Wieduwilts Woche

Ein Gastrodiplomat auf Abwegen Steinmeiers Hackfleischtorpedo für das "Wir"-Gefühl

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Gastgeschenk mit Beigeschmack: Berliner Döner vom Bundespräsidenten.

Gastgeschenk mit Beigeschmack: Berliner Döner vom Bundespräsidenten.

(Foto: picture alliance / Anadolu)

Kluge Diplomaten auf der ganzen Welt werben für ihr Land mit gutem Essen. Warum servieren unsere Spitzenpolitiker hochrangigen Gästen Fischbrötchen und Dönersandwich?

In der großen Politik sind es bisweilen die ganz kleinen Fehltritte, die den Charakter verraten. Manchmal geht es um Kleidung, wenn etwa der Kanzler im Pulli herumläuft oder ein US-Präsident einen zu legeren Anzug trägt. Manchmal geht es um die Mimik: Da zerlacht sich ein Politiker mit ausgestreckter Zunge die Aussichten auf Kanzlerschaft. In dieser Woche ist der kleine Fehltritt ein 60 Kilogramm schwerer, tiefgefrorener Hackfleischtorpedo. Mit so einem Dönerspieß flog Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier in die Türkei, er hatte auch den Imbissbudenbesitzer Arif Keles aus Berlin dabei. Das Fleisch servierte er dann in der Sommerresidenz des deutschen Botschafters.

Steinmeier und seine Leute hatten mit Beifall gerechnet. "Maşallah, was für eine Proteinprügel! Beim Döner sind wir Deutschen und Türken einander ganz nah!", oder Ähnliches. Es kam anders. Der Bundespräsident stand mit dem Kebab-Messer an der rotierenden Hacksäule und säbelte. Falls Steinmeier seinen Döner mit Zitronensaft besprenkeln wollte, musste er dafür nur die umstehenden Gesichter ausdrücken: Die waren nämlich säuerlich.

Fällt jemandem was zur Türkei ein?

Was, fragt man sich, ist da denn bitte passiert? Etliche Kommentare wiesen Steinmeier darauf hin, dass Türken in der Zwischenzeit mehr seien als kulinarisch ausgefuchste Gastarbeiter. Manche hätten immerhin qua Impfstoff eine Pandemie ausgebremst, andere den deutschen Fußball angeführt oder sogar, oha, Herzen transplantiert. Musste man da auf die wirklich auf die naheliegendste aller Türkei-Assoziationen setzen?

Zugegeben: Politische Gesten gehen meist durch den Magen. Bei der SPD ist das seit jeher die Currywurst, bei der CSU Nürnberger Würstchen, der FDP-Justizminister mischte sich grad mit fettigem Philly Cheese Steak Sandwich in einen Feuilletonstreit über Freiheit und das deutsche Untertanentum ein.

Erst recht die hohe Diplomatie geht durch volle Mägen: Seit einigen Jahren gibt es den Begriff der "Gastrodiplomatie" (oder auch kulinarische Diplomatie). Länder wie Taiwan etwa zelebrieren Bubble Tea als nationales Merkmal der Eigenständigkeit, Korea arbeitet mit Tacos. Hillary Clinton startete vor gut zehn Jahren eine "diplomatische kulinarische Partnerschaft" und suchte im ganzen Land gute Köche. In deutschen Botschaften serviert man deutschen Rotwein, angeblich auf Geheiß des damaligen Bundespräsidenten Richard von Weizsäcker.

Können Sozialdemokraten nur Fast Food?

Aber ist es wirklich eine gute Geste, den Gastgebern ihr vermeintliches Traditionsessen mitzubringen? Was tischt der Bundespräsident in China auf, Reis mit frittiertem Schwein süßsauer, also jene Variante, die sich asiatische Restaurantbetreiber für uns Schnitzeldeutsche ausgedacht haben?

Und überhaupt, Döner: Der Kolumnist hat nun, wie es der Zufall will, vorige Woche nicht kolumniert, sondern sich an der lykischen Küste geräkelt. Dort, zwischen Antalya und Dalaman, gibt es auch Döner. Sie sind allerdings nicht aus Hack. Und in der türkischen Küche gibt es deutlich mehr als Köfte und Kebab, gefüllte Fischspezialitäten zum Beispiel, die man am besten nach einer Pracht von Vorspeisen genießt, die Meze. Klingt schon eher nach "Sommerresidenz des Botschafters", nicht?

Sozialdemokraten haben bei der Bewirtung in letzter Zeit einfach kein gutes Händchen. Als der Bundeskanzler das schöne Gesicht des französischen Staatspräsidenten Emmanuel Macron im März in ein zwiebeliges Fischbrötchen zwang, war das auch unangenehm anzuschauen. Macron sah nicht aus, als würde er herunterschlucken wollen, was er da im Mund hatte.

You had one Job

Doch Olaf Scholz hat andere Dinge um die Ohren - anders als der Bundespräsident. Das Staatsoberhaupt und sein Beraterschwarm haben eigentlich nur eine Aufgabe: Repräsentieren, ohne dabei unnötig dumm aufzufallen. "You had one job", sagt der Amerikaner.

"Très bon, das Fischbrötchen, Olaf! Très bon!"

"Très bon, das Fischbrötchen, Olaf! Très bon!"

(Foto: Fabian Bimmer/Reuters/Pool/dpa)

Tatsächlich zeigt der Vorfall womöglich mehr als steinmeierige Tapsigkeit. Derzeit präsentiert der Bellevue-Insasse ein Buch mit dem Titel "Wir". Darin, so schreibt Steinmeier im Vorwort, will er uns den Weg in die Zukunft leuchten. Und tatsächlich scheint er alle Lampen an zu haben: Wir erhalten die Erleuchtung immerhin von demselben Mann, der Lawrow vor nicht allzu langer Zeit den Arm tätschelte und sich epochal in Putin irrte.

Die Rezensionen sind denn auch, hm, gemischt: Der SWR kritisiert: "Wer von 'unserem großen Glück der deutschen Wiedervereinigung' schreibt, meint deutsch-deutsches Glück - in dem die Erfahrungen von Menschen mit Einwanderungsgeschichte ausgeklammert werden." Steinmeier könne plurale Vielfalt zwar schreiben, aber nicht denken. Und die "Zeit" moniert, Steinmeier stelle Putins Überfall als Resultat plötzlichen Verrücktgewordenseins dar und realisiere nicht, "trotz seiner zahlreichen Auslandsreisen", dass eine solche Schönschreibung bei Nord- und Osteuropäern als Beispiel deutscher Überheblichkeit ankomme.

Keine Idealbesetzung als Volksanalytiker

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Das klingt beides ein wenig, als wäre auch das Buch eine Art Pressfleischspieß in der Sommerresidenz und der Bundespräsident nicht die Idealbesetzung für den Volksanalytiker.

Womöglich hülfe es ja, wenn man vom sozialdemokratischen "Das 'Wir' entscheidet"-Sendemodus einmal auf "Wir hören Euch zu" umschaltete. Womöglich ist es nicht hilfreich, in immer neuen Klimmzügen eine untergehakte deutsche Volksmasse herbeizuphilosophieren, ohne sich bei den Deutschen - auch jenen türkischer Herkunft - umzuhören. Womöglich wäre dann auch nicht die AfD die Lieblingspartei der deutschen Jugend. Und womöglich wüsste man, wenn man zuhörte, dass Menschen türkischer Herkunft einen 60 Kilogramm schweren Tiefkühldöner nicht unbedingt als fleischgewordenes Bundesverdienstkreuz verstehen.

Quelle: ntv.de

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