Italien immer gefährlicher Die Unbesiegbaren jetzt auch noch grausam
27.06.2021, 10:16 Uhr
Grausam für Österreich: Matteo Pessina jubelt über sein 2:0 in der Verlängerung.
(Foto: imago images/Xinhua)
Die neue Offensivmacht Italien beschwört gegen Österreich den Geist der alten Squadra Azzurra herauf: Der dreckige Sieg in der Verlängerung dürfte andere Turnierfavoriten in Schrecken versetzen. Denn die Italiener sind mit der Mischung aus alt und neu "grausam" für jeden Gegner.
Schlechte Nachrichten für Frankreich, Belgien, die Niederlande, vielleicht auch Deutschland - und wie auch immer die anderen Turnierfavoriten noch heißen mögen. Der knappe 2:1 (0:0)-Sieg der Italiener am Samstagabend gegen Österreich im EM-Achtelfinale zeigte: Italien ist wieder Italien. Oder genauer gesagt: Das neue Italien kann also auch so wie das alte, stets erfolgreiche Italien. Ein wenig dreckig siegen, in der Nachspielzeit, mit reichlich Glück in der zweiten Hälfte der regulären Spielzeit.
Die Squadra Azzurra machte in diesem Turnier bislang toller Offensivfußball und eine starke Defensive aus. Zu dieser neuen, zielgerichteten Spielweise gesellt sich jetzt die alte und von Gegnern gefürchtete Siegermentalität. Die Fähigkeit, auch angezählt jederzeit - und vor allem - zum richtigen Zeitpunkt zuzuschlagen. Schlechte Nachrichten also für die anderen Turnierfavoriten. Besonders Deutschland musste unter diesem alten italienischen Naturell in der jüngeren Fußballgeschichte schon mehrmals leiden (WM 2006, EM 2012).
In der 114. Minute war es passiert. Nach 1168 Minuten mit weißer Weste fiel das erste Gegentor der Italiener. Zum ersten Mal seit dem 14. Oktober 2020 musste Torwart Gianluigi Donnarumma einen Ball aus seinem Kasten fischen. Obwohl: Nicht mal das musste der Keeper, denn nach Sasa Kalajdzics genialem Flugkopfball zum 1:2 aus Österreichs Sicht schnappten die ÖFB-Profis sich fix die Kugel und eilten zurück zur Mittellinie, um noch auf den Ausgleich zu drängen.
Italien schlägt eiskalt zu
Es half nichts. Kühl spielten die Italiener die verbleibenden Minuten runter. Ließen hinten nichts mehr anbrennen. Das war im Verlauf des Spiels nicht immer so. Die Squadra Azzurra wackelte. Erstmals bei dieser EM. Erstmals seit 31 Spielen. Denn sagenhafte 30 Partien war die Mannschaft von Trainer Roberto Mancini vorher ohne Niederlage geblieben. Leidenschaftlich kämpfende Österreicher hatten aber etwas gegen den italienischen Rekord, der mit dem 31. Spiel aufgestellt wäre. Marko Arnautovic jubelte (65.) jedoch vorschnell über seinen Kopfballtreffer, der vom VAR wegen hauchdünnen Abseits zurückgepfiffen wurde. Später hatten die Italiener Glück, dass ein möglicher Elfmeter gegen sie wegen einer weiteren Abseitsposition nicht gecheckt wurde.
Nach einer angriffslustigen und dominanten ersten Hälfte fanden Mancinis Männer in Blau kaum Antworten auf die österreichischen Offensivbemühungen. Ein wenig frustriert wirkte die bis dato beste Mannschaft der EM, die Sensation eines ÖFB-Sieges drohte sich von einer Fata Morgana in die Realität zu verwandeln. Die Mannschaft des deutschen Trainers Franco Foda war zu diesem Zeitpunkt die bessere, die zielgerichtetere.
Doch genau dann stach die Squadra Azzurra eiskalt zu. Spät. In der Verlängerung natürlich. Wie so oft zum richtigen Zeitpunkt. Dann kühl verteidigen und ein wenig Zeit schinden - und schon ertönt der Abpfiff. Deutsche Fans fühlten sich erinnert: Mit Italien ist immer zu rechnen. Besonders in diesen Situationen. Achtung Klischee, aber hier lässt sich getrost die alte Sportweisheit hervorkramen: Angezählte Boxer sind gefährlich. Die Joker Federico Chiesa (95.) und Matteo Pessina (105.) beschwörten den Geist des alten Italiens herauf und raubten den Österreichern innerhalb von zehn Minuten jegliche Chance auf den Überraschungssieg.
Gefährlich und "grausam"
Kalajdzics Anschlusstreffer war letztendlich nur noch Makulatur. "Das ist absolut bitter und unverdient", klagte der Profi vom VfB Stuttgart anschließend im ORF: "Wir waren mindestens ebenbürtig." Er betonte: "Ich glaube, das ist nicht nur das grausamste Spiel in meiner Karriere, sondern auch in der gesamten österreichischen Fußballgeschichte."
Grausam war die Partie aber auch für die weiteren Fußballgroßmächte. Sie mussten beobachten, wie dem neuen Italien kurzzeitig die Metamorphose zum alten Italien gelang. Diese für die Squadra Azzurra typischen Qualitäten sind wie gemacht für die K.o.-Phase. Ein bisschen dreckig und glücklich, aber immer erfolgreich. Zusammen mit der eindrucksvollen Spielweise der EM-Vorrunde formen diese italienischen Fähigkeiten das Team von Roberto Mancini zur gefährlichsten Mannschaft des Turniers.
Gefährlich und grausam. Der erste EM-Triumph seit 53 Jahren rückt näher für Italien. Die möglichen Viertelfinal-Gegner am Freitag (21 Uhr im ntv.de-Liveticker) in München, Belgien oder Portugal, dürften gewarnt sein. Zu Recht.
Quelle: ntv.de