Beinahe-Blamage als Chance? Diese schallende Ohrfeige schüttelt Messi böse durch

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(Foto: IMAGO/Agencia MexSport)

Argentinien blamiert sich gegen die Niederlande bis auf die Knochen - und zieht doch ins WM-Halbfinale ein. Warum Messis Mannschaft nach so viel Genialität komplett zerbricht, bleibt unerklärlich. Es darf nur nie wieder passieren. Und darin liegt ihre letzte Chance.

Auch wenn es paradox klingt: Als der Flitzer im blau-weißen Trikot aufs Feld rast, ist die Welt noch heil. Die argentinische zumindest. Die des Fans nicht - denn er wird erst von mehreren Security-Leuten zu Boden geprügelt und dann an Händen und Füßen zappelnd vom Platz getragen - und die der Niederländer mit Sicherheit auch nicht. Es läuft die 75. Minute und Argentinien führt im WM-Viertelfinale mit 2:0. Kurz darauf nimmt der Wahnsinn seinen Lauf, bis die Albiceleste in einem wilden Elfmeterschießen mit 4:3 ins WM-Halbfinale einzieht.

Doch wenige Momente vor dem Flitzer baut Lionel Messi die durch Nahuel Molina erzielte Führung per Elfmeter aus. Mit seinem zehnten WM-Tor zieht der Spielmacher Stürmer-Legende Gabriel Batistuta gleich und ist erfolgreichster Torschütze der Argentinier bei Weltmeisterschaften. Als es ein wenig Rudelbildung im Strafraum seiner Mannschaft gibt, interessiert das Messi wenig. Er steht im Mittelkreis. Genießt den Moment. Seinen Moment. Der 35-Jährige wirft seine Arme in die Höhe, fordert die Fans zum Jubeln auf.

Einer seiner Anhänger nimmt das ein klein bisschen zu ernst und rennt auf das Spielfeld. Doch egal, die Welt Messis ist mehr als heil. Alles sieht nach einem klaren Sieg und dem Einzug ins WM-Halbfinale aus, den Erzrivale Brasilien kurz vorher nicht schafft. Die argentinischen Fans feiern ihr Team und sich selbst. Doch dann folgt der Doppel-Schock. Der Wahnsinn beginnt.

Worst Case durch Weghorst

Der doppelte Wout Weghorst erwirkt den Zusammenbruch der kompletten argentinischen Mannschaft und ihrer Stabilität innerhalb weniger Minuten. Sein Kopfball in der 83. und sein Schuss nach Freistoß-Trick tief in der Nachspielzeit stürzen die Albiceleste kurzzeitig ins Tal der Toten. Eine Blamage, selbst wenn am Ende die Rettung steht. Denn niemals darf ein Team, das Weltmeister werden will, so ein Spiel noch aus der Hand geben.

Die Argentinier dominieren das Duell bis zum Anschlusstreffer, lassen hinten nichts zu, haben vorne nicht viele überragenden, aber gute Spielzüge. Alles im Griff also. Das Tor zum 1:2 ist der erste Schuss von Oranje, der wirklich auf den Kasten der Albiceleste geht. Es sind eine Halbfeldflanke und ein simpler Kopfball. Einfach zu verteidigen. Und nach dem Gegentor geht erneut ein unerklärlicher Einbruch durch das Team von Messi. Wie schon gegen Australien im Achtelfinale, als man in der letzten Minute noch fast den Ausgleich kassiert hätte. In diesem Fall, gegen die Niederlande, geschieht dann dieser Worst Case.

Vor und während der Verlängerung wird es immer wieder hitzig. Bei Mannschaften kämpfen mit allen legalen und illegalen Mittel. Mehrmals brennen bei den Argentiniern die Sicherungen durch. Was bei einer Führung im WM-Viertelfinale niemals passieren darf, wenn man den größten aller Titel erringen will. So zum Beispiel grätscht der kurz zuvor eingewechselte Leandro Paredes in der 89. Minute erst Nathan Aké um und hämmert dann nach dem Foulpfiff den Ball vor lauter Frust aus kürzester Distanz und mit voller Kraft auf die niederländische Bank. Es folgt eine von vielen Rudelbildungen, Paredes kommt mit Glück mit Gelb davon.

Wahnsinn folgt auf Magie

Messi versucht seine Mitspieler zu beruhigen, doch auch er kann den Wahnsinn nicht aufhalten. Nach dem brasilianischen Drama erlebt die Albiceleste ihr orangenes Wunder. Sie fällt zusammen und droht alles zu verspielen. Wo bis zur 83. Minute alles unaufgeregt wegverteidigt wird, herrscht kurz darauf Chaos. Wo noch vor wenigen Minuten alles nach dem nächsten Messi-Wunder aussieht, schauen nun Spieler und Fans entgeistert drein.

Denn alles fängt so gut an für die Albiceleste und ihren Superstar. Schon das 1:0 gehört zur Hälfte Messi. In der 34. Minute ist es wieder einmal ein genialer Moment des Maestros im Mittelfeld. Mit der Annahme per Hacke durch die eigenen Beine verschafft der Zehner sich Luft, dann zieht er einen seiner Sprints aus dem Nichts an, den Ball unglaublich eng am Fuß geführt. Eine Verzögerung und Gegenspieler Aké läuft kurz ins Leere. Das Verschafft Messi die Millisekunde Vorsprung, um per No-Look-Steckpass - die Augen sind hochfokussiert nur geradeaus nach vorne gerichtet - den durchstartenden Molina präzise in Szene zu setzen. Allerfeinste Zentimeterarbeit.

Der Außenverteidiger nimmt den Ball stark mit und schiebt zum 1:0 und seinem ersten Länderspieltor flach ein. Ekstase auf den Rängen und auf dem Feld. Messi springt dem Torschützen in die Arme. Der Geniestreich des Magiers ist gleichzeitig ein WM-Rekord: Als einziger Spieler hat er nun fünf Vorlagen in der K.o.-Runde von WM-Turnieren gegeben (Brasilien-Legende folgt mit vier Assists).

Argentinien besteht Herausforderung

Doch zurück zur Blamage. Später, nach dem 2:2, bleibt das Spiel hitzig. Die Beine der schockierten Argentinier sind schwer. Es wird still im Lusail Stadion. Der Gigant wankt. Er wankt bedenklich, die holländische Doppel-Ohrfeige sitzt. Sie schüttelt auch Messi böse durch. Aber am Ende fällt der Gigant nicht. Und genau das ist die Quintessenz, die die Argentinier aus diesem Duell mitnehmen müssen.

Es bleibt bei einer schallenden Ohrfeige, die keine bleibenden Schäden hinterlässt. Und vielleicht kann mit ihr ernsten Verletzungen, Narben und Traumata vorgebeugt werden. Denn die Albiceleste hat nach dem Zusammenbruch die Herausforderung angenommen und bestanden. Möglicherweise ist dies der schwierige, krampfige K.o.-Sieg, den viele Teams auf dem Weg zum Titel durchmachen. Man denke an Deutschlands 2:1 gegen Algerien in der Verlängerung 2014.

Argentinien übersteht erst die Provokationen der Niederländer beim Elfmeterschießen. Und dann den Druck, mit dem fünften Schuss vom Punkt alles klarmachen zu können. Ausgerechnet Lautaro Martinez, der Stürmer, der bei dieser WM noch gar nichts trifft, markiert den finalen Treffer.

Die krönende Ohrfeige für Messi

Schön spielen, das können Messi und Co., das weiß alle Welt. Aber diesmal kämpft Argentinien sich weiter. Setzt sich gegen alle Widrigkeiten durch. Kratzt, beißt. Ein am Ende auch ekliges Spiel zu gewinnen, das gibt Kraft. Das rüttelt wach. Gerade noch rechtzeitig.

Zwar dürfen die Argentinier sich im Halbfinale oder in einem möglichen Finale nicht noch mal so blamabel präsentieren auf der Zielgeraden oder nach einem Gegentor. Denn so gewinnt man keine WM. Aber möglicherweise ist es am Ende genau diese schallende, orangene Ohrfeige, die den Magier Messi zum König krönt.

Quelle: ntv.de

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