
Die EU will den IRA der Vereinigten Staaten mit eigenen Subventionen kontern.
(Foto: picture alliance / Zoonar)
Die EU ist zunehmend nervös, weil sie rasch auf das milliardenschwere US-Subventionspaket reagieren will. Sie plant, die Regeln zu lockern, nach denen sie Zuschüsse und Kredite an Firmen in den Mitgliedsstaaten vergibt. Damit riskiert sie, den Binnenmarkt zu gefährden.
Das Schreckgespenst auf der anderen Seite des Atlantiks hält die Europäer in Atem. Der Inflation Reduction Act (IRA), ein mehrere Hundert Milliarden Dollar schweres Subventionspaket der USA, weckt bei ihnen die Angst, dass die heimische Industrie in die Vereinigten Staaten abwandern könnte. Die EU-Kommission will deshalb den europäischen Markt für grüne Technologien mit Subventionen stärken. Sie arbeitet daran, die Beihilferegeln, nach denen sie Zuschüsse und Kredite an Firmen in Mitgliedsstaaten verteilt, vorübergehend zu lockern. Dieser Plan birgt jedoch ein Risiko. Europäischen Staaten droht dann nicht nur ein Subventionswettkampf mit den USA, sondern auch untereinander. Der Binnenmarkt könnte ins Wanken geraten.
Um eine Eskalation um die Ansiedlung von Unternehmen zu verhindern, setzt EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen auch auf diplomatische Bemühungen. Sie reist an diesem Freitag nach Washington, um mit Präsident Joe Biden ein Abkommen zu verhandeln, das europäische Mineralien für US-Steuergutschriften im Rahmen des IRA zulässt. Diese Übereinkunft allein reicht aus ihrer Sicht jedoch nicht aus.
Von der Leyen sagte, die europäischen Antworten auf den IRA bestehen aus Steuererleichterungen, einer flexibleren Nutzung von bislang nicht abgerufenem EU-Fördergeld sowie neuen Beihilferegeln. Unter Beihilfen versteht die Europäische Union staatliche Mittel, von denen bestimmte Branchen oder Unternehmen ohne Gegenleistung profitieren. Da diese Subventionen den Wettbewerb innerhalb der EU verfälschen können, sind sie streng reguliert und müssen gegebenenfalls von der Kommission genehmigt werden. Ende März beraten die Staats- und Regierungschefs der Mitgliedsstaaten darüber, wie genau sie die Regeln für die Subventionsvergabe schwächen wollen.
"Von EU-Subventionen profitieren vor allem große Konzerne"
"Die Beihilferegeln zu lockern, ist ein wirtschaftspolitisches Eigentor", sagt Damian Boeselager, im Gespräch mit ntv.de. Schließlich sollen sie den Binnenmarkt vor Wettbewerbsverzerrung schützen, damit reiche EU-Staaten sich gegenüber ärmeren keinen Vorteil verschaffen, indem sie ihre Volkswirtschaft mit Subventionen füttern. Boeselager sitzt als einziger Abgeordneter der sozialliberalen Partei Volt im Europäischen Parlament. Dort hat er sich der Fraktion der Grünen angeschlossen.
Er hegt den Verdacht, dass große Unternehmen, besonders in Deutschland und Frankreich, die Panik vor dem IRA nutzen, um auf gelockerte Regeln für Steuererleichterungen und Zuschüsse zu drängen. "Von EU-Subventionen profitierten in den vergangenen Jahren vor allem große, gut in Brüssel vernetzte Konzerne", sagt er. Sinnvoller sei es, sie so zu gestalten, dass sie tatsächlich bei Innovationstreibern wie Start-ups ankommen. Dies sei bislang kaum der Fall.
Für ihre Subventions-Offensive will die Kommission Finanzmittel aus dem Corona-Wiederaufbaufonds in ein Programm für grüne Technologien namens RePower EU umschichten. In das Programm sollen auch Gelder aus dem Verkauf von CO2-Zertifikaten fließen. Boeselager nahm an den Verhandlungen für die Aufstockung von RePower teil. Er kritisiert, dass die Mittel von RePower nicht nur für grüne Technologien beantragt werden können, sondern auch für Projekte, die noch mit Gas arbeiten. Immerhin habe er in den Verhandlungen Schlimmeres verhindert, indem er durchgesetzt habe, dass nur noch fossile Projekte, die bis 2026 fertiggestellt sind, gefördert werden. Mit dem Ergebnis ist er dennoch nicht völlig zufrieden. "Im schlimmsten Fall werden Gelder aus dem Verkauf von CO2-Zertifikaten über RePower in Konzepte gesteckt, die noch von Gas abhängig sind", sagt er.
Meloni warnt vor Lockerung der Regeln
Boeselager ist mit seiner Skepsis gegenüber den Antworten der EU auf den IRA nicht allein. Regierungschefs mehrerer Mitgliedsländer warnen vor einem Überbietungswettbewerb, wenn die Regeln für Subventionen geschliffen werden. "Wir wissen, dass die EU heute konkrete Maßnahmen braucht, um ihren Unternehmen zu helfen. Doch diese Hilfen können nicht auf die Kosten der anderen EU-Länder gehen", sagte Italiens Ministerpräsidentin Giorgia Meloni Ende Februar während ihres Treffens mit ihrem polnischen Amtskollegen Mateusz Morawiecki in Warschau. Auch Morawiecki will verhindern, dass "der EU-interne Wettbewerb davon bedroht wird, dass es reichere Länder gibt, die mehr Geld für ihre Unternehmen ausgeben können".
Die Warnungen sind berechtigt. Der Binnenmarkt ist die Grundlage der Europäischen Union, auf ihm wurde sie aufgebaut. Er sorgt dafür, dass europäische Staaten sich wirtschaftlich gegen Großmächte wie die USA und China behaupten können. Deutschland als Exportnation profitiert von ihm wie kaum ein anderes Land. Ein Eingriff in die Regeln des Binnenmarkts gleicht deshalb einer Operation am offenen Herzen. Dabei ist Feingefühl gefragt.
So rät auch die Brüsseler Denkfabrik Bruegel der EU davon ab, ihre Beihilferegeln zu schwächen. Das Problem sei nicht etwa, dass die EU grüne Technologien nicht ausreichend subventioniere, da die Staatshilfen auf einem ähnlichen Niveau wie in den USA liegen, schreiben die Ökonomen in einem Bericht über die Auswirkungen des IRA. Statt Subventionen einfacher zu vergeben, sollte die EU daran arbeiten, ihre "strukturelle Wettbewerbsfähigkeit zu verbessern" und ein neues Beihilfeinstrument schaffen, das "an den frühen Stadien der Technologieentwicklung ansetzt".
Ifo-Präsident sieht Handlungsbedarf an anderer Stelle
Ähnlich sieht das der Präsident des Ifo-Instituts, Clemens Fuest. Die Forderungen nach ausufernden Staatshilfen "vernachlässigen, dass Europa bereits umfangreiche Programme zur Subventionierung sauberer Technologien aufgelegt hat, und sie lenken von dringenderem Handlungsbedarf in anderen Bereichen ab", schreibt Fuest in einem Gastbeitrag für die FAZ.
Auch der Volt-Abgeordnete Boeselager sieht Handlungsbedarf an anderer Stelle, etwa wenn es darum geht, EU-Staaten wie Deutschland als Innovationsstandorte attraktiver zu machen. Dabei seien die Fragen, wie ausländische Fachkräfte angeworben und die Infrastruktur ausgebaut werden könnte, drängender als die Ausweitung von Subventionen. Die Aufregung um den Inflation Reduction Act sieht er als Ablenkung vom eigentlichen Reformbedarf. "Ist der IRA wirklich so erschreckend, dass wir unsere wirtschaftspolitischen Grundwerte über den Haufen werfen müssen?", fragt er.
Quelle: ntv.de