
Ludwig Erhard, Bundeswirtschaftsminister von 1949 bis 1963, Bundeskanzler von 1963 bis 1966. Er wird häufig "Vater des Wirtschaftswunders" genannt.
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Bundeskanzler Olaf Scholz verspricht ein neues deutsches "Wirtschaftswunder". Wie er das schaffen will, ist ein Rätsel.
Falls Ihnen der Zeitgeist etwas zu hurtig davon schreitet, Ihnen wegen veganer Currywurst, Geschlechterfluidität und Ölheizungsverbot ein bisschen die Nostalgie in die Glieder fährt, erlauben Sie mir einen Perspektivwechsel: Denn eigentlich, genau betrachtet, kehrt gerade die gute alte Zeit zurück - die Fünfzigerjahre. Das glauben Sie mir vermutlich nicht, aber die Beweislast ist erdrückend.
Erstens: Der Ost-West-Konflikt ist zurück und James Bond auch. Derzeit debattiert der Globus, ob staatliche Spione mit speziellem Gerät eine Gaspipeline in 70 bis 80 Meter Tiefe gesprengt haben. Wenn Sie bislang nicht an den Unterwasser-Lotus aus "Der Spion, der mich liebte" dachten, tun Sie es jetzt.
Zweitens: Es ist wieder das Jahr des Autos! Bundesverkehrsminister Volker Wissing hat verkündet, dass die Bahn ab 2070 pünktlich fährt. Wenn VW jetzt nicht einen Nostalgie-Käfer mit Elektromotor im Kofferraum auf den Markt wirft, ist denen wirklich nicht mehr zu helfen.
Zurück an den Herd
Drittens: Die Hausfrau kehrt zurück an den Herd. Feministische Außenpolitik hin, Frauentagsrhetorik her, junge Frauen binden sich derzeit wieder Schürzen um und backen Kuchen mit "guter Butter". In sozialen Medien zeigen Tradwifes, traditionelle Ehefrauen also, wie man kocht, sich appetitlich für den Partner kleidet und den größten Betrug aller Zeiten entlarvt, worunter dort wohl Feminismus verstanden wird.
Insofern passt, dass Deutschland wieder vor einem "Wirtschaftswunder" steht - so sieht es jedenfalls seit Kurzem der Bundeskanzler. "Wegen der hohen Investitionen in den Klimaschutz wird Deutschland für einige Zeit Wachstumsraten erzielen können, wie zuletzt in den 1950er- und 1960er-Jahren geschehen", meint Olaf Scholz und man wünschte sich, er würde dabei wie weiland Ludwig Erhard mürrisch auf einem Zigarrenhalter herumbeißen.
Aber ist die Lage denn wirtschaftlich vergleichbar? Was Scholz freilich nicht sagte: Das originale Wirtschaftswunder lebte - auch wenn da vieles ökonomisch umstritten zu sein scheint - vor allem von Geld. Der Marshall-Plan, ein gewaltiger Schuldenerlass und ein Ausland, das gierig war auf Produkte "Made in Germany", füllten die Kassen.
Arbeit ist scheiße
Wie soll die Wirtschaft also brummen? Brummen gar nicht, allenfalls summen, denn Scholz setzt auf den Klimaschutz als Konjunkturmotor. Er will bis 2030 pro Tag fünf Windräder in die Erde rammen - wer weiß, vielleicht wirft man sie künftig einfach ungefragt vom Airbus A400M in die Vorgärten, anders ist es angesichts des Genehmigungswahnsinns und des deutschen Straßennetzes kaum vorstellbar.
Dafür sei dann aber auch Schluss mit der Arbeitslosigkeit, sagte der Kanzler, was freilich eine charmante Art ist, über den lähmenden Arbeitskräftemangel hinwegzugehen - und darüber, dass die Leute grad keinen "Bock auf Arbeit" haben, wie die Arbeitgeber beklagen.
Auch das ist anders als in den Fünfzigern. Wie auch nicht: Das Eigenheim mit Kiesauffahrt ist für die meisten Jüngeren außer Reichweite (Zinswende, Inflation) und beispielsweise in Berlin fehlen läppische 100.000 Wohnungen. Je fetter der Staat wird, desto mehr zahlen seine Bürger - viele schielen schon wieder auf die Vermögenssteuer. Arbeit ist also auf absehbare Zeit: scheiße.
"Über finanzielle Realitäten sprechen"
Der Staat hat nicht mehr viel Luft: Bundesfinanzminister Christian Lindner zitierte kürzlich "das bisschen Haushalt" und hatte sich damit natürlich musikalisch völlig in der Zeit verrannt, in die Siebziger nämlich. Doch in seiner Haut stecken möchte man wirklich nicht. Seine FDP sucht auf der Kante der Fünf-Prozent-Hürde nach ihrem Markenkern und dürfte daher die Schuldenbremse nicht leichtfertig aufgeben.
Gerade hat Lindner die für Mittwoch geplante Kabinettsvorlage für den Haushalt verschoben - und klingt wie viele Bürger am Monatsende: Man werde "noch einmal gemeinsam über finanzielle Realitäten sprechen müssen". Gründe für beengte Spielräume gäbe es einige, der Minister nennt Zinszahlungen, Tarifverhandlungen und Hilfen für die Ukraine. Die Kindergrundsicherung ist sicher auch ein Faktor.
Es ist aber auch alles teuer geworden! Ich meine nicht den 41 Prozent teureren "Tortenguss, klar" (siehe Rewe-Preisroboter), sondern - ja, alles: Derzeit fliegen wirtschaftliche Studien durch die Öffentlichkeit, denn irgendwann muss unweigerlich über Haushalt gesprochen werden. 1000 Milliarden Euro soll etwa Robert Habecks Heizungsaustausch kosten, rechnete das eher wirtschaftsnahe Leibniz-Institut für Wirtschaftsforschung vor. Das ist zufällig 100 Millionen mehr als das, was der Klimawandel womöglich kosten wird. Habeck hatte zusammen mit dem Umweltressort kürzlich mit einer Studie vorrechnen lassen, dass Wetterereignisse und anderes im günstigsten Fall mit 900 Milliarden zu Buche schlagen.
Der unerhörte Kassenwart
Dann, Stichwort Multikrisen, sind da noch die Lasten der Vergangenheit: 850 Milliarden Euro Schulden musste Deutschland seit 2020 für Corona und Inflation ("Doppelwumms") aufnehmen. Die Bundeswehr wird auch weiterhin einiges kosten, 10 Milliarden Euro allein im kommenden Jahr forderte Bundesverteidigungsminister Boris Pistorius - weil die 100 Milliarden Euro "Sondervermögen" (das sind hübsch etikettierte Schulden) nicht ausreichen.
Angesichts dieser vielen Nullen ist etwas verwunderlich, dass ein wichtiger Zwischenruf des nationalen Kassenwarts kaum Beachtung fand. Der Bundesrechnungshof verschickte zum Monatsstart eine eigentlich gepfefferte Warnung: Die 850 Milliarden Euro neue Schulden verglich der Bericht mit 1,3 Billionen, die Deutschland seit Gründung der Bundesrepublik aufgenommen habe - also über einen Zeitraum von 70 Jahren. Es sind 60 Prozent mehr Schulden durch Kredite und Kreditermächtigungen. "Diese Dynamik und ihre Folgen drohen die Tragfähigkeit der Bundesfinanzen und damit auch die staatliche Handlungsfähigkeit ernsthaft zu gefährden", sagte Rechnungshofpräsident Kay Scheller.
Auch auf der Wachstumsseite sieht es grad so gar nicht nach Fünfzigerjahren aus: Der globale Subventionswettlauf, angetrieben durch auch kriegsbedingte Renationalisierung, sorgt für Abdrift. VW etwa, wo man wie erwähnt hoffentlich gerade am Nostalgie-Käfer arbeitet, flirtet offen damit, die Batterieproduktion in die Vereinigten Staaten zu verlagern - weil dort Subventionsmilliarden winken.
Will man zurücklocken, kostet das schon wieder Steuergeld. Auch die Fachkräfte suchen verstärkt woanders ihr Glück: Unter anderem wegen mangelnder Digitalisierung, wie eine Studie der Bertelsmann-Stiftung gerade herausfand. Doch Digitalisierung kostet auch schon wieder - und, wie die Debatte um die elektronische Patientenakte zeigt, die Leute haben Datenangst.
Vorzeigeindustrien in Lebensgefahr
Wegen der hohen Energiekosten in Deutschland drohen Industriezweige zu kollabieren. Gerade hat Speira seine Aluminium-Hütte in Neuss komplett heruntergefahren. Die Chemiebranche, eine der wenigen verbliebenen Vorzeigeindustrien des Landes, ist, zumindest nach Zeichnungen eines Lobbyvertreters, sogar in Lebensgefahr. Die Kernfusion mag es richten, vielleicht schon dann, wenn die ICEs wieder pünktlich sind.
Ein "Wirtschaftswunder" bräuchte Datenoptimismus, einen geradezu aggressiven Bürokratieabbau und sinkende Steuerlast für Unternehmen - nicht unermessliche Ausgabenlust des Staates. Solange Olaf Scholz das nicht realisiert, teilt das "Wirtschaftswunder" das Schicksal der "Zeitenwende" - klingt gut, aber es steckt nichts dahinter.
Übrigens, eine Randnotiz: Erhards Kanzlerschaft endete mit dem Abgang der FDP.
Quelle: ntv.de