Hindernis-Läuferin Gesa Krause "Ich war körperlich einfach hinüber"
25.12.2020, 07:33 Uhr
2019 bei der WM in Doha holte Gesa Krause Bronze, 2020 brach sie ihr Rennen bei den Deutschen Meisterschaften ab und fiel in ein mentales Loch.
(Foto: imago images/Laci Perenyi)
"Ich war so ehrgeizig, dass ich den Schmerz vergessen habe", sagt Hindernis-Weltklasseläuferin Gesa Krause im Interview mit ntv.de. Im ersten von zwei Teilen des Gesprächs spricht Krause über ihren Hang zum Quälen, die Verarbeitung der Olympia-Absage und ihr mentales Loch nach der verpatzten Deutschen Meisterschaft.
ntv.de: Frau Krause, quälen Sie sich gerne?
Gesa Krause: Bei einem Laufsportler muss der gewisse Hang zum Quälen einfach da sein. Ich betreibe ja eine Disziplin, in der man an die Grenzen geht und mit Erschöpfung umgehen muss. Das lag mir schon immer und irgendetwas muss ich daran mögen, sonst würde ich es nicht machen.
Sie waren bis Mitte Dezember zum 20. Mal im Höhentrainingslager in Iten in Kenia. Jedes Mal sagen Sie im Anschluss: nie wieder!
Dort werde ich jedes Mal aufs Neue vor eine besondere Herausforderung gestellt. Auf 2400 Metern Höhe ist das Laufen viel anstrengender und dementsprechend hat man öfter diese Grenzerfahrungen. Ich war zum ersten Mal sechs Wochen in Kenia, wir haben in unserem Hotel abgeschieden wie in einer Blase gelebt. Es war wieder eine harte Zeit, besonders die letzten Tage, und ich bin froh, dass ich damit durch bin. Im Januar fliege ich aber gleich wieder hin. (lacht)
Konnten Sie das schon immer gut: an die Grenzen gehen?
Das ist einfach ein Teil von mir. Als Kind hab ich als Laie nach nur ein paar Monaten Leichtathletik-Training an meinem ersten Wettkampf teilgenommen. Ich bin losgelaufen und direkt über meine Grenzen hinausgegangen. Ich kam als zweite im Ziel an, bin zusammengebrochen und habe geweint, weil die Erschöpfung und der Schmerz so groß waren. Als Kind bin ich da übers Ziel hinausgeschossen, ich war so ehrgeizig, dass ich den Schmerz vergessen habe. Mit den Jahren lernt man dann seine Grenzen viel besser einzuteilen.
Qualvoll erschien vielen Menschen auch das Corona-Jahr 2020. Sie waren vor dieser Saison in Weltklasse-Form, brachen im September 2019 den deutschen Rekord über 3000-Meter-Hindernis (9:03,30 Minuten) und es schien, als würde Tokio 2020 Ihre Olympischen Spiele werden.
Bei der WM 2019 in Doha habe ich Bronze geholt und das hat mir gezeigt, dass ich wirklich in der Weltspitze mitmischen kann. Das hat mich beflügelt, ich befand mich in einer sehr guten Verfassung und ich habe mich gleich wieder ins Training gestürzt. Im März bin ich dann noch in die USA zu einem Wettkampf geflogen, der zwar auch abgesagt wurde, aber trotzdem blieb ich noch fünf Wochen dort. Dann erfuhr ich, dass die Olympischen Spiele abgesagt wurden.
Was ging da in Ihrem Kopf vor?
Als Athlet ist man so gepolt, dass man weitermacht und sich nicht unterkriegen lässt. Damals hab ich nicht angenommen, dass uns Corona so lange auf Trab halten wird und hab noch an eine Sommersaison, die Diamond League und die Europameisterschaft im August geglaubt. Dass dann alles gecancelt oder verschoben wurde, hätte ich nicht gedacht. So lange ohne Ziel zu trainieren, war schwer. Mir wurde der Boden unter den Füßen weggerissen, da fehlt einfach irgendwas. Als die Deutschen Meisterschaften dann stattfinden sollten, habe ich noch mal alles ins Training geworfen und mir gesagt: Der Wettkampf muss jetzt klappen. Leider habe ich das Rennen dann voll in den Sand gesetzt. Erst da merkte ich, was die Olympia-Verschiebung wirklich mit mir gemacht hat.
Und zwar?
Mein Körper wusste natürlich nicht, dass die Wettkämpfe nicht mehr stattfinden. Ich habe so weitertrainiert, als hätte ich eine normale Sommersaison. Die größere Herausforderung war: Ich muss noch mal einen Olympia-Aufbau absolvieren. Das heißt: viel Entbehrung, von zu Hause weg sein, in Corona-Zeiten erschwerte Reisebedingungen. Normalerweise denkt man als Sportler in Olympia-Zyklen und im Jahr nach den Spielen soll man an sich mal Luft holen können. Eigentlich wollte ich im Herbst mal ein paar Monate Pause machen, aber jetzt geht es einfach weiter. Wichtig war daher vor allem, dass ich die mentale Frische wiederbekomme.
Stichwort: mentale Frische. Bei den deutschen Meisterschaften im August in Braunschweig hatten Sie Ihr Rennen erschöpft aufgegeben müssen und daraufhin die Saison abgebrochen. Viele fragten: Was war da los? Das haben Sie als Angriff auf sich empfunden.
Da kam so etwas wie Empörung auf: Warum hat Gesa Krause nicht gewonnen? Viele haben damit nicht gerechnet, ich wollte ja auch meinen Titel verteidigen. Ich musste mich da vermehrt erklären, dabei habe ich einfach Menschlichkeit gezeigt. Viele wissen nicht, was hinter so einem Wettkampf steht, dass man für Weltklasse-Leistungen einen sehr langen Trainingsaufbau von etwa 10 Monaten braucht.
Sie nennt man manchmal "Miss Zuverlässig", Sie haben sonst immer performt und hatten zuvor seit 2015 stets die Deutsche Meisterschaft über 3000 m Hindernis gewonnen.
Ich bin keine Maschine. Auch ich habe manchmal einfach einen richtig schlechten Tag. Am Ende des Tages ist die Erklärung für die schlechte Leistung für mich ganz rational: Ich habe vorher im Trainingslager sehr hart trainiert und war einfach noch nicht erholt genug. Man kann da natürlich meinem Trainer und mir die Schuld geben, dass wir das nicht richtig getaktet haben, aber in einem Jahr ohne Wettkämpfe ist so was natürlich umso schwieriger. In mein mentales Loch bin ich aber erst danach gefallen. Ich war körperlich einfach hinüber - über das Maß hinaus, was gut ist. Durch die Olympia-Verschiebung hatte ich dann auch nicht mehr die Kraft und habe auch nicht den Sinn darin gesehen, mich aus dem Loch herauszukämpfen.
Teil zwei des Interviews folgt am 26. Dezember.
Mit Gesa Krause sprach David Bedürftig.
Quelle: ntv.de