"Diese Obsession mit Israel" In Israel blickt man mit großer Sorge auf den Hass
16.03.2024, 16:06 Uhr Artikel anhören
Protest im Oktober 2023 in Berlin. Der Slogan meint, dass Israel von der Landkarte verschwinden soll.
(Foto: picture alliance / ZUMAPRESS.com)
Hass auf Juden ist so alt wie das Christentum selbst. Doch seit dem Hamas-Angriff vom 7. Oktober erlebt die Welt einen seit 1945 noch nie dagewesenen Antisemitismus. Israelis wundern und sorgen sich.
Nach seiner Staatsgründung 1948 konnte sich Israel an einer Unterstützung in der westlichen Welt erfreuen. Vor allem in linksliberalen Kreisen stieg das Land zu einem antikolonialen Pionierstaat auf und wurde - nicht zuletzt aufgrund der Kibbuz-Bewegung - zu einem sozialistischen Vorzeigestaat stilisiert. Mit Israel verbanden sich linke Visionen und Hoffnungen auf gemeinschaftlich organisierte Alternativmodellen.
"Noch vor dem Sechs-Tage-Krieg im Juni 1967 kam es zu weltweiten pro-israelischen Solidaritätsbekundungen", erinnert sich der 78-jährige Noam Stern aus dem Kibbuz Nahal Oz unweit des Gazastreifens, einer der Überlebenden der Hamas-Massaker vom 7. Oktober. "In Europa gab es damals viele Nichtjuden, die bereit waren, Israel physisch zu verteidigen." Nach dem Krieg hatte sich die Stimmung gedreht: "Als sich der jüdische Staat militärisch gegen einen zahlenmäßig überlegenen arabischen Gegner durchsetzte, schwenkte die zuvor noch internationale Unterstützung schnell in Hass um."
Während des Pogroms, als palästinensische Terroristen mehr als 1200 Israelis regelrecht abschlachteten und mehr als 200 Menschen nach Gaza entführten, musste der gebürtige Franzose schwerverletzt mitansehen, wie seine Enkelin enthauptet wurde. "Ich glaube nicht, dass es seit dem Zweiten Weltkrieg eine besorgniserregendere Zeit für das jüdische Volk gegeben hat", sagt Stern, auch mit Blick auf die Situation in Europa - kurz vor dem Überfall auf Israel hatte er Paris besucht. "Wir dachten, dass nach diesem Anschlag die aufgeklärte Welt etwas Empathie aufweist. Stattdessen haben ihre elitären linken Kreise, vom Universitätscampus bis hin zu Mainstream-Medien, auf die Barbarei der Terrorgruppe reagiert, indem sie ihre Verurteilungen gegenüber Israel verstärkt haben."
Antisemitismus ist wieder Mainstream
Die Empathie hielt nicht lange an. Auf pro-palästinensischen Demonstrationen im Westen wird Israels sein Existenzrecht abgesprochen, Künstler und Intellektuelle werfen Israel einen "Genozid" an der Bevölkerung des Gazastreifens vor und vertauschen so bewusst die Opfer-Täter-Rolle. Körperliche Angriffe auf Juden sind mittlerweile an der Tagesordnung. Die Recherche- und Informationsstelle Antisemitismus Berlin (RIAS) verzeichnete nach dem 7. Oktober so viele antisemitische Vorfälle wie nie seit Beginn ihrer Arbeit im Jahr 2015. Knapp acht Jahrzehnte nach Auschwitz ist offener Antisemitismus wieder Mainstream.
"Das Massaker hätte eine Welt voller Entsetzen gegen die Terroristen auslösen sollen, stattdessen verwandelte es sich in ein gewaltiges Fest des Judenhasses", sagt Micah Halpern, Gastdozent an der Hebräischen Universität in Jerusalem. "Während die Sympathie für den Kampf der Hamas international wächst, gilt die Unterstützung des Judenstaates als politisch inkorrekt. Die Charta der Terrororganisation fordert ausdrücklich die Vernichtung von Juden und Israel und hätten die israelischen Streitkräfte sie nicht aufgehalten, wären sie am 7. Oktober weiter mordend durchs Land gezogen."
Für den gebürtigen US-Amerikaner findet sich der alte Antisemitismus Europas heute in bestimmten Formen des Islamismus wieder, für dessen Ideologie die Hamas steht. Zwar sieht er die rechtsradikale israelische Regierung als problematisch an, doch dieser ungewollte Krieg wurde ihnen vom Stellvertreter Irans aufgezwungen. "Die Hamas hat nach dem Pogrom angekündigt, dass sie ihre Bemühungen zur Zerstörung des jüdischen Staates erneuern und es weitere 7. Oktobers geben wird", sagt Halpern. "Es ist also nicht nur das Recht Israels, die Hamas zu besiegen, sondern seine Pflicht. So wie es eine höchste moralische Verpflichtung war, die Nazis zu zerstören, ist die Forderung nach einem Waffenstillstand gleichbedeutend mit der Unterstützung der Wiederaufnahme der Vernichtungsbemühungen der Radikal-Islamisten."
"Diese Obsession mit Israel"
Tatsächlich hat der neue Judenhass der Muslime den alten christlichen Antisemitismus zum Teil abgelöst, was mit einer Reihe von Verschwörungstheorien über Israel und Juden einhergeht. In der Hamas-Ideologie ist die Ermordung von Juden eine Art muslimische Verpflichtung. Hinzu kommt die antiwestliche und antikolonialistische Komponente weltweiter Antisemiten, die Israel als rassistische Kolonialmacht ansehen, die alle Juden repräsentiert. Hingegen wird die Terrororganisation von diesen meist linken Pro-Palästina-Aktivisten als Widerstandsgruppe bezeichnet, was ihre Gräueltaten, Massenvergewaltigungen und Entführungen zumindest implizit rechtfertigt.
"Der Hamas-Angriff war ein Verbrechen gegen die Menschlichkeit", betont Cochav Elkayam-Levy, Juraprofessorin an der Hebräischen Universität in Jerusalem. "Diese Terrorarmee hat sich den Völkermord zum Ziel gesetzt, auch durch systematische Vergewaltigung. Leider haben internationale Frauenrechtsorganisationen lange bewusst weggesehen." Laut der Rechtsexpertin haben die Terroristen die Körper der überfallenen Frauen bewusst als Kriegswaffe eingesetzt. Anders als die Nazis filmten sie ihre Gräueltaten. Ihr Ziel war es, Aufmerksamkeit zu bekommen und Angst zu verbreiten.
"Dass es weltweit begrenzte Empathie für die Opfer des 7. Oktobers gab, zeigt, dass die Nie-wieder-Bekundungen leere Worte sind", befindet Elkayam-Levy. "Diese Obsession mit Israel ist beängstigend, denn selbst wenn es sich nach so einem Pogrom verteidigt, ist antijüdische Hetze wie 1933 laut hörbar. Doch Solidarität basiert auf der Fähigkeit, sich mit denjenigen zu identifizieren, die der eigenen Gruppe - wie zum Beispiel Frauen - angehören."
"Der Vorwurf war vorhersehbar"
Selbst israelische Friedensaktivisten sind verwundert, wieso kein streitbarer Dialog möglich ist, oder warum weltweit gegen Israel demonstriert wird, aber kaum gegen repressive Regime wie den Iran. "Der Judenhass wird noch lange präsent sein", sagt Noam Stern. "Um dem Einhalt zu gebieten, braucht es mehr Bildung und neue Gesetze. Die breite Masse hat vergessen, dass das Recht auf freie Meinungsäußerung eingeschränkt ist, wenn es auf Volksverhetzung hinausläuft."
Er habe kein Problem mit Kritik, sei aber schockiert von der weltweiten Leidenschaft, Israel zu hassen. Während es eine Unterstützung des Westens für die Ukraine gegen Russlands Angriffskrieg gibt, wird dem Judenstaat das Recht auf Selbstverteidigung abgesprochen, obwohl die Hamas-Terroristen in Israel einfielen und nicht andersherum. "Wenn es verboten ist, Mörder oder die Gesellschaft, die sie geschaffen hat, zu kritisieren, bleibt nur die Diffamierung der Opfer übrig", erklärt sich Stern die Obsession. "Der Vorwurf, dass Israel nach dem Hamas-Massaker einen Völkermord begehe, war vorhersehbar. Es sagt uns aber nichts über den Judenstaat, sondern viel mehr über seine Feinde."
Quelle: ntv.de