Joker Gittens hat richtig Spaß Borussia Dortmund kopiert den Superklub Real Madrid
19.09.2024, 07:48 Uhr
Jubeltraube BVB 09.
(Foto: IMAGO/RHR-Foto)
Im ersten Spiel der neuen Champions League spielt Vorjahresfinalist Borussia Dortmund in Brügge seine ganze Erfahrung aus. Das 3:0 (0:0) fällt ein wenig zu hoch aus. Der BVB kann sich dabei auf einen verlassen, der in diesem Sommer hart dafür gearbeitet hat. "Nicht zu verteidigen", lautet das Urteil.
Jamie Gittens hatte den Sommer über Zeit. Er legte nicht nur seinen Doppelnamen ab, sondern stand immer wieder mit seinem Privattrainer auf dem Platz. Immer wieder zog er von der linken Seite in den Strafraum, blickte kurz auf und schloss ab. Immer häufiger fand er den richtigen Zeitpunkt. Immer öfter dehnte der Ball das Netz am anderen Ende des Tores. Als die neue Spielzeit dann begann, Borussia Dortmund mit Jadon Sancho einen Mann auf dem Flügel verloren hatte und der 20-Jährige im ersten Liga-Spiel der Saison gegen Eintracht Frankfurt eingewechselt wurde, war er eins mit dem Ablauf.
Brügge: Mignolet - Seys (71. Sabbe), Mechele, Ordonez, De Cuyper - Vetlesen (85. Vermant), Onyedika - Skov Olsen, Vanaken, Tzolis (85. Talbi) - Nillson (65. Jutgla). - Trainer: Hayen
Dortmund: Kobel - Ryerson, Schlotterbeck, Süle, Bensebaini (59. Anton) - Gross (86. Nmecha), Can - Sabitzer (68. Gittens), Brandt, Adeyemi (87. Couto) - Malen (59. Guirassy). - Trainer: Sahin
Schiedsrichter: Irfan Peljto (Bosnien-Herzegowina)
Tore: 0:1 Gittens (76.), 0:2 Gittens (86.), 0:3 Guirassy (90.+5, Foulelfmeter)
Gelbe Karten: Vetlesen - Ryerson
Zuschauer: 28.235 (ausverkauft)
Bald nach seiner Einwechslung flatterte er einen Ball ins lange Eck und veredelte einen späten Konter zum 2:0-Auftaktsieg des BVB. Genau das gelang ihm nun erneut als der neue Superjoker des Bundesligisten. Gleich zweimal tanzte er mit der Verteidigung, lud sie beim 1:0 sogar noch ein, den Ball mit ins Tor zu befördern und jubelte dann mit seinen Teamkollegen.
Die Belgier hingegen versanken vor Wut im Boden. Der kleine Tanz über den Ball ist einer dieser vorhersehbaren Tricks in der Welt des Fußballs. Er ist einer dieser Bewegungen, die Gegner zur Verzweiflung bringen, weil sie trotz ihrer Vorhersehbarkeit bei einer perfekten Ausführung kaum zu verteidigen ist. Generationen von Bundesliga-Verteidigern erinnern sich mit Schrecken an Arjen Robben und seinen Lauf von der rechten Seite in die Mitte zur Strafraumkante. Es war nicht zu verteidigen. Dahin will Gittens auch, dahin strebt jeder Spieler. Noch ist es ein langer Weg für den 20-jährigen Engländer. Doch er hat sich auf den Weg gemacht und sammelt in diesen frühen Tagen der Spielzeit 2024/2025 nationale und internationale Anerkennung.
Jamie Gittens hat Spaß, Marcel Sabitzer nicht
"Wenn Jamie im 16er ist, ist er einfach nicht mehr zu verteidigen", befand dann auch BVB-Sportdirektor Sebastian Kehl. Vielleicht sortierte er im Kopf bereits die Angebote, die für einen Spieler mit einer derartigen, stabilen Eigenschaft ins Haus flattern könnten. Ein junges Talent in Dortmund zu sein, heißt immer auch, sich für die absolute internationale Klasse anbieten zu können. Die Vorbilder Erling Haaland und Jude Bellingham sind noch sehr präsent in den Gedanken in Dortmund. Doch natürlich muss auch ein Klub diesen Ruf immer wieder untermauern. Mit Gittens könnte das gelingen. Das aber war an diesem 18. September 2024 nur ein Hintergedanke. Noch ist die Saison und auch die neue Dortmunder Mannschaft in der Findungsphase. Für derartige Endsaisonszenarien ist noch viel Zeit.
"Es war ein guter Tag, wir haben gewonnen, und ich bin sehr glücklich", sagte Gittens mit der Trophäe für den Spieler des Spiels in der Hand. Er wolle sie vielleicht ins Wohnzimmer stellen, sie sei in jedem Fall ein tolles Geschenk. Eines, für das er hart gearbeitet hatte. "Ich komme auf den Platz, will Spaß haben und einfach Einfluss nehmen aufs Spiel", erklärte er. Keine zehn Minuten hatte er nach seiner Einwechslung für Marcel Sabitzer benötigt, um dem Spiel seinen Stempel aufzudrücken. Sabitzer hingegen hatte vorher wenig Spaß auf dem Platz.
Erneut hatte ihn Sahin auf der offensiven Außenposition eingesetzt, auch um Maxim de Cuyper, den offensivstarken linken Außenverteidiger Brügges, unter Kontrolle zu halten. "Die sechs ist besser", sagte der Österreicher nach dem Spiel. Außen sei sicher nicht seine "Idealposition", doch am Ende habe das der Trainer zu entscheiden. "Das gilt es zu respektieren", sagte er kurz angebunden. "Es gibt Situationen, da brauchen wir ihn auf anderen Positionen", sagte Sahin nur und beruhigte seinen Spieler: "Er wird auch noch sehr viele Spiele auf der Sechs machen." Es waren die einzigen Misstöne an diesem ersten Champions-League-Abend der Saison.
Brügge findet Lösungen, BVB wartet ab
Die Borussia war geduldig geblieben. Lange waren die Dortmunder mit viel Ballbesitz gegen den tief stehenden Block der Belgier angelaufen, an ihm abgeprallt. Lange hatten die Dortmunder gefährliche Umschaltmomente über sich ergehen lassen müssen. Dabei hatten sie bis zur Einwechslung von Gittens und auch Felix Nmecha, der für Pascal Groß kam, in der zweiten Halbzeit die Kontrolle über das Spiel verloren. "Das Spiel war ein bisschen behäbig und wir haben kaum Lösungen im letzten Drittel gefunden. Trotzdem hatten wir viel Ballbesitz, aber dann waren wir nicht gut im Gegenpressing", sagte Kapitän Emre Can nach dem Spiel. "Das muss auf jeden Fall besser werden. Es war nicht alles gut, aber wir nehmen die drei Punkte mit und das zählt."
Erst ab den Einwechslungen in der 68. Minute erkämpfte sich der BVB die Kontrolle zurück. Schon zehn Minuten vorher hatte Trainer Nuri Şahin mit Serhou Guirassy, der ganz spät mit seinem Elfmeter zum 3:0 sein Torkonto eröffnete, für Donyell Malen und Waldemar Anton für Ramy Bensebaini an der Statik des Spiels gearbeitet. Es war nicht genug. Auch, weil der 23-jährige Mittelfeldmann Raphael Onyedika immer wieder schnelle Lösungen bei Dortmunder Ballverlusten fand. Den Belgiern gelang es mit schnellen Kontakten auf die rechte Angriffsseite zu gelangen, doch immer wieder scheiterten sie. Umso länger die Partie des ersten Spieltags der Champions League voranschritt, so sicherer erschien paradoxerweise der Sieg der Gäste aus Westfalen.
BVB macht es wie Real Madrid
Wie die internationale Spitzenmannschaft, die sie nun einmal ist, ließ Borussia Dortmund den Gastgebern über weite Strecken die Hoffnung auf eine Sensation. Wie Vorjahressieger Real Madrid gegen den Bundesliga-Vertreter VfB Stuttgart, so konnte auch der Vorjahresfinalist, wenn auch auf weit niedrigerem Niveau, auf die Erfahrung aus unzähligen europäischen Nächten zählen.
Den Verlierern um Torhüter Simon Mignolet blieben nur die Worte, die in diesen Fällen immer gesprochen werden. "Wir haben ein gutes Match gespielt", sagte der ehemalige Keeper von Liverpool, der im Sommer 2019 zurück in seine belgische Heimat gewechselt war. "Bis zur 75. Minute hatten wir die Kontrolle, wir hatten gute Chancen. Wenn wir zur richtigen Zeit treffen, dann gewinnen wir hier. Aber dummerweise treffen sie mit einem abgefälschten Schuss. Das 0:3 ist viel zu hoch. Das verdienen wir nicht. Wir haben ein gutes Spiel gezeigt." Eines, an das sich auch in Brügge in einigen Jahren kaum jemand erinnern wird. Auch das ist die frühe Phase einer Saison in der Champions League. Daran ändert der neue Modus mit der gigantischen 36-Vereine-Tabelle nichts.
Julian Brandt erklärt, wann man Tore schießen kann
Die Gäste aus der Bundesliga schnappten sich die Punkte und arbeiten jetzt weiter an ihrem erneuten Umbruch. Am Wochenende geht es dabei zum VfB Stuttgart, der für sich eben in Madrid reklamieren konnte, über lange Zeit ebenbürtig mit dem Übergiganten des europäischen Fußballs gewesen zu sein. So vielen Mannschaften ist es schon so ergangen. Fragen Sie unter anderem nach bei Union Berlin, RB Leipzig, Bayern München und dem BVB, die im Vorjahr allesamt ähnliche Erfahrungen machen durften. Wenn man so will, durfte Brügge diese nun auch machen.
Denn im Grunde genommen war für den interessierten Beobachter das gesamte Spiel über nicht die Frage, ob der BVB die drei Punkte mit nach Dortmund nehmen wird, sondern wie sie das tun würden, dominierend. "Man hat nicht nur 45 Minuten, sondern 90 Minuten, um Tore zu schießen. Manchmal braucht man ein bisschen Geduld. Es war tough, aber wir haben es heute hinbekommen", erklärte Mittelfeldspieler Julian Brandt mit der Entspanntheit eines Gewinners auf DAZN.
"Uns zeichnet aus, dass wir von der Bank die Tore gemacht haben. Wie schon gegen Frankfurt waren es die Auswechselspieler, die das Spiel entschieden haben. Aber man kann eben auch zum Ende des Spiels Tore schießen", sagte Brandt. Wie gegen Eintracht Frankfurt in der Bundesliga war es auch dieses Mal Jamie Gittens, der sich im Sommer von der Last seines Doppelnamens befreit hatte und nun den Dortmundern die Sorge vor der Last eines Fehlstars in der Königsklasse raubte. Das Training hat sich gelohnt.
Quelle: ntv.de, sue