Milliarden Euro für Medikamente und Impfstoffe im Kampf gegen die Pandemie einsammelte. Stattdessen versuchte Trump, das Tübinger Unternehmen CureVac einzukaufen, das ebenfalls an einem Serum arbeitet.
Legitimes Eigeninteresse
Es ist einfach geworden, mit dem Finger nach Washington zu zeigen - weil der dortige Präsident es einem so einfach macht. Aber würden die Europäer tatsächlich anders handeln? Würden sie in der EU hergestellten Impfstoff zunächst, sagen wir nach Afrika schicken, weil er dort ebenso, wenn nicht noch dringender benötigt wird? Wohl kaum. Wie viel internationale Solidarität in Deutschland herrscht, zeigte sich etwa, als die Masken knapp wurden. Die Regierung erließ einen Exportstopp, obwohl die Lage in Italien zu kollabieren drohte, aber hierzulande noch ruhig war. Egoismus ist keine rein amerikanische Spezialität.
Es gibt natürlich ein legitimes Eigeninteresse der Staaten. Aber Eigeninteresse und radikaler Egoismus sind zwei verschiedene Dinge. Globale Herausforderungen verlangen globale Antworten. Und die müssen nicht Unternehmen wie Sanofi geben, sondern die politischen Führungsfiguren rund um den Globus. Der amerikanische Präsident wäre jemand gewesen, der einen Xi Jinping, einen Wladimir Putin und einen Narendra Modi in eine Videokonferenz bringen könnte. Aber solange sich da nichts tut, regiert der Egoismus weiter.
Quelle: ntv.de