Mahomes - letzter Cowboy der NFL Chiefs überleben knallhartes Wild-West-Duell in Frankfurt
05.11.2023, 20:38 Uhr
Was für ein Wild-West-Spektakel beim NFL-Showdown in Frankfurt. Patrick Mahomes mutiert zum Cowboy-Helden, wie die USA ihn lieben. Und doch geben seine Kansas City Chiefs am Ende gegen die Miami Dolphins noch fast alles aus der Hand. Dazu gibt es noch einen herben PR-Fauxpas.
Der alte, europäische Kontinent und die USA sind schon lange vor der NFL historisch eng verbunden. Nachdem die europäischen Siedler den Osten Nordamerikas erfolgreich erreicht und später eingenommen hatten, begann die Ausdehnung gen Westen. Im 19. Jahrhundert wurde der "Wilde Westen" immer schneller besiedelt. Auch dank des furchtlosen und ehrenhaften Cowboys. So will es zumindest die US-amerikanische Erzählung, die prägend für die nationale Identität war und ist.
Ob John Wayne oder Marlboro-Mann, die Amis lieben ihre Cowboys. Ihre Helden, die Taten vollbringen, die der Ottonormalamerikaner für unmöglich hält. An einem Ort, den sie in den USA Frontier nennen. Grenzland. Dort, wo laut der US-Gründungsmythen eine neue Gesellschaftsordnung entstand, fernab des alten Kontinents.
Umso passender, dass Patrick Mahomes nun in Frankfurt, auf ebendiesem europäischen Kontinent mit seinen Kansas City Chiefs die Miami Dolphins vor 50.023 frenetischen Fans mit 21:14 besiegt. Denn auch der Quarterback ist eine Art Cowboy. Er verkörpert den Mythos wie kein anderer im US-Sport. Ein Anführer genauso wie ein Rowdy mit einzigartigen Fähigkeiten. Ein echter Gunslinger, einer, der das Abenteuer liebt. Seine Pistole, mit der er mit eiserner Hand für Gerechtigkeit sorgt, ist sein Wurfarm. Und die Amis lieben Mahomes für sein wildes, spektakuläres und abgezocktes Spiel. Seit Tom Bradys Abdanken ist er der endgültige Superstar Nummer eins in der NFL.
DJ Ötzi, Knutsch-Cam, PR-Fauxpas
Mahomes kommt dann auch wild gestikulierend zum Aufwärmen auf das Spielfeld getänzelt. Als Erster natürlich, hoch konzentriert und jede Sehne angespannt. Applaus brandet auf. Der Quarterback führt seine Herde an, die fast zu wohlerzogen hinter ihm auf den Platz trabt. Seine Chiefs-Bullen, die er in den kommenden etwa drei Stunden in wildes, unerforschtes Gebiet führen wird.
Auch wenn beide Teams mit einer Bilanz von sechs Siegen und zwei Pleiten in die Partie gehen, die Chiefs sind in Frankfurt nicht nur Fan-Favorit. Sie sind, seit Mahomes 2018 ihr Starting Quarterback wurde, das Team, das es in der AFC zu schlagen gilt. Und auch, wenn der Super-Bowl-Champion am vergangenen Wochenende gegen die Denver Broncos schwächelte (auch Cowboy Mahomes verlor mehrmals seine Fährte), liegt er in der NFL sowohl in der Gesamtoffensive als auch in der Gesamtverteidigung an vierter Stelle und ist damit neben Detroit, Philadelphia und San Francisco eines von nur vier Teams in den Top 10 in beiden Kategorien. Die Miami Dolphins stellen zwar die beste Offensive der Liga, aber defensiv reicht es nur für den Durchschnitt (Rang 15).
Wenn es schon um Mythen und US-Identität geht, dann darf natürlich auch in Frankfurt das obligatorische Football-Brimborium nicht fehlen. Laute Party- und Schlager-Musik mit leuchtenden Handylichtern, DJ Ötzi und Country Roads wechseln sich ab. Exzessives Entertainment samt 7-Euro-Bier, die Knutsch-Cam und ein Hochzeitsantrag im Live-TV mit Maskottchen-Umarmung. Auch das ist die NFL in Reinkultur, wenngleich auch weniger Wilder Westen.
Den Lautstärke-Wettbewerb gewinnen die deutschen Fans gegen die US-amerikanischen. Anschließend werden überdimensionale Flaggen der beiden Staaten ausgerollt, die fast die gesamten 100 Yards einnehmen. "United States Military Vocalist" Dana Bowers singt die US-Nationalhymne. Danach gibt es laut offiziellem Media-Informationszettel das "Deutschlandlied". Welch ein Fauxpas: Die NFL ist noch relativ neu in Deutschland, dennoch hätte sich das PR-Department besser umhören müssen. Am Ende wird zum Glück nur die dritte Strophe gesungen, die deutsche Nationalhymne.
Staubige Wild-West-Kost
Dann geht es endlich los - und Mahomes zieht schneller als sein Schatten. Er benötigt keine drei Minuten, um seine Mannschaft in Front zu bringen. Ganz der dominante Kuh-Antreiber führt er sie über das Feld, bis Rashee Rice einen kurzen Pass mit einem Lauf in die Endzone zum 7:0 vollendet.
Aber dann kommt lange: nichts. Von der hochgelobten Dolphins-Offensive folgt keine Antwort. Auf beiden Seiten dominieren die Defensivreihen nach der frühen Führung der Chiefs. Miamis Superstar-Quarterback Tua Tagovailoa muss immer wieder bei Third-and-Long agieren, also bei vielen Yards beim dritten Versuch bis zum neuen First Down. Mit seinen langen Würfen findet er noch keine Abnehmer und beendet das erste Viertel ohne Punkte.
Punt. Punt. Punt. Auch anschließend passen die Abwehrmänner auf beiden Seiten höllisch gut auf, besonders bei der Verhinderung der tiefen Pässe. Hier und da rumst es ordentlich, die Offensiven ächzen. Es ist spannend in Frankfurt, aber in der ersten Hälfte ganz sicher kein footballerischer Leckerbissen. Sondern staubige Wild-West-Kost.
Mahomes, ein amerikanischer Held
Aber Mahomes wäre nicht Mahomes, wenn er sich nicht auch durch dieses Dickicht schlagen könnte. Immer wieder tänzelt er sich mit schnellen Schritten durch die Gegner und orchestriert den ersten wirklich erfolgreichen Drive seit dem Allerersten: 13 Spielzüge (die Dolphins habe zu diesem Zeitpunkt in der gesamten ersten Hälfte nur vier mehr), 95 Yards, achteinhalb Minuten. Zunächst geht es über das Laufspiel von Runningback Isiah Pacheco und kurze, effektive Pässe. Dann haut Gunslinger Mahomes einen 23-Yard-Wurf raus, der sein Team bis zur gegnerischen 25-Yard-Linie bringt. Nach einem kurzen Run des Quarterbacks findet er im nächsten Spielzug den völlig freien Jerick McKinnon, der beinahe ungestört zum Touchdown laufen darf.
Cowboy Mahomes dreht ab und fängt seinen Passempfänger mit einem Jubelsprint binnen Sekunden ein. 14:0 wirkt in solch einer zähen Partie schon wie ein komfortables Polster. Mal wieder hat die Wildnis, die gegnerischen Defensiven besiegt. Nimmt das Wagnis auf sich - und besteht. Triumphiert. Wird eins mit dem Rasen, der Natur. Edel, nobel, unerschütterlich. Einsamer Held. Cowboy eben. USA, USA, USA. Hach!
Zurück in die Realität. Manch ein Mythos kann bekannterweise Berge versetzen. Und so kommt es in Frankfurt nach dem Grenzgang des Patrick Mahomes zum Moment des Spiels. Endlich findet auch Tagovailoa mal Tyreek Hill für einen tiefen Pass. Es sieht aus, als würden die Dolphins nun aufs Scoreboard kommen - aber nichts da. Plötzlich explodiert die Partie, wie es nur im Football möglich ist.
Chiefs und Dolphins stellen alles auf den Kopf
Trent McDuffie schlägt den Ball aus Hills Händen und Mike Edwards kann den Ball nicht nur zurückerobern, sondern ihn auch geistesgegenwärtig zu Bryan Cook zurückwerfen. Der tankt sich an der rechten Außenlinie gekonnt durch, hat anschließend freie Bahn und läuft 59 Yards in die Endzone. Touchdown, 21:0 statt 14:7, was für eine Wendung der Ereignisse. Wow. Mahomes klatscht die Defensivmänner euphorisch ab. Jetzt ist es eine Machtdemonstration. Die Fans sind wieder voll da. "Was ist gerade passiert?", schreibt die NFL auf X, vormals Twitter. "Ein absolut wilder Chiefs-Touchdown in Frankfurt." Ganz bitter für die Dolphins, Sekunden später geht es in zur Halbzeit in die Kabinen.
Dann aber ändert sich wieder alles binnen Sekunden, wie es der Mythos dem Wilden Westen eben so zuschreibt. Mitte der zweiten Hälfte kommen Tagovailoa und seine hochgelobten Offensivmänner endlich in Fahrt. Fünfeinhalb Minuten vor Ablauf des dritten Viertels stellen sie nach einem schönen 31-Yards-Pass des Quarterbacks auf 7:21. Geht da noch was?
Ja, lautet die Antwort schnell. Denn Mahomes wird das Ei tief in der eigenen Hälfte aus den Armen geschlagen und die Dolphins haben wieder Ballbesitz. Und Runningback Raheem Mostert tankt sich nach einer für die Chiefs äußerst ärgerlichen Strafe mit einem spektakulären 13-Yard-Lauf durch zum Touchdown. 14:21, beinahe aus dem Nichts! Das hat in Frankfurt niemand kommen sehen. Das Momentum ist 22 Sekunden vor dem finalen Viertel auf der Seite der Männer aus Florida.
NFL-Expansion geht weiter
Jetzt kommt kurz vor Schluss gefühlt noch Clint Eastwood um die Ecke, so wild ist der Westen in Frankfurt. Gesetzlosigkeit. Alles kann passieren. Niemand ist sicher. Aber Cowboy Mahomes und seine Jungs überleben.
Am Ende verkündet die Liga erneut, was für ein Erfolg das zweite Spiel in Deutschland nach der Premiere in München im vergangenen Jahr war. Die NFL wird ihre Expansion auf dem alten Kontinent weiter ausbauen. Genau andersherum als die Siedler damals. Und geteert und gefedert wird zum Glück niemand an diesem spektakulären Abend.
Quelle: ntv.de