Waffe wird dringend benötigt Deutschland sollte Taurus liefern - aus Eigennutz


Der in Deutschland entwickelte Taurus, montiert an einem Eurofighter.
(Foto: bernhardhuber.com )
Der Kanzler hat es klar gemacht: Eine Taurus-Lieferung an die Ukraine kommt nicht in Frage, "und dabei bleibt es". Scholz' Begründung ist falsch und zeigt vor allem: Er hat nicht verstanden, wie wichtig der Sieg der Ukraine für Deutschlands Sicherheit ist.
Eine Mehrheit der Deutschen gibt Bundeskanzler Olaf Scholz in der Taurus-Frage recht. 56 Prozent der Bundesbürger halten es laut dem aktuellen RTL/ntv-Trendbarometer für richtig, die Präzisionswaffe den stark unter Druck geratenen Ukrainern nicht zur Verfügung zu stellen. Ist das nicht am Ende des Tages Nachweis genug, dass der Kanzler mit seiner Zurückhaltung richtig, nämlich in einer sehr sensiblen Frage mit der Mehrheit auf einer Welle liegt?
Schön wär's, wenn sich der Krieg in der Ukraine in seiner Dynamik an die Lernkurve Deutschlands zu moderner Kriegsführung anpassen würde. Wie steil diese Lernkurve in den vergangenen zwei Jahren verlaufen ist, wieviel das Land gelernt hat - ein aus heutiger Sicht schon historischer Tweet macht es sichtbar:
Es gilt anzuerkennen, dass sich die Bundesregierung von den naiven bis zynischen Hilfslieferungen einer damaligen Verteidigungsministerin Christine Lambrecht hochgearbeitet hat zu schweren, effektiven, mithin ernstzunehmenden Waffen. Wer in der Ukraine unterwegs ist, staunt unweigerlich, wie vielen Menschen dort das Fliegerabwehrsystem Iris-T-SLM, der Flakpanzer Gepard oder die Panzerhaubitze 2000 ein Begriff sind. Allein, es reicht nicht.
Entscheidend in diesen Tagen ist eben nicht unsere Lernkurve, sondern der Druck des russischen Aggressors, dem die ukrainischen Truppen derzeit - an Munition unterlegen - nur mit größter Mühe widerstehen. Der Widerstand kostet viele tausend Menschenleben, er kostet den Mut derjenigen, die sich jetzt mobilisieren lassen müssten, um die nach zwei Jahren so erschöpften Frontsoldaten abzulösen. Und womöglich ist es nur eine Frage der Zeit, wann Moskaus Truppen im Osten des Landes ein weitreichender, auch strategisch bedeutender Durchbruch durch die Verteidigungslinien gelingt.
Diese prekäre Frontsituation muss für die Bundesregierung ausschlaggebend sein. Nicht die Liste dessen, was alles schon geschickt wurde, nicht die sieben Milliarden, die 2024 im Haushalt eingestellt sind und auch nicht das von Scholz so häufig bemühte Eigenlob, in der Liste der stärksten Unterstützer hinter den USA an zweiter Stelle zu stehen. Zumal es im Ranking, das sich an der Stärke der Wirtschaftsleistung orientiert, nur noch für Platz 10 reicht.
Die westlichen Demokratien müssen jetzt dafür Sorge tragen, dass die dramatische Situation an der Front sich so schnell wie möglich stabilisiert - zum einen, indem die EU bei den Munitionsherstellern, die derzeit noch am Weltmarkt anbieten - die Tschechen haben eine Quelle aufgetan, auch in Pakistan wird produziert -, einkauft, was möglich ist. Ja, Pakistan ist kein guter Partner für Waffengeschäfte - in der jetzigen Situation darf das keine Rolle spielen.
Alle technischen Hürden lassen sich nehmen
Zum anderen muss der reichhaltige Waffen- und Munitionsnachschub der russischen Truppen unterbrochen werden. Damit die krasse Überlegenheit der Russen von 10 zu 1 bei Artilleriemunition gestoppt wird. Für dieses dringende militärische Unterfangen wäre der hochpräzise agierende und speziell gegen russische Abwehrsysteme resistente Taurus das Mittel der Wahl.
Alle technischen Hürden ließen sich dabei nehmen. Das Programmieren des Marschflugkörpers ist weit weniger kompliziert, als die Bedienung des in der Ukraine erfolgreich genutzten Patriot-Flugabwehrsystems. Auch gegen die Beherrschung eines westlichen F-16-Kampfjets sind die Ansprüche, die eine Taurus-Rakete an die Bedienung stellt, überschaubar. In der Vergangenheit wurde der Marschflugkörper in die spanische und die südkoreanische Armee integriert, ohne dass dafür extra abgestellte Bundeswehr-Soldaten mitgereist wären. Scholz' Argument, für Taurus wären Bundeswehrsoldaten in Kiew nötig, ist vorgeschobener Nonsens und eines Kanzlers nicht würdig.
Ebenso wie ukrainische Piloten außerhalb des Landes an F-16 geschult werden, ukrainische Richtschützen und Panzertruppen sich in Deutschland mit dem Leopard II oder dem Marder vertraut machen, können ukrainische Programmierer den Umgang mit Taurus erlernen. Einzig entscheidende Voraussetzung: Es muss der Wille da sein, der Ukraine den Sieg zu ermöglichen.
Dazu ist nicht einmal besonders große Solidarität mit den tapfer Kämpfenden notwendig. Es reicht die Erkenntnis, dass in den kommenden Monaten womöglich entscheidende Weichen in der Frage gestellt werden, wie man, wie die nächste Generation zukünftig in Europa leben wird: ob in Freiheit, Selbstbestimmtheit, in souveränen Nationalstaaten mit anerkannten Grenzen - oder bedroht durch einen mit Gebietsgewinnen belohnten, gestärkten russischen Eroberer, der seinen Feldzug gegen westliche Werte und westliche Territorien ausweitet und Diktaturen wie Nordkorea und den Iran an seiner Seite weiß. Klingt absurd? Wie wahrscheinlich klang eine vollständige russische Invasion in die Ukraine vor fünf Jahren?
Der Westen muss sich wappnen - jetzt
Der russische Diktator Wladimir Putin meint es insofern gut mit den westlichen Ländern, dass er kaum eine Gelegenheit auslässt, seine Abscheu gegenüber dem freiheitlichen Lebensstil, der Achtung von Menschenrechten, den demokratischen Systemen auszudrücken. Eine noch deutlichere Sprache spricht der Kreml-Haushalt für 2024: 30 Prozent des Budgets für das laufende Jahr gehen direkt in den Wehretat. Sechs Prozent der russischen Wirtschaftskraft sollen in den Krieg fließen. Moskau macht sich bereit für eine Ausweitung des Krieges.
Wenn die Ukraine diesen Krieg verliert, ist - erstens - die Naivität und Desorganisiertheit der westlichen Unterstützer dafür verantwortlich und - zweitens - der Weg geebnet für Putins Plan, die westlichen Bündnisse herauszufordern und auseinanderzutreiben. Soweit muss es nicht kommen. Wird es aber mit großer Wahrscheinlichkeit, wenn die westlichen Demokratien, wenn wir uns nicht abverlangen, die Bedrohung anzuerkennen und uns gegen sie zu wappnen. Auch, und jetzt vor allem, indem wir die Ukraine so schnell wie möglich mit dem ausstatten, was sie braucht, um Putins Truppen nicht nur zu bremsen, sondern zurückzudrängen. Taurus gehört dazu.
Quelle: ntv.de