Fußball

"Collinas Erben" ärgern sich Wie Felix Zwayer seine gute Balance verlor

Handelfmeter? Felix Zwayer wurde seiner Linie im Bundesliga-Topspiel nicht durchgehend gerecht.

Handelfmeter? Felix Zwayer wurde seiner Linie im Bundesliga-Topspiel nicht durchgehend gerecht.

(Foto: picture alliance/dpa)

Der BVB verliert gegen die Bayern - und kritisiert Schiedsrichter Felix Zwayer deutlich, vor allem wegen dessen Elfmeterentscheidung für die Münchner. Tatsächlich wäre der Referee besser bei seiner großzügigen Linie geblieben, die der Partie eigentlich guttat.

Überaus groß war bei Borussia Dortmund nach der 2:3-Heimniederlage gegen den FC Bayern München der Zorn auf Schiedsrichter Felix Zwayer. Der BVB fühlte sich in spielentscheidenden Situationen benachteiligt und warf dem Unparteiischen eine "fehlende Balance" bei der Spielleitung vor, wie es Sportdirektor Michael Zorc gegenüber dem "Kicker" formulierte. "Er hat das Spiel am Ende entschieden, weil er keine Linie hatte", sagte er. "Wenn ich manche Dinge pfeife oder sie mir anschaue, muss ich das auf der anderen Seite auch machen."

Die Kritik entzündete sich vor allem an zwei Entscheidungen des 40-Jährigen: Als Marco Reus nach 53 Minuten im Zweikampf mit Lucas Hernández im Strafraum der Münchner zu Fall kam, gab es keinen Strafstoß für die Hausherren, und Video-Assistent Tobias Welz empfahl auch kein On-Field-Review, um das zu ändern. 20 Minuten später ließ Zwayer nach einem Handspiel von Mats Hummels im Dortmunder Strafraum zunächst ebenfalls weiterspielen, begab sich nach Rücksprache mit dem VAR diesmal jedoch zum Monitor am Spielfeldrand und sprach den Bayern schließlich einen Elfmeter zu. Den verwandelte Robert Lewandowski zum Siegtreffer.

Um diese beiden Entscheidungen zu beurteilen, genügt es nicht, sie isoliert zu betrachten, man muss sie auch in den Kontext der gesamten Spielleitung des Unparteiischen stellen. Beim Zweikampf zwischen Hernández und Reus kam es zu drei Kontakten gegen den ballführenden BVB-Kapitän: zu einem Schieben mit der Hand gegen dessen Rücken sowie zu eher geringen Berührungen an der Wade und am Fuß. Wahrgenommen hatte Zwayer, so führte er es im Interview des Senders "Sky" aus, den Impuls gegen den Oberkörper, den er jedoch nicht als ahndungswürdig bewertete. Die Frage, ob es einen weiteren Kontakt gegeben habe, sei vom VAR verneint worden.

Dass Reus keinen Elfmeter bekam, war vertretbar ...

Auch wenn das mit den Bildern nicht recht in Einklang zu bringen war, kann man doch festhalten: Das Wesentliche an diesem Zweikampf hatte der Referee beobachtet. "Für mich ist das eine Situation, die nicht schwarz oder weiß ist, aber einen robusten Zweikampf darstellt", sagte er. "Ich habe aufgrund meiner großzügigen Linie im Spiel gegen einen Strafstoß entschieden." Ein vertretbarer, nachvollziehbarer Entschluss, den Zwayer selbst in den Zusammenhang seiner Spielleitung gestellt hat: Er ließ die rasante Partie laufen und eine gewisse Zweikampfhärte zu, was dem Spielfluss zuträglich war. In Grenzfällen entschied er sich meist dafür, weiterspielen zu lassen.

So auch in dieser Situation. Für einen Elfmeterpfiff hätte es ebenfalls Gründe gegeben, wenn man die von Hernández verursachten Kontakte als ursächlich dafür ansähe, dass Reus zu Boden ging. Dass Zwayer das jedoch nicht tat, passte zu seiner Linie bei der Zweikampfbewertung. Hinzu kommt etwas, das unmittelbar nach dem Spiel in der medialen Nachbetrachtung des Spiels kaum eine Rolle spielte, am Tag darauf jedoch sehr wohl: Kurz vor dem Duell zwischen Hernández und Reus hatte sich Erling Haaland knapp im strafbaren Abseits befunden, was dem Schiedsrichterteam auf dem Feld jedoch verborgen geblieben war.

… und Haalands Abseits hätte den Strafstoß ohnehin verhindert

Das heißt: Selbst wenn Felix Zwayer auf Strafstoß erkannt hätte, wäre diese Entscheidung "aufgrund der Abseitsstellung des Dortmunder Angreifers durch den VAR korrigiert worden", wie Jochen Drees, der Projektleiter des DFB für die Video-Assistenten, am Sonntag auf der Website des Verbandes erklärte. Denn das strafbare Abseits von Haaland lag zeitlich vor der Zweikampfszene. Weil es aber keinen Strafstoß und keinen VAR-Eingriff gab, musste Video-Assistent Welz die Szene auch nicht auf ein mögliches Abseits überprüfen.

So kam es, dass es keine Bilder mit kalibrierten Abseitslinien aus Köln gab. Und weil sich die Situation als ausgesprochen knapp darstellte, war mit bloßem Auge nicht zweifelsfrei zu erkennen, ob sich Haaland im Abseits befunden hatte oder nicht. Erst am Sonntag zeigten mehrere Fernsehsender mit eigenen Animationen die Abseitsstellung, bevor Jochen Drees diesen Sachverhalt mit seiner Erklärung auch offiziell bestätigte. Damit wurde aus einer Szene im Graubereich letztlich eine, bei der es kein Ermessen gab. Wäre das frühzeitiger geklärt worden, hätte es wohl manche Erregung etwas dämpfen können.

Hummels' Handspiel: Pro und contra Strafstoß

Bleibt das Handspiel von Mats Hummels. Wenn man es isoliert betrachtet, dann finden sich zweifellos gute Gründe, es als strafbar zu bewerten: Der Dortmunder Verteidiger ging "mit vorgehaltenem Arm in einer aktiven Bewegung zum Ball und spielte diesen mit dem Ellenbogen", wie Jochen Drees den Vorgang beschrieb. Die Armhaltung sei dabei "als nicht natürlich einzuordnen". So sah es auch Zwayer selbst, der erklärte, den VAR konsultiert zu haben, weil er auf dem Feld zwar das Handspiel wahrgenommen habe, nicht aber, wie weit Hummels den Arm von seinem Körper "weggestreckt" habe. So sei es schließlich zum On-Field-Review und zur Elfmeterentscheidung gekommen.

Es gibt jedoch auch Gegenargumente. Drees etwa führt an, Hummels habe "zum Zeitpunkt der Ballberührung den Blick nicht zum Ball gerichtet" gehabt und sei zudem "gegebenenfalls durch einen weiteren Mitspieler irritiert" worden - sowie durch Gegenspieler Thomas Müller, wäre hinzuzufügen. Vor allem aber ließe sich geltend machen, dass seit dieser Saison wieder stärker der Faktor Absicht bei der Bewertung von Handspielen im Mittelpunkt steht - und dass Mats Hummels hier eher in Bedrängnis ein Kopfballversuch unglücklich misslang, als dass er tatsächlich vorhatte, den Ball mit dem Arm aus dem Strafraum zu bugsieren.

Am ersten Spieltag dieser Saison gab es in der Partie des 1. FC Köln gegen Hertha BSC eine recht ähnliche Szene, in der der Kölner Rafael Czichos den Ball nach einer Flanke der Berliner mit dem Kopf verfehlte und dafür mit dem Unterarm ins Toraus lenkte. Auch damals kam es zu einem On-Field-Review, doch Schiedsrichter Robert Hartmann, der wie sein Kollege Zwayer auf dem Feld weiterspielen lassen hatte, entschied sich gegen einen Strafstoß, weil er keine Absicht feststellen mochte, sondern bloß einen missglückten Kopfballversuch. Eine Entscheidung, die von der sportlichen Leitung der Bundesliga-Referees als vertretbar akzeptiert wurde.

Den Elfmeter nicht zu geben, hätte besser zu Zwayers Linie gepasst

Von diesem Ermessensspielraum hätte auch Felix Zwayer Gebrauch machen können - und das wäre nicht zuletzt deshalb sinnvoll gewesen, weil er diesen Spielraum zuvor mehrfach im Sinne des Fußballs genutzt hatte. Gerade bei grenzwertigen oder unklaren Strafraumszenen ließ er stets weiterspielen; zu nennen wären neben dem erwähnten Zweikampf zwischen Hernández und Reus auch ein Armeinsatz von Hummels gegen Leon Goretzka im Dortmunder Strafraum und ein Handspiel von Alphonso Davies im Strafraum der Bayern, beides in der ersten Hälfte. Diese Linie bekam dem Spiel gut, die damit einhergehende Balance führte auf beiden Seiten zu Akzeptanz.

Es wäre ein dem Spiel dienlicherer Entschluss gewesen, nach Hummels' Handspiel bei der ursprünglich getroffenen Entscheidung zu bleiben - was auch nach dem Review möglich gewesen wäre, das protokollarisch zwar zulässig, aber keineswegs zwingend war - und bei Bedarf auf die fehlende Absicht und die ähnliche Szene aus dem Kölner Spiel zu verweisen. So wäre die Balance gewahrt worden und die Linie bei der Nutzung des Ermessensspielraums stringent geblieben. Nach dem Spiel wäre Felix Zwayer außerdem wohl nicht annähernd so heftig gescholten worden, wie es nun der Fall war.

Auch Jochen Drees räumt ein, die Frage nachvollziehen zu können, ob die Bewertung des Handspiels zur insgesamt großzügigen Linie des Schiedsrichters passt. Obwohl er anschließend urteilt, die Bewertung des Handspiels als strafbar sei korrekt, wenn man "die Situation trotzdem losgelöst" betrachte, darf man aus dieser Äußerung durchaus herauslesen, dass der sportlichen Leitung der Schiedsrichter eine andere Entscheidung recht gewesen wäre. Gewiss auch deshalb, weil sie längst nicht nur bei den Dortmundern mehr Akzeptanz gefunden hätte. Und Akzeptanz ist für Unparteiische ein besonders hohes Gut.

Quelle: ntv.de

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