Politiker, Fußballer, 50 Kinder Der älteste Profi der Welt ist ein Schurke
22.09.2021, 19:26 Uhr
Ronnie Brunswijk.
(Foto: imago images/Hollandse Hoogte)
Ziemlich genau 54 Minuten dauert das Legendenspiel von Ronnie Brunswijk. Der Vizepräsident von Suriname ist seit Dienstag der älteste Fußballer, der je in einem internationalen Klubwettbewerb zum Einsatz kam. Aber Ronnie Brunswijk ist viel mehr: Spitzenpolitiker und gesuchter Verbrecher.
Ronnie Brunswijk ist vieles, verurteilter Verbrecher etwa oder auch umstrittener Staatsmann. Aber eines ist Ronnie Brunswijk nicht, ein Schauspieler. Als der mächtige Kapitän von Inter Moengetapoe im Vorrundenspiel der CONCACAF-League nach 25 Minuten am Mittelkreis von einem Gegenspieler, dessen Namen wir leider nicht kennen, böse gefoult wird, da schüttelt er sich einmal kurz, steht auf, lächelt und spielt einfach weiter. Für alle Beteiligten ist dieser Moment eine gute Nachricht. Denn nicht immer spürt der Mann so viel Milde in sich. Vor 16 Jahren etwa zog der Surinamer während eines Spiels einfach eine Pistole. Er wollte einen Gegenspieler damit bedrohen und wurde für fünf Jahre gesperrt. Die Strafe wurde später "aus Mangel an Beweisen" aufgehoben.
Den Spaß am Fußball hat Ronnie Brunswijk nie verloren. Aber auch ihm dürfte klar sein, dass seine Karriere nun langsam vorbei ist. Gegen den honduranischen Vertreter CD Olimpia stand er zwar in der Startelf, nach 54 Minuten war aber Schluss. Und ein Youtube-Video mit seinen besten Szenen, legt nahe, dass der Zahn der Zeit massiv an ihm nagt. Defizite in der Physis und in der Handlungsschnelligkeit am Ball lassen sich nun wirklich nicht wegdiskutieren. Auch, wenn die Gegenspieler aus Respekt einen amtlichen Sicherheitsabstand zum Stürmer halten. Dennoch darf Ronnie Brunswijk stolz auf sich sein. Denn bei der 0:6-Niederlage im eigenen Stadion (das selbstverständlich seinen Namen trägt), die er trotz einiger weniger erfolgreicher Zuspiele nicht verhindern konnte, stellte er einen Rekord auf. Mit 60 Jahren und 198 Tagen hat sich Surinames Vizepräsident am Dienstagabend zum ältesten Fußballer in einem internationalen Vereins-Wettbewerb aufgeschwungen.
Ob er die Rekordmarke für künftige Generationen noch ein klein wenig unerreichbarer werden lassen kann, das ist unklar. Klar ist nur, dass er im Rückspiel sicher nicht mitwirken wird. Denn die Sache mit Ronnie Brunswijk ist international kompliziert und für ihn äußerst gefährlich. Der ehemalige Armee-Offizier und frühere Rebellenführer kann seine Heimat wegen mehrerer Haftbefehle nicht ohne das Risiko einer Verhaftung verlassen. In Surinames früherer Kolonialmacht Niederlande drohen ihm wegen Drogenhandels bis zu acht Jahre Haft, in Frankreich sogar bis zu zehn Jahre. Brunswijk, einer der reichsten Männer des Landes, erklärt die Herkunft seines Vermögens mit Holz- und Goldbergbaukonzessionen, die er nach dem Krieg erhalten hatte.
Vater von mindestens 50 Kindern
Nun, es gibt durchaus größere Zweifel an der sehr soliden Beschaffenheit seines Lebens. Laut eines Porträts der "New York Times" war er unter anderem ein Elite-Fallschirmjäger, ein Fußballspieler, ein gesuchter Bankräuber, ein Guerilla-Anführer, ein Goldbaron und im Laufe seines Lebens Vater von mindestens 50 Kindern. Eines seiner 50-plus-X-Kinder steht bei Inter Moengetapoe, der Klub gehört übrigens Ronnie höchstpersönlich, unter Vertrag. Er trägt die Zehn. Gegen CD Olimpia war sein Arbeitstag aber schon nach nicht mal 30 Minuten beendet, er wurde ausgewechselt. Über eine Verletzung ist nichts bekannt. Und das ausgerechnet in jenem Spiel, in dem sein Vater zur Legende im internationalen Fußball wurde. Es wird vermutlich nochmal Thema in der Familie.
Aber nicht an diesem Abend. Dieser Abend gehörte alleine Ronnie. Und er teilte sein Glück großzügig. In einem Video, das bei Twitter verbreitet wurde, ist zu sehen, wie der Vizepräsident ganz freimütig Geldscheine in der Kabine von Olimpia verteilt. Das Corona-Masken-Gebot wurde dabei nur rudimentär berücksichtigt. Der Original-Clip wurde offenbar gelöscht. Wie der Journalist Jon Arnold berichtet, wurde die Szene von jemandem live gestreamt, den die Internet-Enzyklopädie Wikipedia als "surinamischen Fußballklubbesitzer, Entertainer, verurteilten Drogendealer" und auch als "Politiker" beschreibt. Später verließ Ronnie die Kabine mit einem Gäste-Trikot. Das wirkt alles schon reichlich kurios, aber passt zu den Geschichten, die über Brunswijk erzählt werden. Einmal soll er seine politischen Anhänger mit Geld beworfen haben, während er in einem Hubschrauber über ihnen kreiste.
Egal wie eigenartig das alles klingt, der amtierende Vize-Staatschef gilt auch als einer, der dazu beigetragen hat, die Demokratie in das kleine südamerikanische Land, das nördlich von Brasilien liegt, zurückzubringen. Dass es übrigens nicht dem Verband CONMEBOL zugeordnet wird, sondern dem nord- und mittelamerikanischen, das hat historische Gründe. Denn Suriname war bis 1975 eine niederländische Kolonie. Tatsächlich haben bis heute viele Stars der "Elftal" ihre Wurzeln im Land. Die aktuellen Nationalspieler Georginio Wijnaldum und Virgil van Dijk etwa. Oder auch Ruud Gullit. Legenden wie Clarence Seedorf und Edgar Davids wurden sogar noch in der Hauptstadt Paramaribo geboren. Dass das Land bislang nicht von dem gesegneten Talent der Spieler profitiert hat, das ist eine andere Geschichte. Ändert sich aber womöglich bald.
Im vorvergangenen Sommer, also 2019, wurde von der Regierung auf Druck des Verbands die Regel gekippt, dass Spieler mit zwei Reisepässen nicht für Suriname spielen dürfen. Zuvor war es schwierig gewesen, Fußballer aus den Niederlanden zu überzeugen, ihre Privilegien aufzugeben, um für Suriname zu spielen. Erster sportlicher Erfolg: Suriname qualifizierte sich erstmals für den Gold Cup, das Äquivalent zur EM. Dort gab es im Sommer zwei Niederlagen gegen Jamaika (0:2) und Costa Rica (1:2), aber auch einen Sieg gegen Guadeloupe (2:1).
Robin Hood und Guerilla-Krieger
Brunswijk gilt in seiner Heimat als "Robin Hood". Als einer, der in seinen jungen Jahren die Beute, die er bei Überfällen auf Militärfahrzeuge ergaunert hatte, verteilte. Allerdings klebt auch massig Blut an den Händen des mittlerweile 60-Jährigen. Er war Anführer des "Jungle Commandos", das in einem jahrelangen Guerilla-Krieg gegen das Regime von Desi Bouterse kämpfte, der Anfang des Jahres 1980 einen erfolgreichen Militärputsch auf die korrupte Regierung verübte. Einst Chef der Leibgarde des Putsch-Präsidenten, hatte sich Brunswijk gegen Bouterse gestellt. In den Gefechten zwischen Bouterses Truppen und Brunswijks Rebellen kam es auch zu einem der brutalsten Massaker in der Geschichte. 1986 töteten Teile der Armee 39 Menschen, die meisten waren Zivilisten. Dass Bouterse zwischen 2010 und 2020 Staatschef wurde, hatte dann aber natürlich wieder auch mit Brunswijk zu tun. Er verbündete sich erneut mit ihm, nur um zehn Jahre später, also 2020, gegen ihn zu paktieren und so zum Vizepräsidenten hinter Bouterse-Gegner Chandrikapersad Santokhi aufzusteigen. House of Cards in Suriname.
Brunswijk war zu keiner Zeit einer, der die Gewalt scheute. 2007 kam es zu einem politischen Eklat im Parlament. Die Kurzversion lautet: Der Parlamentsvorsitzende Paul Somohardjo wurde öffentlich bezichtigt, in kriminelle Machenschaften verwickelt zu sein. Es kam zu einem wilden Handgemenge. Brunswijk mischte sich ein, schubste den Anklagenden zu Boden und trat mehrfach auf ihn. Und auch mit Präsident Santokhi gibt es eine problematische Vorgeschichte. Santokhi jagte Brunswijk in den 80er-Jahren als Polizist, bevor sich die beiden politisch zusammenschlossen.
Übrigens, als der neue älteste Fußballer, der je einem internationalen Klubwettbewerb eingesetzt worden ist, das Feld verlassen hatte, stand es 0:3. Wenig später stellten die Gäste auf 4:0. Inter Moengetapoe bekam dann noch die Chance zu verkürzen, aber in Abwesenheit des Kapitäns setzte Miguel Darson einen Strafstoß neben das Tor. Bald darauf stand es 0:5. Was für ein bitterer Abend. Was für ein bitteres Legendenspiel. Nur nicht für Ronnie, der zog später glücklich die Kohle - und nicht die Knarre.
Quelle: ntv.de