Fußball

Mutig gegen den KI-Horror Wie Granero den Fußball revolutionieren will

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Fußballer und Visionär: Esteban Granero.

(Foto: imago images/Marca)

Künstliche Intelligenz wird das menschliche Denken mechanisieren. Was für manche wie eine Horrorvorstellung klingt, ist beinahe schon Realität. Auch der Fußball, der einstmals so triviale Sport, bleibt davon nicht unberührt.

Mit 22 Jahren war Esteban Granero ein Hoffnungsträger beim spanischen Spitzenklub Real Madrid. Nach einem Gastspiel beim Vorstadtklub Getafe von 2007 bis 2009, bei dem er seine herausragenden Qualitäten als Passgeber und Spielmacher unter Beweis stellte, kehrte er zu Real zurück und sollte dort in die Fußstapfen so klangvoller Namen wie Zinédine Zidane und Luis Figo treten. Doch daraus wurde nichts. Obwohl er als agiler und technisch versierter Zehner bei seinen Einsätzen immer wieder Glanzpunkte setzte, hatte er stets große Namen vor sich. Zunächst waren es der Brasilianer Kaká und Vereinslegende Guti und nach der WM 2010 schließlich die beiden Deutschen Sami Khedira und Mesut Özil. Der Weg führte über die Queens Park Rangers zu den spanischen Mittelklasseklubs Real Sociedad und Espanyol Barcelona. Die großen Träume schienen ausgeträumt.

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Esteban Granero setzte immer wieder wunderbare Glanzpunkte.

(Foto: imago sportfotodienst)

Mit mittlerweile 32 Jahren ist Granero immer noch Fußballprofi - beim spanischen Zweitligisten Marbella. Eine Karriere wie so viele, doch ein Profi wie so wenige. Denn anders als einige seiner Kollegen, die sich in ihrer Freizeit vornehmlich der Playstation und dem eigenen Instagram-Account widmen, ist Granero unter die Entrepreneure gegangen. Er hat zusammen mit Wissenschaftlern von der Polytechnischen Universität in Madrid vor ein paar Jahren ein Unternehmen aufgebaut, das sich der Künstlichen Intelligenz (KI) verschrieben hat und möchte damit nichts Geringeres, als den Fußball zu revolutionieren. In Spanien ist Olocip, so der Name des Unternehmens, bereits ein Hit, räumt Preise ab, wird von Erstligisten angeheuert und sorgt für Furore in der lange Zeit so technophoben Fußballszene. Und das mit einem für viele wohl abstrakten Konzept wie Künstlicher Intelligenz.

Wie gut wird ein Fußballer werden?

Granero versucht seine Arbeit im Gespräch mit ntv.de auf ein sehr konkretes, weil simpel nachvollziehbares Beispiel herunterzubrechen: "Wenn ein Klub beispielsweise einen neuen Spieler verpflichten möchte, dann kann er Künstliche Intelligenz dazu nutzen, nicht nur die Leistungen aus der Vergangenheit zu analysieren, sondern auch Prognosen für die Zukunft abzurufen. Also wenn ich zwei Spieler habe, die auf ähnlichem Niveau Leistungen abliefern – einer aus der Bundesliga und einer aus der Premier League –, dann kann unser System zeigen, welcher Spieler besser im Mannschaftsgefüge funktionieren würde."

Künstliche Intelligenz versucht demnach am Ende nichts anderes, als Verhaltensmuster auszuwerten und damit zu bestimmen, wie sich jemand in Zukunft verhalten wird. Das gilt für einen Konsumenten im Alltag genauso wie für einen Fußballprofi im Stadion. So zumindest der Ansatz von Granero und den beiden KI-Professoren Concha Bielza und Pedro Larrañaga, mit denen er bei Olocip zusammenarbeitet. Das Ganze lässt sich laut Granero nicht nur fürs Scouting, sondern auch für die Gegnerbeobachtung sowie für die medizinische Vorsorge der Spieler ableiten.

Künstliche Intelligenz wird bereits eingesetzt

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Die Deutsche Fußball-Liga nutzt ab sofort den Amazon Web Services.

(Foto: imago images / MIS)

Künstliche Intelligenz im Fußball? Da war doch was. Während der Winterpause wurde bekannt, dass die Deutsche Fußball-Liga ab sofort die Amazon Web Services nutzt. Die Sparte des weltgrößten Online-Händlers, die Cloud-Services an Firmen verkauft, soll vor allem während eines Live-Spiels der Bundesliga detaillierte Informationen zum Spielgeschehen liefern. Mittels maschinellem Lernen soll die Technologie bald in der Lage sein, Echtzeit-Vorhersagen über die Torerzielung zu treffen. Auch Torchancen und das taktische Verhalten der Mannschaften könnte die Plattform in Echtzeit erkennen. Als Arbeitsmaterial dienen ihr Live-Daten und historische Daten aus über 10.000 Bundesliga-Spielen.

Auch erste Bundesliga-Klubs scheinen sich dem Ganzen verschrieben zu haben. Werder Bremen nutzt etwa die KI-Plattform des Start-ups Just Add AI. Der "JAAI Scout" ist ein Tool, das Daten automatisch sammelt und analysiert. Mehr als 100.000 einzelne Scouting-Berichte können so in eine Bewertung einfließen. Mit eben jenem Tool soll auch das Scouting von Torhüter Jiří Pavlenka, der sich mit einer Ablöse von drei Millionen Euro als Schnäppchen entpuppte, erfolgt sein, wie das Medienmagazin "Horizont" im Herbst berichtete.

Weg vom alten Scouting

Im großen Kontext ist diese Entwicklung wenig überraschend. Immer mehr Klubs erkennen, dass sie nicht unzählige Scouts auf der ganzen Welt anheuern können, die am Ende vielleicht fachlich gute Berichte abliefern, aber sich von ihren eigenen Vorlieben beeinflussen lassen und von einem Spieler doch nur sehr wenig sehen. Zudem gibt es allein in Europa circa 52.000 Profis und noch einmal eine immens hohe Zahl an Jugendspielern in Leistungszentren. Datenanalyse allein bringt schon viel, weil Klubs vorm intensiveren Scouting erst einmal die Leistungen aller Spieler – ins Verhältnis gesetzt zur Ligastärke – durch ein Raster laufen lassen können.

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Auch Jürgen Klopps FC Liverpool profitiert von der KI.

(Foto: imago images/PRiME Media Images)

Jürgen Klopp beispielsweise profitiert dieser Tage ungemein von Datenanalyse. Sein FC Liverpool war im Bereich der neuen Generation von Datenauswertung – also fernab von simplen Zweikampfstatistiken und Fehlpassquoten – allen anderen voraus und betreibt Analyse auf einem ganz anderen Niveau als die meisten Konkurrenten in England und dem Rest von Europa. Klopp und seine jetzigen Spieler sind für den großen Erfolg verantwortlich, aber es ist nicht von der Hand zu weisen, dass die Nordengländer in der statistischen Analyse einen Grundstein für aktuelle Triumphe gelegt haben.

Kritik bleibt nicht aus

Granero hat auch im Alltag die Erfahrung gemacht, dass sich im Fußball eine Daten-Revolution abspielt, aber diese aus seiner Sicht noch nicht das gewünschte Endresultat brachte. "Als Spieler habe ich gesehen, wie die Datenerhebung von Tag zu Tag besser wurde", erzählt er. "Aber die daraus folgenden Analysen waren schlecht. Sie waren deskriptiv und drehten sich nur darum, was in der Vergangenheit passiert ist." Heutzutage würden viele Trainer versuchen, sich mit Datenanalyse einen Vorteil zu verschaffen. Aber: "Es geht um die Zukunft, nicht um die Vergangenheit."

Genau dann kommt Granero und seinen versierten Mitstreitern zufolge die Künstliche Intelligenz ins Spiel. Wie die Performance eines Spielers künftig aussehen wird oder "was ein Gegner am nächsten Sonntag macht", das könne Olocip mit seinen Möglichkeiten vorhersagen. Oder es kann zumindest Wahrscheinlichkeiten bestimmen und unwahrscheinliche Verhaltensweisen ausschließen. Dieses Versprechen ist nicht ohne und trifft in der Szene nicht nur auf Gegenliebe.

Dabei kommt lautstarke Kritik keineswegs ausschließlich aus der Ecke der Traditionalisten, die sich jeglichem technischen Fortschritt verweigern, sondern auch aus dem Gros der Fußballanalysten. Ted Knutson, der Inhaber des führenden Fußball-Statistik-Unternehmens StatsBomb, etwa sagte im Gespräch mit diesem Autor für das Analyseportal "Spielverlagerung.de": "Ich könnte einen ganzen Aufsatz dazu verfassen, wie das gesamte Konzept von Künstlicher Intelligenz im Fußball fast ausschließlich Quacksalberei ist."

"Bessere Spieler für das gleiche Transferbudget"

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Im Jahr 2016 machten die beiden Profis Stefan Reinartz und Jens Hegeler mit ihrem Analysetool "Packing" erstmals auf sich aufmerksam.

(Foto: imago/Eduard Bopp)

Knutson selbst verspricht mit seinen statistischen Modellen jedem Klub "bessere Spieler für das gleiche Transferbudget" zu beschaffen. Am Ende führt die Daten-Revolution im Fußball zu einem Wettstreit um Ideen und damit auch um Kunden und Marktanteile. Granero will mit Olocip aber mehr: Die Vorhersage durch die Analyse menschlichen Verhaltens würde den Fußball an sich vorhersehbarer machen. "Es gibt immer Leute, die denken, dass Resultate im Fußball zu 100 Prozent ungewiss sind. Das stimmt nicht", behauptet Granero. "Prognosen können einen Unterschied machen. Es geht um Wahrscheinlichkeiten bei der Entscheidungsfindung von Spielern." Granero glaubt dabei an Künstliche Intelligenz: "KI kann den Trainern, Scouts, Analysten und allen anderen in einem Klub bei Entscheidungen helfen, auch wenn es den Menschen niemals ersetzen könnte. Mensch und Maschine machen sich am besten gegenseitig stärker."

KI selbst ist jedoch nicht unumstritten. Es gibt Ethiker, Technologieexperten und Ökonomen, die prognostizieren, dass Maschinen bald den Menschen den Rang ablaufen, wenn sie menschliches Verhalten erlernen. Dieses Schicksal dürfte dem Fußball nicht blühen, dafür ist das Fehlerbehaftete am Spiel viel zu wichtig für den Entertainmentwert. Aber die bloße Anwesenheit von KI-basierter Analyse könnte das Verhalten der Spieler, die sich bewusst werden, wie ihr Verhalten ausgewertet wird, verändern.

Geht es nach Granero, dem einstigen Hoffnungsträger von Real Madrid und heutigen Querdenker, wird er seinen Teil zu dieser Revolution beitragen. Dass sich seine aktive Karriere dem Ende entgegenneigt und er nie der große spanische Superstar wurde, scheint ihm nicht allzu viel auszumachen. "Das ist nun mein zweites Leben", sagt er über seine neue Aufgabe.

Quelle: ntv.de

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