
Finden Sie Marco Reus!
(Foto: IMAGO/Shutterstock)
Ende 2024 wird Marco Reus erstmals Meister, aber nicht beim BVB. Dort holt er reihenweise Vizemeisterschaften, verliert große Finalspiele in der Königsklasse. Am Borsigplatz wird er trotzdem zur Legende. Jedoch bleibt zwischen dem "Dortmunder Jung" und der Südtribüne eine Distanz. Bis zu einem Tag im Mai.
Am 7. Mai 2024 ist Marco Reus endlich angekommen. Der Dortmunder mischt sich im Pariser Prinzenpark unter die mitgereisten Anhänger des BVB. Vollkommen überraschend sind die Westfalen soeben mit zwei 1:0-Siegen gegen Paris Saint-Germain in das Finale der Champions League eingezogen. Nur wenige Tage zuvor hat er seinen Abschied bekannt gegeben, seinen Abschied aus seiner Heimat bekannt geben müssen.
Auf den letzten Metern seiner zwölf Jahre bei seinem Heimatverein ist er auf einmal einer von ihnen. Er ist nicht mehr nur Spieler, sondern Teil der Masse. In Paris geht er an diesem Abend in den vor überbordender Freude entstellten Gesichtern der Fans unter. Auch die neben ihm tragen an diesem Abend Trikots zu Tattoos, wenn sie überhaupt noch etwas tragen. Reus geht in der Masse unter und strahlt doch heller als er jemals zuvor in seinen langen Jahren in Dortmund gestrahlt hat.
Der Junge aus dem Osten der Stadt ist eine der größten Legenden des Ballspielvereins Borussia aus Dortmund überhaupt. Er ist eng verwoben mit dem Aufstieg des BVB zu einem Klub der internationalen Klasse. Doch für eine Meisterschaft kommt er zu spät. Er holt sechs Vizemeisterschaften. Beim ersten seiner zwei DFB-Pokalsiege verletzt er sich am Kreuzband, beim zweiten ist Pandemie. Vor der Weltmeisterschaft 2014 ist er auf Kurs Weltfußballer. Sekunden vor dem Abflug nach Brasilien verletzt er sich. In Brasilien ist er nur eine Nummer auf einem Trikot, das die Nationalspieler neben dem Pokal in die Kamera halten. Weltmeister wird er nie. Das haben ihm seine Mannschaftskameraden in Dortmund um Mats Hummels, Roman Weidenfeller, Kevin Großkreutz und Erik Durm voraus.
Marco Reus ist Borussia Dortmund
Ändert aber nichts. Reus ist das Gesicht von Borussia Dortmund. Er ist einer, der sie alle hat kommen und gehen sehen. Während die kommenden Stars des Weltfußballs nach Dortmund kamen, um sich mit der Kraft des monumentalen Stadions an der B1 aufzuladen und dann nach Madrid, Manchester oder Mailand abzubiegen. Erling Haaland, Jude Bellingham, Achraf Hakimi, Pierre-Emerick Aubameyang, Christian Pulisic, Henrikh Mkhitaryan, Jadon Sancho, Ousmane Dembélé oder İlkay Gündoğan kamen und gingen wieder. Reus bleibt.
Weil Dortmund seine Heimat ist. Der BVB wächst mit ihm, wird zu einem großen Namen in Europa. Reus steht für diesen Namen wie sonst nur das Westfalenstadion mit der Südtribüne. "Um uns herum nur Weltmetropolen", sagt Hans-Joachim Watzke auf der Mitgliederversammlung des BVB in diesem Jahr. "Wir wissen alle, Dortmund ist keine Weltmetropole" - aber Heimat.
Heimat ist Dortmund auch für die Fans, unter die Reus sich an diesem Mai-Abend in Paris mischt. Weil man Dortmund nicht ohne Borussia denken kann, sind sie manchmal extra für Borussia nach Dortmund gezogen. Und wenn sie die Stadt verlassen haben, hat sich der Klub trotzdem so tief in sie eingebrannt, dass sie ihm überallhin folgen. Egal, wohin es geht. Egal, in welchen Zeiten.
Die auf der Tribüne fragen sich an diesem Abend, warum Reus immer so weit weg war, warum er selten Nähe zugelassen hat. Er hätte nicht gleich wie Kevin Großkreutz sein müssen, sagen sie. Er hätte nicht gleich die Grenzen zwischen Tribüne und Platz komplett einreißen müssen. Aber immer mal wieder die Distanz überwinden. Es hätte ihm nicht geschadet. Diese Energie, sagen die Fans auf der Tribüne noch Monate später, hätte ihm, hätte vielleicht auch dem BVB über die Jahre hinweg einige wenige Prozente mehr auf dem Platz gebracht. Was dann in dieser so großen wie tragischen Karriere in Deutschland alles möglich gewesen wäre? Es ist kaum vorstellbar.
In Los Angeles taucht Reus einfach unter
"Jetzt müssen wir ihn auch holen, sonst wäre das scheiße", sagte Reus an diesem 8. Mai 2024 in Paris, kurz nachdem er von den Fans zurückgekehrt ist. Mit ihm meint er natürlich den Henkelpott und natürlich wird es "scheiße", weil es in den entscheidenden Momenten für Reus und den BVB fast immer "scheiße" wird. Real Madrid gewinnt die Champions League und umklammert damit Reus' Zeit in Dortmund. Auch im ersten Jahr verliert er ein Finale der Königsklasse, ebenfalls in Wembley. Nur nicht gegen Real Madrid, sondern gegen den FC Bayern.
Anfang Juni reckt also Bellingham den Pott in die Höhe und nicht Reus. Ein Jahr zuvor, am 27. Mai 2023, waren sie noch gemeinsam im Tränental des Todes. Da hatten sie gegen Mainz die sichere Meisterschaft weggeschmissen. Vielleicht auch weil Bellingham, leicht angeschlagen, nicht spielen konnte, nicht spielen durfte.
Im Sommer 2024 nun entscheidet sich Reus gegen die Geldliga Saudi-Arabien und für das Abenteuer Los Angeles. Dort will er es mit LA Galaxy zumindest noch einmal probieren. Als er in den USA landet, spricht er bereits von der Meisterschaft. Einmal irgendwo auf der Welt Meister werden, das ist sein großer Traum. Dafür geht er bis nach Hollywood, um dort in der Masse abzutauchen.
In Los Angeles, sagt er im Dezember im Gespräch mit RTL/ntv, können die Stars "einfach mehr ihr Privatleben" leben und dabei so sein, "wie sie wirklich sind". Das gelte auch für ihn, natürlich "tausendfach geringer als bei Hollywood-Stars". Doch ein "schöner Nebeneffekt" sei es trotzdem. Dort in Los Angeles, wo ihn keiner stört und er einfach der Typ aus Dortmund, Deutschland sein kann, wird er wie in einem Märchen glücklich. Er holt die erste Meisterschaft seiner Karriere. Es ist die späte Krönung für den scheuesten Weltstar, der je aus Dortmund kam.
Quelle: ntv.de