Mysteriöse Fangruppe machtlos Katars Fußball lässt Fans aus dem Stadion flüchten

Die Zuschauer hielt nichts mehr auf den Sitzen. Deswegen gingen sie dann.

Die Zuschauer hielt nichts mehr auf den Sitzen. Deswegen gingen sie dann.

(Foto: IMAGO/Action Plus)

Fußball wird auch gespielt bei dieser Fußball-Weltmeisterschaft in Katar. Am Sonntag zum ersten Mal. Das Eröffnungsspiel zwischen dem umstrittenen Ausrichter und Ecuador ist eine einseitige Angelegenheit. Katar spielt das Al-Bayt-Stadion leer. Die Zuschauer verlassen es nahezu fluchtartig.

Katar-Fans von überall, mit Fahne an den Jeeps, in traditionellen Gewändern und ohne. Ein Sandsturm weht durch die verlassene Landschaft zwischen Doha und Al-Khor, der zweitgrößten Stadt des Landes. Dort steht inmitten von nichts ein Wüstenzelt. Das Al-Bayta-Stadion. Alle wollen dahin. Die Straßen sind verstopft, wie auf dem Weg aus der Münchener Innenstadt zur Allianz-Arena.

Die Nationalmannschaft Katar eröffnet die wohl umstrittenste WM der Geschichte. Gegen Ecuador, die sich darauf freuen. Das erste Spiel der Fußball-Weltmeisterschaft ist ein Spiel, auf dem nicht nur politisch riesiger Druck lastet. Es ist eins, das die Stimmung im Emirat in den nächsten WM-Wochen maßgeblich beeinflussen wird. Kann die Nationalmannschaft das Land in Aufregung versetzen oder wird sie hoffnungslos untergehen? Oder kann sie heldenhaft ausscheiden?

Was wusste Zidane?

Nach Monaten in der Abgeschiedenheit Österreichs und an der Küste Spaniens ist das Team von Trainer Felix Sanchez erst vor einigen Tagen zurück nach Katar gekehrt. "Das war schon eine lange Zeit, aber wir wollten das so: Gute klimatische Bedingungen und dort versuchen, das Team gut vorzubereiten", erzählt der 46-jährige Spanier: "Wir sind sehr zuversichtlich, dass es eine gute Vorbereitung war. Wir wollen am 20. November da sein."

Lange ist unklar, ob Sanchez das Team überhaupt zur WM führen wird. Der Name Zinedine Zidane hängt über Katar, doch dabei bleibt es. Vielleicht auch, weil der Weltstar die Gefahren des Jobs frühzeitig erkennt. Nach allem, was wir nach diesem Eröffnungsspiel wissen, ist und war Katar wohl auch vorher nicht zu retten.

Sie wirken wie eine Kreisligatruppe, die durch eine glückliche Fügung der Geschichte plötzlich an einer Fußball-Weltmeisterschaft teilnehmen darf. Sie laufen Gefahr, ihre Gruppe auf dem letzten Platz zu beenden, und sang- und klanglos aus dem Turnier auszuscheiden. Anders als der bislang einzige Gastgeber, der das Achtelfinale verpasst hat: Südafrika, das es 2010 aber immerhin auf vier Punkte und einen Sieg gegen Frankreich, dem Finalisten von 2006, brachte.

Keeper Al-Sheeb versprüht WM-Stimmung

Die Geschichte des Spiels ist schnell erzählt. Enner Valencia trifft dreimal. Der erste Treffer fällt dem VAR zu Opfer. Ein aberkanntes Tor, das weitere Verschwörungstheorien hätte befeuern können. Tut es aber nicht, weil irgendwo ein VAR-Bild aufgetrieben wird, dass eine Abseitsstellung vorliegt. Und auch, weil Valencia erst per Elfmeter und später per Kopf trifft. Der katarische Torhüter Saad Al-Sheeb versprüht dabei echte WM-Stimmung. Er gibt den Keeper eines absoluten Underdogs, der seine Mannschaft in den Abgrund reißt. Indem er im Strafraum herumirrt, Enner Valencia wiederholt von den Beinen holt und dabei ja noch ein Glückspilz ist, weil der italienische Schiedsrichter Daniel Orsato nur auf je einen Elfmeter und eine Gelbe Karte entscheidet.

Keeper Al-Sheed erwartet das Unglück. Hinter dem Tor blättern die Fans im Liederbuch der europäischen Fanszenen.

Keeper Al-Sheed erwartet das Unglück. Hinter dem Tor blättern die Fans im Liederbuch der europäischen Fanszenen.

(Foto: IMAGO/Marca)

Unbeholfene Katarer versuchen sich auch außerhalb des Strafraums mit allerhand Mitteln gegen La Tri zu wehren. Die Südamerikaner kontrollieren das Geschehen auf dem Rasen des Al-Bayt zu jeder Zeit. Sie laufen nie Gefahr, ein Tor zu kassieren. Ihre Aufgabe besteht darin, den Fouls der Katarer auszuweichen. Es sind Fouls aus Unbeholfenheit. Ständig kommen sie zu spät. Meist können die Südamerikaner ausweichen. Aber irgendwann endet alles. So auch Enner Valencias unerschütterlicher Kampf gegen die Tritte. In der 77. Minute muss er den Platz doch noch verlassen. Auf der Bank kühlt er sich sein Knie. Mit insgesamt fünf WM-Toren, drei hatte er beim Turnier in Brasilien 2014 erzielt, baut er seinen Landesrekord weiter aus. "Enner wird gegen die Niederlande spielen", sagt Ecuadors Trainer Gustavo Alfredo nach dem Spiel. Alles halb so wild.

In den wenigen Situationen, in denen den Gastgeber doch einmal ein Tackling gelingt, gewinnen sie sogar den Ball. Viel zu selten ist das jedoch der Fall. Offensiv sind die Bemühungen der Katarer mit mangelhaft noch zu gut benotet. Einmal, es ist mit dem Pausenpfiff, setzt sich Pedro Correira auf der rechten Angriffsseite durch. Ein kurzer Pass auf Hassan Al-Hayods, die Ikone des Fußballs im Emirat und der einzige gebürtige Katarer im Team. Flanke aus dem Halbfeld, in der Mitte vergibt Almoez Ali den Kopfball kläglich.

Die mysteriösen Fansöldner

Von dem 26-jährigen Akram Afif ist wenig zu sehen. Dem Linksaußen, der kurzzeitig sein Glück in Spanien suchte, wurde etwas zugetraut, doch sein Schussversuch in der zweiten Halbzeit erinnert an einen von Abdelkarim Hassan in der ersten. Beide fliegen weit übers Tor in den Fanblock. Afifs Ball landet bei den jubelnden, wenngleich in der zweiten Halbzeit deutlich ausgedünnten Einpeitscherfans der Katarer, die sich durch das Liederbuch der europäischen Klubs singen und auch Union Berlins Aufstiegsschlager "Die Zeit ist nun gekommen" einen neuen Anstrich verleihen. Die Gruppe bringt zumindest etwas Stimmung in das nur noch spärlich besetzte Wüstenzelt.

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Schon weit vor Anpfiff singen sich die Fans Ecuadors warm. Doch irgendwann sind sie gelangweilt. Mal probieren sie es mit La-Ola, doch die Welle bricht sofort. Dann schweigen sie und manchmal fordern sie, weil es auch ein wenig Mode ist, Bier. Auf der anderen Seite gegenüber zieht eine große Gruppe Katar-Fans erst nach der Eröffnungszeremonie in den Hintertorblock. Der war bis dahin frei geblieben. Die Fans kommen in weinroten Qatar-Shirts, mit Trommeln und Vorsängern. Sie schunkeln und rufen und reißen die Arme in die Luft. Der Gastgeber hat sich im Vorfeld auch gegen Vorwürfe gewehrt, Fans aus aller Welt zu kaufen, um dem Turnier etwas positive Stimmung einzuhauchen. In der Tradition der Vorwürfe bewegen sich auch diese Fans. Es ist unklar, woher sie kommen, wo sie waren und wer sie sind. So vieles, was Katar bei diesem Turnier anfasst, kann gegen sie verwendet werden.

Auch in Katar selbst dürfte die Euphorie einen ordentlichen Dämpfer erfahren haben. Sichtbar ist das an den leeren, fragenden Blicken der Zuschauer im Stadion und sichtbar ist es an den unzähligen freien Sitzplätzen in der zweiten Halbzeit. Von den 67.372 Fans sind wenig übriggeblieben. Verpasst haben die, die gegangen sind, in der zweiten Halbzeit ohnehin wenig. Ecuador genügen die Tore, Katar kann mit dem Ball nichts anfangen und verliert somit als erster WM-Gastgeber überhaupt ein offizielles Eröffnungsspiel. Alles noch viel schlimmer: Der nächste negative Eintrag in die Geschichtsbücher droht. Vier Punkte aus den beiden Spielen gegen den Senegal und die Niederlande brauchen sie jetzt. Sonst wird es ganz bitter. Dann stellt Katar das schlechteste Gastgeberteam aller Zeiten.

Quelle: ntv.de

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