Politik

War das TV-Duell das wert? Höcke nicht entzaubert, aber ziemlich entnervt

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Nicht weniger als das "TV-Duell des Jahres" verspricht der Sender seinen Zuschauern. Gemessen am Schmerz beim Zusehen ist es das auch: Björn Höcke kann fleißig seine Weltsicht darlegen. So fragwürdig das Format ist, so achtbar schlägt sich CDU-Spitzenkandidat Mario Voigt - während Höcke Nerven zeigt.

So etwas wie den Fernsehstreit zwischen den beiden Spitzenkandidaten zur Thüringer Landtagswahl, Mario Voigt von der CDU und Björn Höcke von der AfD, wird es wohl so bald nicht mehr zu sehen geben. 70 statt der ursprünglich geplanten 45 Minuten dauerte die Begegnung, in der Björn Höcke nicht nur einen höheren Redeanteil hatte, sondern sich auch unerwartet oft selbst widersprach und in Teilen schlicht Antworten verweigerte. Der promovierte Politikwissenschaftler Voigt profitierte dabei aber auch vom Moderatorenduo, das Höcke ebenfalls dazu bringen wollte, sich zu seinen völkisch-extremistischen Positionen zu bekennen. Fans des AfD-Rechtsaußen werden sich daher wohl bestätigt sehen, dass ihre Partei "von denen da oben" benachteiligt wird und ihr Idol von vornherein keine faire Chance gehabt habe.

Höcke, Oppositionspolitiker eines 2,1 Millionen Einwohner kleinen Bundeslandes, konnte dennoch eine ganze Reihe seiner Botschaften vor großem Publikum verbreiten. Die EU sei eine "Globalisierungsagentur", ein "zentralistisches Bürokratenmonster", das Deutschland nicht brauche. Großbritannien stehe nach dem Brexit besser da als Deutschland. Die AfD könne ihre vollmundigen Versprechen finanzieren, indem sie 110 Milliarden Euro für die Kosten von Zuwanderung und Entwicklungshilfe streiche. Die Zahl bedarf der Überprüfung.

Außerdem: Deutschland brauche einen "natürlichen, vitalen Patriotismus", in dem die Verbrechen des Nationalsozialismus nicht im Mittelpunkt stünden. Deutschland müsse "vor allen Dingen die Einwanderung aus dem islamischen Kulturkreis beenden". Es brauche das Signal "Das Weltsozialamt Deutschland ist geschlossen". Höcke eben, aber manch einer hat das ja noch nie in Gänze gesehen oder gehört.

"Hass liegt mir völlig fern"

Zugleich hatte es sich Höcke erkennbar vorgenommen, einer Dämonisierung seiner Person entgegenzuwirken. Es fielen Sätze wie "Ich bin kein Feind des Islam" oder "Hass liegt mir völlig fern". Höcke verwies auf seine Zeit als Gymnasiallehrer. "Vertrauenslehrer werden Sie nur, wenn Sie ein großes Herz haben, wenn Sie eine große Empathiefähigkeit besitzen." Der Prozess gegen ihn, weil er wiederholt die verbotene SA-Parole "Alles für Deutschland" verwendet hatte, zeige: "Das Strafrecht, das wir im Augenblick haben, wird immer mehr zur Einschränkung der Meinungsfreiheit benutzt." Der Geschichtslehrer will vom historischen Hintergrund der Parole nicht gewusst und lediglich den Donald-Trump-Spruch "Make America great again" bei einer Parteitagsrede spontan und frei übersetzt haben.

Dass er und seine Parteikollegen von den Gedenkfeiern in den früheren Konzentrationslagern Buchenwald und Mittelbau-Dora qua Hausverbot ausgeschlossen sind, findet Höcke übrigens "unerträglich". Höcke bestritt, den "Zivilisationsbruch" Holocaust kleingeredet zu haben, er stehe ihm nur zu sehr im Zentrum deutscher Erinnerungskultur.

Überraschende Erinnerungslücke

Am Haken hatten die beiden Chefredakteure Tatjana Ohm und Jan Philipp Burgard den Oberstudienrat, als sie Höcke mit einem Zitat aus seinem eigenen Buch aus dem Jahr 2017 konfrontierten: Die heutige Bundestagsvizepräsidentin Aydan Özoğuz habe in Deutschland nichts verloren, weil diese jenseits der deutschen Sprache keine spezifisch deutsche Kultur erkenne. Stehen wollte Höcke dazu nicht, weil er sich angeblich nicht an die Passage erinnern könne. "In welchem Kontext dieses Zitat steht, ist für mich jetzt nicht mehr nachvollziehbar", behauptete Höcke. Spätestens jetzt war es richtig laut im Studio, alle Beteiligten versuchten, einander zu übertönen.

Auch beim Thema "Remigration" kam Höcke, der im Landkreis Eichsfeld lebt, ins Schwimmen. Da gehe es der AfD vor allem darum, 1,5 Millionen Menschen zurückzuholen, die in den vergangenen 30 Jahren ausgewandert seien, sowie um Anreize zur Ausreise für "die Illegalen im Lande". Das Thema Rückwerbung von Ausgewanderten stand bei der AfD bisher eher nicht oben auf der Agenda. Wie Höcke aber auf Millionen Menschen kommt, die sich angeblich illegal in Deutschland aufhalten, konnte er nicht beantworten. Zugleich bestritt er aber vehement, auch Menschen mit deutschem Pass loswerden zu wollen.

"Ich habe wenigstens erwartet, dass Sie heute den Mumm haben, zu Ihren Thesen zu stehen", frohlockte Voigt. Der unter dem Dauerdruck von Voigt und Moderatoren immer fahrigere Höcke zeigte sichtlich Nerven. Widersprüchlich wurde es auch beim Thema Ukraine-Krieg. Er kenne zwar Putin nicht und deutsche Medien malten ein Schwarz-Weiß-Bild des Konfliktes, aber: "Russland ist ein bedrängtes Land und ich glaube, Russland will Frieden." Und: "Als rationaler Mann" erkenne Putin, "wann Schluss ist und wann Frieden geschlossen werden muss". Der Westen müsse deshalb sofort aufhören, Waffen zu liefern und in Gespräche gehen, sagte Höcke weiter.

"Ich bin demokratisch, Sie sind autoritär"

Ebenfalls nicht schlüssig: Nachdem Höcke mehr als eine Stunde lang die CDU als "Wohlstandsvernichter" bezeichnet hatte, die zusammen mit SPD und Grünen Politik gegen die Interessen Deutschlands mache, lud er Mario Voigt zu Koalitionsgesprächen ein. "Wir machen eine bürgerlich-konservative-patriotische Wende in Thüringen", bot Höcke dem CDU-Vertreter an. Die Hand der AfD sei "weiterhin ausgestreckt".

"Sie sind nicht bürgerlich, Sie sind völkisch", entgegnete Voigt. "Ich bin demokratisch, Sie sind autoritär. Nein." Er hatte im Vorfeld angekündigt, die AfD durch inhaltliche Konfrontation demaskieren und deutlich machen zu wollen, wie schädlich das AfD-Programm für das Bundesland und Deutschland wäre. Aber ausgerechnet bei den Anfangsthemen EU-Mitgliedschaft und Wirtschaftspolitik sah Voigt besonders schwach aus. Als Höcke das Beispiel Verbrennerverbot für PKW als Beispiel für vermeintlich deutschlandfeindliche Politik nannte, bekannte Voigt, das Verbrenner-Aus ab 2035 ebenfalls abzulehnen.

Dem Wust an Vorwürfen gegen und Behauptungen über die EU konnte Voigt nur Grundsätzliches entgegenhalten. Die EU habe Deutschland 70 Jahre lang Stabilität gebracht und einen Binnenmarkt, von dem Deutschland am meisten profitiere. "Weil mal irgendwie eine Lampe kaputt ist oder eine Tür quietscht, reißt man doch nicht das ganz Haus ab." Das aber wolle Björn Höcke. "Herr Höcke möchte, dass die Europäische Union stirbt", sagte Voigt. Der aber sagte, er sei für den Erhalt des Binnenmarktes und für gemeinsame Außengrenzen, die Bürokratie und Einmischung in nationale Angelegenheiten müsse nur weg. Das klingt harmlos, die Wiederkehr nationaler Egoismen in Europa wäre das Gegenteil.

Voigts heikle Gratwanderung

Auch beim Thema Wirtschaft zeichnete Höcke ein Weltuntergangsbild vom Zustand Deutschlands, dem Voigt nur schwer widersprechen konnte. Einmal, weil die Summe von Höckes Behauptungen in der Kürze der Zeit gar nicht zu widerlegen war, zum anderen aber auch, weil Voigt ja selbst um Wähler wirbt, indem er die rot-rot-grüne Minderheitsregierung in Thüringen und das Ampelbündnis in Berlin scharf kritisiert. Wer Thüringen nicht kennt, könnte meinen, dass so viel Ablehnung von Zuwanderung und Skepsis gegenüber Klimapolitik wie während des Duells bei Welt TV Konsens im Land sei. Dabei stehen AfD und CDU selbst im konservativen Thüringen nur bei rund 50 Prozent.

Weil Voigt sich bewusst auf ein Format eingelassen hatte, das mit Ministerpräsident Bodo Ramelow den dritten aussichtsreichen Bewerber außen vor ließ, war es eben ein Duell zwischen Mitte-Rechts und Rechtsaußen. Unweigerlich waren sich Voigt und Höcke in manchen Positionen näher, als es dem Christdemokraten vor laufender Kamera angenehm sein konnte. Voigt wollte zeitgleich die eigene CDU zufriedenstellen, wankende AfD-Wähler abwerben und sich auch Wählern links der CDU anbieten für den Fall, dass es bei der Wahl am 1. September tatsächlich zu einem Showdown zwischen AfD und CDU kommt. Voigt wirkte zudem nicht unbedingt weltoffener als sein Gegenüber, weil er immer wieder die eigene Thüringer Herkunft betonte, während der westdeutsche Höcke erst seit zehn Jahren im Land ist. Wahltaktisch ist das nachvollziehbar: In Thüringen schreibt man Lokalpatriotismus groß.

Keine Ärzte für "Reichskanzler Höcke"

Als Voigt in der zweiten Sendungshälfte ob des immer entnervteren Höcke endlich Tritt fasste, gelang ihm das in Teilen sehr gut: "2015 ist diese Asylsituation doch durch Putin geschaffen worden, weil er an der Seite von Assad Giftwaffen eingesetzt hat", erklärte Voigt, dass am Anfang der großen Flüchtlingsbewegung nicht Angela Merkel stand, sondern Baschar al-Assad und sein Schutzherr Wladimir Putin. Deutschland drohten noch mehr Flüchtlinge, je mehr Putin seine Gewaltherrschaft auf die Ukraine ausdehnen könne, sagte er.

"Bitte, weinen Sie jetzt hier nicht", belustigte sich Voigt über Höckes Selbstdarstellung als verfolgte Unschuld, als es um die SA-Parole "Alles für Deutschland" ging. Thüringen brauche Fachkräfte aus dem Ausland, ganz besonders Ärzte. Die kämen aber nicht unter einem "Reichskanzler Höcke", sagte Voigt. Es macht doch einen anderen Eindruck, wenn ein Konservativer mit so scharfen Worten über die AfD-Gesinnung spricht, als wenn derlei Angriffe von Vertretern linkerer Partei kommen. Selbst von der CDU als Aussätzige behandelt zu werden, setzt von einer Zusammenarbeit träumenden AfD'lern dann doch zu.

Ein Abend mit drei Profiteuren

Dennoch waren weder Voigt noch die Moderatoren in der Lage, Höcke mit all seinen Formulierungen zu stellen. Etwa, als er eine bessere Rente "für unsere Leute" forderte. Schwer zu glauben, dass er damit auch die berenteten Gastarbeiter aus der Türkei meinte, die zur eigenen Überraschung ihren Lebensabend nun mit den anderen Kleingartenfreunden von Wanne-Eickel verbringen statt in Anatolien. Die falsche Behauptung, Großbritannien stünde nach dem Brexit besser da als Deutschland, konterte Voigt ebenfalls nicht. Auch nicht, dass die Gewalt in Deutschland wegen der Zuwanderung "explodiert" sei. Das geben die Zahlen, bei allen ernsthaften Problemen, einfach nicht her.

War es nun also eine gute Idee, dieses Duell? Gelohnt hat es sich für alle Beteiligten auf jeden Fall: Björn Höcke hat auf großer Bühne mehr als 30 Minuten Redezeit bekommen. Mario Voigt hat sich bundesweit als mutiger Politiker inszenieren können, der gegen das vermeintliche böse Genie Höcke in den Ring gestiegen ist und sich dann tatsächlich achtbar geschlagen hat. Und auch der fleißig die Werbetrommel rührende Sender dürfte überdurchschnittliche Quoten erzielt haben.

Doch der entstandene Eindruck, die Thüringer Landtagswahl sei nur noch eine Art Stichwahl zwischen AfD und CDU, ist viereinhalb Monate vor dem eigentlichen Termin eine heftige Verzerrung. Dafür sind Wahlumfragen und Wählerbindung heutzutage schlicht zu volatil. Das politische Spektrum in Deutschland und in Thüringen ist - das ist auch für die CDU eine gute Nachricht - dann doch erheblicher breiter, als es am Donnerstagabend zu sehen war.

Hinweis: In einer früheren Version haben wir das Höcke-Zitat aus seinem Buch falsch wiedergegeben. Er hatte nicht geschrieben, bei Aydan Özoguz sei keine spezifische deutsche Kultur jenseits der deutschen Sprache zu erkennen. Er hatte ihr vorgeworfen, sie erkenne diese Kultur nicht.

Quelle: ntv.de

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