Plötzlich Taiwan Krieg, Kampf und Verteidigung: Haben die Deutschen den Schuss gehört?


Peng! Ein Schütze des oberbayerischen Böllerschützenvereins Feldafing schießt am Neujahrstag mit einer Kanone.
(Foto: picture alliance/dpa)
CDU, CSU und SPD haben einen Koalitionsvertrag gehäkelt, der ein Ziel hat: einen Mentalitätswechsel im Staate. Aber dafür muss auch das Volk aus seiner Trägheit finden.
Seit einigen Tagen beugt sich die Republik über das Vertragswerk der künftigen Regierungsparteien: "Verantwortung für Deutschland" heißt der Bestseller (so nennt ihn CSU-Chef Markus Söder). Seitdem läuft eine eher kamillenmilde Debatte, so richtig Empörendes steht da offenbar nicht drin.
Immerhin: Der Grünen-Vorsitzende Felix Banaszak fand den Auftritt von Merz, Söder, Klingbeil und Esken zu lustig. "Klamauk" sei das gewesen, sagte er, da finde nun eine "Verdrängungskoalition" zusammen.
Ganz falsch ist das ja nicht. Da wurde wirklich viel gekichert, bei der Vorstellung im Paul-Löbe-Haus des Bundestags. Vermutlich sollte das "Zuversicht" verströmen. Länglich wurden die Duz-Beziehungen kartografiert: Merz und Klingbeil ja, Söder und Klingbeil nein, Esken und Söder schon seit fünf Jahren, aber Söder schämt sich dafür so sehr, dass bei der Erwähnung seine rechte Hand zu schlackern begann. Und er verbreitete die Bauernweisheit, wonach Liebe vergeht und Hektar besteht.
Krieg und Kampf
So schlimm kann die Lage dann wohl nicht sein, was? Nun: Eigentlich steht ja doch die eine oder andere Aufgabe bevor: Das Land vor dem Abstieg retten, die Migration begrenzen und dann, ach ja, ist da noch der Krieg: Si vis pacem, para bellum, wenn du den Frieden willst, bereite dich auf den Krieg vor.
Dieser Satz aus dem alten Rom hat es tatsächlich in den Vertrag geschafft. Aber in einer zarten, in Kamille eingelegten Version, was womöglich wieder zeigt, dass der banaszaksche Verdrängungsvorwurf in gewisser Weise zutrifft. Bei CDU, CSU und SPD heißt para bellum: "Wir wollen uns verteidigen können, um uns nicht verteidigen zu müssen."
Die Deutschen und der Krieg, das ist eine Geschichte größter, wenn auch verständlicher Verdruckstheit. Wir hätten es in den letzten 30 Jahren geschafft, die Wörter "Krieg" und "Kampf" aus dem Diskurs zu verbannen, notierte der Militärhistoriker Sönke Neitzel kürzlich. Soldaten seien Entwicklungshelfer und Brunnenbohrer gewesen. Sogar im Weißbuch der Bundeswehr aus dem Jahr 2016 komme das Wort "Kampf" nur ein einziges Mal vor, angeblich auf Seite 102.
Wir mögen es gemütlich
Dieses aseptische Verständnis vom Krieg hat sich auch nach dem Überfall auf die Ukraine nur unwesentlich geändert. Wenn da einer wie der neue und alte Bundesverteidigungsminister, Boris Pistorius, von "Kriegstüchtigkeit" spricht, reagieren Teile der Öffentlichkeit noch immer, als habe er gerade den Anschluss Polens gefordert.
Wir mögen es eben gemütlich! Das ist wohl Teil des Problems, wenn nicht gar all unserer Probleme. So richtig gefährdet hat uns ja nichts außer der Pandemie – und wir wissen, wie das ablief. Die deutsche Unbedrohtheit gab uns viel Raum: Niemand brauchte niemanden, die Bürger nicht den Staat, der Staat nicht die Bürger und auch die Bürger untereinander brachten einander geringstmögliche Solidarität entgegen. Diese Bräsigkeit gilt es zu überdenken.
Wenn ein Volk dagegen ständig von irgendetwas heimgesucht wird, rückt es zusammen. Dann hat die Regierung einen Draht zu den Bürgern, kommuniziert viel und effektiv. In Israel kann man das grad gut beobachten, in der Ukraine und in Taiwan auch.
Der Draht zwischen Bürger und Staat
Kürzlich durfte ich mich mit einem Vertreter des taiwanischen Äquivalents des Technischen Hilfswerks (THW) unterhalten. Ich wusste, dass die taiwanische Regierung gut kommunizieren kann, vor allem in der Pandemie, da hat man zum Beispiel Humor benutzt. Humor! Davon war an dieser Stelle schon einmal die Rede.
Wie machen die das, fragte ich den Hilfswerkler neugierig. Er lächelte höflich und sagte, die Taiwaner hätten eben viele Krisen vor der Tür, Erdbeben, Pandemien, vor Covid vor allem SARS, und die ständige Kriegsgefahr. Der Draht zwischen Staat und Bürger sei da überlebenswichtig.
Wenn es ständig um alles geht, bricht eben nicht gleich die Verschwörungshysterie aus, wenn der Staat etwa empfiehlt, sich, bitte schön, ein paar Vorräte anzulegen oder im Bus eine Maske aufzusetzen.
"Vollendete Karikatur der Bürokratie"
Was hat der damalige Bundesinnenminister Thomas de Maizière sich 2016 anhören müssen, als er sein Zivilschutzkonzept vorlegte! Panikmache, polterten die Linken. Eine "Vermischung von ziviler Vorsorge mit militärischen Szenarien und Hinweisen auf Terrorgefahren" sei problematisch, monierten die Grünen. Ein paar Jahre später diskutieren Militärfachleute, dass Russland 2028 bereit wäre für ein paar Angriffe auf Nato-Gebiet.
Keine Frage: Was Deutschland jetzt braucht, ist ein Mentalitätswechsel. Und, hoppla, das Wort steht ja sogar im Koalitionsvertrag, wenn auch unter dem eher breiten Rubrum "Regierung und Verwaltung". "Partner und Ermöglicher" will die Verwaltung sein.
Das ist erfreulich, denn die Bürokratie ist offenbar auch ein Soldaten-Hemmer: Da ist es ein Problem, wenn Soldaten in ihrer Freizeit im Gym pumpen, weil das ja eigentlich Arbeitszeit ist. Mit echtem Stacheldraht trainieren ist auch eine Herausforderung – wegen Verletzungsgefahr. Und wenn ein Panzer das Rohr gefechtsbereit fahren möchte, nagelt er womöglich Verkehrsschilder um – da braucht es Regeln. "Die Bundeswehr ist die vollendete Karikatur der Bürokratie", pointierte es Neitzel, der Militärhistoriker, im ntv-Salon. Der stets angenehm grimmige Politologe Carlo Masala sekundierte, das "Mindset" müsse sich ändern.
Plötzlich sind wir Taiwan
Wer jemals einen Konzern dabei beobachtet hat, wie er eine "Transformation" und einen "Kulturwandel" bewältigen möchte, weiß, mit welchen Trägheiten man sich da herumschlagen muss. Und das soll nun ein Beamtenapparat schaffen? Ein ganzes Volk?
Immerhin: Bevor die russlandverstehenden Ränder im Bundestag die Sperrminorität ergatterten, haben die Parteien der Mitte hohe Budgets für Verteidigung ermöglicht. Das ist nicht nichts, auch wenn diesen Ruck nicht Wladimir Putin bewirkte, sondern ein radikaler Politikwechsel in den Vereinigten Staaten: Uncle Sam hält nicht länger den Hals hin. Plötzlich sind wir ein bisschen Taiwan, aber ohne Erdbeben.
Die Grundrichtung der neuen Koalition scheint zu stimmen. Sie tritt humorvoll auf und hat sich einen Mentalitätswechsel vorgenommen. Der Weg zur Umsetzung wird mühselig sein. Transformation klingt immer so lange gut, bis man sie umsetzen muss.
Es bleibt die bange Frage: Haben die Deutschen den Schuss gehört?
Quelle: ntv.de