Generaldebatte im Bundestag Merz bricht mit der Ampel, Scholz nennt ihn "Glaskinn"


Ungewohnt persönlich ging Olaf Scholz die Opposition an.
(Foto: picture alliance/dpa)
Im ersten Schlagabtausch des Jahres setzen Kanzler und Oppositionsführer einen denkwürdigen Ton: Unionsfraktionschef Merz sieht keinen Grund mehr, mit der Ampel zu kooperieren. Bundeskanzler Scholz attackiert so persönlich wie nie.
Der Unionsfraktionsvorsitzende Friedrich Merz muss sich auch in gehobenem Alter zuweilen im Spagat üben, zumindest verbal. So etwa bei der Generaldebatte im Bundestag zum Haushalt 2024, weil er sich nicht wie gewohnt in den Nahkampf mit Bundeskanzler Olaf Scholz und seiner Regierungskoalition begeben konnte. Zu eindrücklich war die unmittelbar zuvor im Plenarsaal abgehaltene Gedenkstunde für die Opfer des Nationalsozialismus, zu bedeutend waren die landesweiten Proteste an den vergangenen beiden Wochenenden gegen Rechtsextremismus und Rechtspopulismus, um sie nicht zu erwähnen.
Also bedankte sich CDU-Chef für die Reden der Holocaust-Überlebenden Eva Szepesi und von Marcel Reif, dem Sohn eines Überlebenden der Schoa, bevor er die Trauerrede des französischen Präsidenten Emmanuel Macron für den verstorbenen Wolfgang Schäuble zum Anlass nahm, sich die Europapolitik des Bundeskanzlers vorzuknöpfen. Macron habe Deutschland die Hand gereicht, sagte Merz und forderte einen neuen deutsch-französischen Aufschlag sowie eine "Wiederbelebung des Weimarer Dreiecks", also der Regierungskonsultationen zwischen Deutschland, Frankreich und Polen. Es brauche eine "gemeinsame Außen- und Sicherheitspolitik" sowie eine "gemeinsame Industriepolitik". Vor der Europawahl am 9. Juni rückt damit auch die EU wieder stärker ins Zentrum der politischen Debatte.
Keine weitere Zusammenarbeit mit der Ampel
Wahlkampfstimmung zog auch in den folgenden Minuten durch den Raum, als Merz dann doch in den Angriffsmodus wechselte. Der SPD warf er - zur Empörung von deren Fraktion - vor, die "Partei der subventionierten Arbeitslosigkeit" geworden zu sein. Er rede nicht über den Haushalt und seine Fraktion habe hierzu auch keine Änderungsanträge eingebracht, denn: "wir sind nämlich in allen wesentlichen Fragen der Außen- und Sicherheitspolitik, der Wirtschafts- und Finanzpolitik, der Arbeitsmarktpolitik, der Innen- und Rechtspolitik und nicht zuletzt der Asyl- und Einwanderungspolitik vollkommen anderer Meinung als Sie". Mit der Ampel, erklärte Merz, hätten die CDU und CSU nichts mehr zu besprechen: "Wenn Sie die Jacke unten falsch einknöpfen, dann diskutieren wir nicht mit Ihnen, wie groß der Knopf im letzten Loch sein sollte."
Die Fraktionen von SPD und Bündnis 90/Die Grünen machten von ihrer Mehrheit "kaltschnäuzig und rücksichtslos Gebrauch", sagte Merz und erinnerte an das geänderte Wahlrecht und das neue Staatsbürgerschaftsrecht. Nicht einen Antrag der Union habe die Ampel mitgetragen, und wo die Union ihr dennoch entgegengekommen sei, wie beim Sondervermögen Bundeswehr, habe sie sich im Nachgang nicht an getroffene Vereinbarungen gehalten. "Den Deutschland-Pakt Migration haben Sie aufgekündigt", warf Merz dem Bundeskanzler vor und erinnerte an die bislang nicht umgesetzte Einführung eines bundesweiten Bezahlkarten-Modells für Asylbewerber.
"Der endgültige Abstieg für Deutschland"
"Die Erfahrungen der letzten zwei Jahre zeigen, dass Sie an einer wirklichen Zusammenarbeit mit uns nicht wirklich ernsthaft interessiert sind", sagte Merz und kündigte an, dass seine Fraktion einer Reform der Schuldenbremse in der laufenden Legislaturperiode keinesfalls zustimmen werde. Darauf hinzuweisen, dass ebenjene Reform erst am Vortag einstimmig von den Wirtschaftsweisen gefordert wurde, überließ er den folgenden Rednern der Ampelfraktion.
Stattdessen widmete Merz sich zuallerletzt der AfD. "Sie sind nicht die Alternative für Deutschland. Sie wären der endgültige Abstieg für Deutschland, und zwar gar nicht mal nur wirtschaftlich, sondern vor allem moralisch", sagte der CDU-Vorsitzende und schloss aus, dass seine Union der AfD jemals die Hand reichen werde. Allerdings machte Merz zugleich die Ampel für den Erfolg der AfD verantwortlich. "Die Wählerinnen und Wähler der AfD sind nicht alle rechtsradikal, aber sie sind alle ziemlich frustriert." Niemals wäre die AfD binnen zwei Jahren in den Umfragen von zehn auf 20 Prozent gewachsen, wäre das Land besser regiert. Und: "Sie bekommen die Flüchtlingskrise nicht in den Griff."
"Feigheit!", "Mimose!", "Glaskinn!"
Weil es dem Bundeskanzler zufiel, unmittelbar nach Merz zu sprechen, konnte er in seiner halbstündigen Rede direkt in den Angriffsmodus schalten. Es sei "kleines Karo" vom Oppositionsführer, mit Blick auf den AfD-Aufstieg auf andere zu zeigen. Es falle allen Demokraten zu, gegen den Aufstieg von Extremisten und Populisten anzugehen, wie er weltweit zu beobachten sei. In der Migrationspolitik habe die Ampel viel getan, von beschleunigten Abschiebungen über eine bessere Finanzierung der Kommunen bis hin zur Einführung eben jener von Merz beklagten Bezahlkarte, die am Tag vor der Generaldebatte vereinbart worden ist. "Der Oppositionsführer liest offenbar nicht mal Zeitung", mokierte sich Scholz.
Den von Scholz angebotenen Deutschland-Pakt habe Merz von sich aus auf den Aspekt Migration reduziert. Nun, wo die Regierung alle Verabredungen zum Thema mit den Ministerpräsidenten der Länder abgearbeitet habe, wolle Merz auch davon nichts mehr wissen. "So viel Feigheit vor der eigenen Courage habe ich noch nie gesehen", rief Scholz. Er glaube, Merz wolle das Thema Migration nicht verlieren. "Dann können Sie ja nicht mehr sagen: alles läuft schief, und darum sind Sie weggelaufen." Und einmal warm geworden, sagte Scholz: "Wenn Sie dann mal kritisiert werden, dann sind Sie eine Mimose." Das war genauso persönlich wie der folgende Satz: "Wer gerne boxt, sollte kein Glaskinn haben. Aber Sie haben ein ganz schönes Glaskinn, Herr Merz."
Scholz hat viel Lob für sich
Ob Scholz' Sätze vor allem dem Publikum vor dem Bildschirm oder der eigenen Fraktion dienten, ist unklar. Wiederholt war der Regierungschef zuletzt aus den eigenen Reihen mit der Forderung konfrontiert worden, er solle mehr Leidenschaft zeigen, verständlicher und empathischer reden. In dieser frei vorgetragenen Rede zumindest ging Scholz erkennbar in die Vollen. Selbstkritik, wie er sie jüngst in einem Interview mit der "Zeit" angedeutet hatte, war hingegen nicht zu hören. Dabei war Anlass der Generaldebatte ein deutlich verspäteter Haushalt, dem ein heftiges Ringen um Einsparungen sowie eine Blamage vor dem Bundesverfassungsgericht vorausgegangen waren.
Die Ampel habe gerade für die arbeitende Bevölkerung viel getan, sagte Scholz, von der Erhöhung des Mindestlohns und der Einführung des Wohngelds für Geringverdiener über die Senkung der Sozialabgaben für niedrige Einkommen und kleine Selbstständige bis hin zur wiederholten die Lohnsteuersenkung. Dass die Union von einer Anhebung des Renteneintrittsalters spreche, verunsichere Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer. Zur Behauptung, Deutschland sei ein Freizeitpark, sagte Scholz: "Ich finde, solche Beleidigungen haben sich die Fleißigen dieses Landes auch vom Oppositionsführer nicht verdient." Der Union attestierte er: "Wirtschaftskompetenz Null".
Merz nahm die Attacken des Kanzlers nach außen gelassen. So heftig auch in der folgenden Debatte der Schlagabtausch zwischen Ampel und Opposition sowie zum Teil auch zwischen FDP und ihren beiden Koalitionspartnern ausfiel, saß ein einigendes Element im Raum: Nach den landesweiten Protesten verpassten weder Scholz und Merz noch die übrigen Redner, der Fraktion rechts der Union mitzugeben, dass sie der Feind ist - und alle anderen nur demokratische Konkurrenten.
Quelle: ntv.de