"Längst widerlegtes Argument" Scholz' Taurus-Aussagen bekommen heftigen Gegenwind


Deutschland wird auch weiterhin keine Taurus-Marschflugkörper an die Ukraine liefern.
(Foto: Andrea Bienert/Bundeswehr/dpa)
Bundeskanzler Scholz erteilt einer Lieferung von Taurus eine klare Absage. Die Argumente, die er dafür liefert, stoßen bei Experten und Fachpolitikern auf starken Widerspruch.
In der Ukraine sorgen die klaren Worte des Bundeskanzlers wahrscheinlich für Ernüchterung, in Deutschland lösen sie bei Experten und Fachpolitikern Empörung und Wut aus: Trotz der verheerenden Lage an der Front erteilt Kanzler Olaf Scholz einer Taurus-Lieferung eine klare Absage. Er begründet das erneut mit der Warnung, Deutschland könne dadurch Kriegspartei werden. Auch, weil bei einer Lieferung der Marschflugkörper deutsche Soldaten auf ukrainischem Boden agieren müssten.
Sicherheitsexperte Gustav Gressel vom European Council on Foreign Relations (ECFR) widerspricht den Aussagen des Kanzlers. Für die Übergabe von Taurus an die Ukraine würde es nicht den Einsatz deutscher Soldaten auf ukrainischem Boden benötigen. "Das ist Herstellersache", so Gressel zu ntv.de. Die Taurus Systems GmbH, die ihren Sitz im bayerischen Schrobenhausen hat, sei demnach für die Programmierung und die Einführung in das System verantwortlich, nicht das Militär. "Es ist die Aufgabe des Herstellers, mit an den Ort zu reisen, an den der Taurus übergeben wird und sich die dazugehörigen Träger anzuschauen und die Programmierung zu übernehmen", so Gressel.
Das sei auch bei Lieferungen von Taurus in der Vergangenheit so gelaufen. Beispielweise in Südkorea: Nicht die Bundeswehr sei in das Land gereist, um den Taurus zu verkaufen, sondern Mitarbeiter der Taurus Systems GmbH. Das Gleiche gilt laut Gressel auch für andere Waffen, wie IRIS-T: Der Hersteller übergibt der Ukraine das System und fährt regelmäßig in die Ukraine, um die Systemeinführung zu betreuen. Dafür brauche es auch kein Bundestagsmandat. "Es ist einfach keine Kreativität da, wie mit der Lage umgegangen werden kann", so der Militärexperte.
"Längst widerlegtes Argument"
"Ich fürchte, der Bundeskanzler wurde falsch beraten", schreibt auch der Grünen-Bundestagsabgeordnete Robin Wagener auf X. "Es braucht KEIN Bundestagsmandat. Der Taurus kann - wie andere Systeme - unabhängig der Bundeswehr eingesetzt werden."
Widerspruch an der Argumentation von Scholz kommt auch von der FDP-Politikerin Marie-Agnes Strack-Zimmermann. Der Einwand des Kanzlers sei ein "längst widerlegtes Argument", schrieb die Vorsitzende des Verteidigungsausschusses im Bundestag auf X. "Deutsche Soldaten werden für Taurus NICHT auf ukrainischem Boden benötigt. Die Behauptung des Bundeskanzlers ist falsch."
Scholz argumentiert zudem erneut mit der Reichweite des Taurus: "Es ist eine sehr weitreichende Waffe", sagte der Kanzler auf einer Medientagung, und spielte damit auf die Möglichkeit an, dass der Taurus mit einer Reichweite von rund 500 Kilometern Ziele auf russischem Territorium treffen könnte. Allerdings hat Kiew bereits mehrfach beteuert, dass sie mit Taurus nicht vorhaben, Russland direkt anzugreifen.
Zum anderen spricht das ukrainische Militär seine Ziele mit den westlichen Lieferanten meist ab - so wie mit den Briten beim Angriff mit dem Storm-Shadow-Marschflugkörper oder mit Frankreich beim Scalp. Scholz sagt dazu, dass die Zielsteuerung und die Begleitung der Zielsteuerung, die Briten und Franzosen machen, in Deutschland nicht möglich sei. "Das weiß auch jeder, der sich mit diesem System auseinandergesetzt hat."
Sicherheitsexperte Gressel widerspricht dem. "Das wäre auch bei Taurus möglich", sagt er. Dafür müsse man lediglich klassifizierte Geo-Daten den Ukrainern geben, was über bereits existierende Protokolle möglich sei. Diese müssten nur angepasst werden.
"De facto eine Stärkung Russlands"
Kritik an der Aussage des Kanzlers kommt auch vom CDU-Abgeordneten Roderich Kiesewetter. "Das sind alles schlicht Ausflüchte und Pseudo-Erklärungen, die alle längst ausgeräumt sind", sagte der Politiker und Oberst a.D. der Bundeswehr zu ntv.de. "Der Kanzler will schlicht die Ukraine nicht mit Taurus unterstützen, weil diese Marschflugkörper so effektiv sind und die Kertsch-Brücke erreichen können." Scholz wolle offenbar nicht, dass Russland von der völkerrechtswidrig besetzten Krim zurückgedrängt wird und die russischen Versorgungslinien abgeschnitten werden.
"Mit Taurus könnten die Munitionslager zerstört und Lieferketten Russlands gestört werden, das würde die dramatische Lage der ukrainischen Soldaten an der Front, die im Verhältnis von eins zu fünf und eins zu zehn bei der Munition unterliegen, deutlich lindern", so Kiesewetter. "Die Verweigerung von Taurus durch Scholz ist de facto eine Stärkung Russlands."
Der Kanzler hingegen zeigte sich "sehr irritiert" über die "fehlende Balance" zwischen dem, was jetzt wirklich erforderlich sei und der Debatte über dieses eine System. "Was der Ukraine fehlt, ist Munition in allen möglichen Längen und Distanzen, aber nicht entscheidend diese Sache aus Deutschland", sagte er mit Blick auf den Taurus bei der dpa-Chefredaktionskonferenz. Dass selbst der ukrainische Verteidigungsminister erst vor wenigen Tagen erneut gesagt hat, dass man den Taurus "wirklich brauche", blendet er dabei offenbar aus.
Quelle: ntv.de