WM-Countdown (37) Wie der DFB sich mit den Grundrechten plagt
08.05.2018, 09:48 Uhr
Weicht lieber aus: Reinhard Grindel.
(Foto: dpa)
Fünf Wochen vor der Fußball-WM reist DFB-Präsident Grindel mit einer Delegation durchs Land. Sie zeigt, wie gemeinsames Gedenken von Deutschen und Russen funktionieren kann - und welche Themen sich einfachen Lösungen entziehen.
45.000 Menschen passen in die Wolgograd-Arena, während der Fußball-WM wird hier Tunesien gegen England spielen, Japan gegen Polen, auch die Isländer kommen - Wolgograd hört ein Huh! Gegenüber dem Stadions erinnern eine Gedenkhalle mit ewiger Flamme und die Riesenskulptur "Mutter Heimat ruft" an das Grauen des Zweiten Weltkriegs. Denn was heute Wolgograd ist, war früher einmal Stalingrad. Ein Name, der in Russland und in Deutschland wie kein anderer für das Leid des Zweiten Weltkriegs steht, für den Krieg, mit dem das nationalsozialistische Deutschland einen ganzen Kontinent ins Elend riss. Hunderttausende starben in und um Stalingrad, die Mehrheit waren Soldaten der Roten Armee.
Es ist die Urenkelgeneration der Weltkriegssoldaten, die heute ab 16 Uhr deutscher Zeit zu einem Freundschaftsspiel antritt, die U18-Nationalmannschaften Russlands und Deutschlands. Sie spielen nicht in der riesigen, neuen WM-Arena, sondern im Zenit-Stadion, zehn Autominuten entfernt. Keine hochmoderne Technik, keine Tribünen mit VIP-Logen. Alles eine Nummer kleiner, stiller. "Friedensspiel" haben sie die Begegnung getauft, gestern trafen sich deutsche und russische Spieler bereits zum gemeinsamen Gedenken.
Auch Reinhard Grindel, Präsident des DFB, ist nach Russland gekommen, allerdings nicht nur, um das Spiel in Wolgograd zu besuchen. Es gab Diskussionen mit russischen Gesprächspartnern, manchmal ging es um ganz handfeste Fragen: Wo in Sotschi, Kasan und Moskau dürfen die deutschen "Fan-Botschaften" aufgebaut werden? Was können Fans mit ins Stadion nehmen, und was ist verboten? Wie funktioniert die Abwägung zwischen dem Wunsch nach möglichst viel Sicherheit und dem Anspruch der Fans, bei allen Kontrollen auch rechtzeitig zum Anpfiff im Stadion zu sein?
Es läuft schon einiges richtig
Zu Grindels fünftägiger Russlandreise gehört der Austausch mit den Mitarbeitern deutscher und russischer Fanprojekte. Zudem traf die DFB-Delegation in Moskau Vertreter von politischen Stiftungen und anderen Einrichtungen, die dem Verband helfen sollen, Ansprechpartner in der russischen Zivilgesellschaft zu finden. Überhaupt sagt der Präsident nie "Gesellschaft" ohne "Zivil-" davor, seine Pressekonferenz am Montagnachmittag ist noch keine fünf Minuten alt, da fällt zum ersten Mal das Wort "Menschenrechte". Noch ein paar Informationen dazu, was man den Spielern der U18 an historischem Wissen mit auf die Reise gegeben hat, und man hat als Zuhörer den Eindruck, dass hier schon einiges richtig läuft. Einerseits.
Katrin Scheib ist Journalistin, Schalke-Fan und kommt aus dem Rheinland. Als die deutsche Mannschaft 2014 in Brasilien Fußball-Weltmeister wurde, war sie gerade nach Moskau gezogen. Seitdem bloggt sie unter kscheib.de über ihren Alltag und informiert mit ihrem "Russball"-Newsletter jede Woche über den Fußball und die WM-Vorbereitungen in Russland. Und nun schreibt sie für n-tv.de den Countdown, bis das Turnier am 14. Juni beginnt.
Andererseits schwimmt Grindel, wenn er seine Signalwörter mit Inhalt füllen soll. Auf die Frage, wie das Einstehen für Menschenrechte und Fair Play denn aussehen soll angesichts von mehr als tausend festgenommenen Demonstranten am vergangenen Wochenende, weicht der DFB-Präsident aus, redet lieber über den Kampf gegen Rassismus und Hooligans und darüber, dass man in Russland einen Standard auf den Tribünen habe, "wie wir ihn aus der zivilisierten Welt kennen." Grindel spricht vom "Fair Play im engeren Sinne", das sieht er für die WM in Russland durchaus gesichert.
Und im weiteren Sinne? Fußball könne nicht ändern, was auch die Mächtigen der Welt nicht ändern könnten, sagt der DFB-Chef, und argumentiert weiter: Immerhin kämen diesen Sommer russische Fans mit den Werten der Besucher aus anderen Ländern in Berührung, so könne Veränderung entstehen. Bloß hat das keiner bezweifelt - die Frage ist ja nicht, wie der DFB zur russischen Bevölkerung steht. Sondern wie er sich zu einer Regierung positioniert, die genau dieser Bevölkerung gerade wieder mal recht deutlich gezeigt hat, bis zu welchem Punkt ihr Protest zugelassen wird - und ab wann nicht mehr.
Wie Grindel sagt: Vom Sport zu erwarten, dass er Probleme löst, an denen sich schon reihenweise Politiker abgearbeitet haben, ist nicht fair. Sich Menschenrechte auf die Fahne zu schreiben, aber damit statt auf die Mächtigen nur auf die einfachen Fußballfans abzuzielen, aber eben auch nicht. Was bleibt, ist die Sache mit dem Fußballspiel in Wolgograd. Eine gute Idee, mit Substanz. Wer will, kann das Spiel hier ab 16 Uhr live verfolgen.
Quelle: ntv.de