Silicon-Valley-Charme in Uganda Google, NASA und BMW lassen ihre KI in Afrika trainieren
20.01.2024, 18:21 Uhr Artikel anhören
Das Führungsteam von Sama in der Filiale in Kampala.
Damit ein Auto selbst steuern kann, muss eine Künstliche Intelligenz trainiert werden. Es ist ein arbeitsintensiver Job, der gerne in Billiglohnländer ausgelagert wird. In Uganda übernehmen das die Angestellten des Startups Sama. Einige von ihnen haben zuvor noch nie einen Computer gesehen.
Auf dem Computerbildschirm ist das Innere eines Warenhauses zu sehen. Per Mauszeiger wird ein Greifarm eines Roboters bedient, der eine Kiste aus einem Regal zieht und auf einen Rollwagen legt. Auf dem Bildschirm daneben sieht man eine Obstplantage, mit einer Drohne gefilmt. Per Mausklick müssen nun die Äpfel markiert werden, die reif sind. Klick für Klick wird der Drohne beigebracht, nur die reifen Äpfel zu pflücken.
Dicht an dicht stehen die Computerbildschirme in einem dunklen, stickigen Großraumbüro im Erdgeschoss eines gläsernen Bürogebäudes im Zentrum von Ugandas Hauptstadt Kampala. Die Vorhänge sind zugezogen, damit die Sonne nicht blendet. Die Klimaanlage surrt, aber es bleibt stickig im Raum.
150 junge Ugander und Uganderinnen sitzen vor den Bildschirmen. Geredet wird kaum. Konzentration ist angesagt. Jeder Mausklick muss genau sitzen. Die Aufträge kommen von großen Techfirmen wie Meta, zu der Facebook oder Whatsapp gehören, Handelskonzernen wie Walmart oder Amazon, sowie vom amerikanischen Autohersteller Tesla. All diese Konzerne setzen immer mehr auf Künstliche Intelligenz (KI), um Abläufe in Warenhäusern, Drohnen oder Autos zu automatisieren. Doch bis so eine KI weiß, bei welchem Straßenschild das selbstfahrende Auto Vorfahrt geben muss, oder welcher Apfel reif ist, wird sie hier in Uganda trainiert.
Sama heißt das Unternehmen, das in Afrika nun diese arbeitsintensiven KI-Trainingsjobs übernimmt. Es ist eines von zahlreichen Startups in dieser Branche, die überall auf dem Kontinent aus dem Boden sprießen. Auf der Webseite von Sama sind deren Kunden gelistet: Dabei handelt es sich um Google, Ford, Walmart, Sony, BMW, Ebay, Microsoft, Meta oder gar der US-amerikanischen Weltraumagentur NASA.
Gleich daneben ist auf der Internetseite der Hinweis "Karriere" zu lesen. Dort kann man online seine Bewerbungsunterlagen einreichen: "Werden Sie Teil unseres Teams und tragen Sie dazu bei, die Welt zu verändern", steht dort. Dass eine ugandische Firma überhaupt Bewerbungsformulare online stellt, ist eine Seltenheit. In Anbetracht einer der höchsten Geburtenraten der Welt und dadurch verursachten, enormen Jugendarbeitslosigkeit werden die meisten Firmen mit Bewerbungen überschwemmt. Doch dies sei Teil des Konzepts, erklärt Sama-Geschäftsführer Joshua Okello. Denn er will expandieren und benötigt dafür fleißige Hände.
Startup-Chic mit Flaschenpflanzen und bunten Lollipops
Okello ist gelernter Softwareingenieur. Früher hat er als Freier Berater für westliche Firmen für wenig Geld Software programmiert. Heute leitet er eines der in Afrika führenden Unternehmen für KI-Training. Der große, 34-jährige Mann setzt sich an den ovalen Tisch im kleinen Konferenzraum. Die Firmenzentrale in Kampala ist lässig eingerichtet, mit bunten Stoffen an den Wänden, alten Glasflaschen, die von der Decke baumeln und aus denen Pflanzen überall entlang ranken. In der Firmen-eigenen Kantine steht ein großer Behälter voller bunter Lollipops auf dem Tresen, aus dem sich alle frei bedienen dürfen. Startup-Chic, der ans Silicon-Valley erinnert.
Fast alle Kunden haben ihre Hauptsitze in Nordamerika, Europa, aber auch in Israel, wo vor allem Drohnentechnologie entwickelt wird. Da die gesetzlichen Mindestlöhne in der westlichen Welt höher sind, lagern die Konzerne arbeitsintensive Jobs schon seit langem ins Ausland aus. Früher wurden Firmen in Indien oder Bangladesch angeheuert. Doch auch in Asien steigen mittlerweile die Löhne. In Afrika ist der Stundenlohn im Vergleich deutlich geringer. In Uganda liegt der gesetzliche Mindestlohn bei umgerechnet rund zwei Euro pro Tag. Uganda sei deswegen "ein exzellenter Standort zum Outsourcen", so Okello.
Gründerin von Sama war die junge amerikanische Geschäftsfrau Leila Janah, die 2020 im Alter von 37 Jahren verstarb. Als Tochter indischer Einwanderer und Studentin für Afrika-Wissenschaften eröffnete die Startup-Unternehmerin von 2008 an in Indien und später in Kenia die ersten Filialen, um arbeitsintensive Programmierarbeit in Niedriglohnländer auszulagern und so Arbeitsplätze für junge Leute zu schaffen.
In Uganda startete das Unternehmen nach dem Ende des Bürgerkrieges im Norden des Landes 2012 zunächst in Kooperation mit dem Hilfswerk Oxfam. Daraus entstand 2017 dann das heutige Unternehmen Sama. "Bringe Jobs statt Hilfsgüter" sei die Ideologie von Sama, so Okello. In der aufstrebenden Stadt Gulu in Norduganda arbeiten heute rund 400 junge Ugander. 2019 eröffnete Sama die Filiale in Kampala und stellte weitere 150 Leute an. Neben Kenia ist Uganda mittlerweile das zweitwichtigste Standbein auf dem afrikanischen Kontinent. "Wir können Menschen tatsächlich digitale Kompetenzen vermitteln und Jobs schaffen", so Okello. Dies sei viel besser als Hilfsgüter zu liefern.
"Dafür brauchst du nicht einmal einen Schulabschluss"
Das Gute sei, so der Uganda-Geschäftsführer, "wir machen unsere Trainings alle selbst innerhalb unserer Firma". Um also bei Sama die KI eines Autos, einer Drohne oder eines Roboters zu trainieren, "brauchst du keine Fähigkeiten, du musst nicht einmal einen Schulabschluss haben", so Okello. "Die meisten Leute hier haben noch nie in ihrem Leben einen Computer gesehen, bevor sie bei uns angefangen haben."
Einer der jungen Arbeiter, die Sama im Vorfeld für ein Gespräch gezielt ausgewählt hat, ist der 30-jährige Bruno Kayiza, ein Vorzeige-Kandidat also. Nach seinem Abschluss in Wirtschaftswissenschaften an der Universität in Gulu wusste er nicht, wo er sich bewerben solle, berichtet er. Die Firmenfiliale von Sama liegt direkt neben dem Uni-Campus. "Ich war neugierig, was da passiert und habe eines Tages mich dort vorgestellt", sagt Kayiza. Mit Erfolg: Vier Jahre lang hat er bei Sama Robotern beigebracht, wie sie nur reife Äpfel pflücken, dann stieg er auf zum Teamleader. Mittlerweile ist er in Gulu für 418 Leute zuständig, die dort in zwei Schichten Tag und Nacht immer wieder dieselben Clicks im Akkord tätigen müssen. Für Kayza hingegen ist dies im Vergleich zu anderen Einsteigerjobs eine "richtig gute Arbeit".
Als "Afrikanisches Silicon Savannah" mit jeder Menge guter Jobs für junge Leute preisen Unternehmen wie Sama ihre Tätigkeit. Für Analystin Nanjira Sambuli klingt dies aber alles ein wenig zu gut, um wahr zu sein. Die Kenianerin erforscht, wie sich die Entwicklungen im Bereich der Hochtechnologie auf die afrikanische Gesellschaft auswirkt. Sama sei da ein gutes Beispiel, sagt sie. "Klar besteht ein immenser Bedarf an Arbeitsplätzen auf dem gesamten Kontinent", so Sambuli: "Aber sind dies sinnvolle Jobs? Sind das sichere Jobs mit Zukunftschancen?", stellt sie die Frage in den Raum.
Zu Beginn dieses Jahres verklagten vier Sama-Mitarbeiter in Kenia die Firma sowie die Auftraggeber Meta und Facebook und wandten sich an die Regierung, die die "ausbeuterischen" Arbeitsbedingungen unter die Lupen nehmen sollten, wie es in der Klage hieß. Dieses Beispiel zeige, so Sambuli, "dass sich Politiker in Afrika und auch die ganze internationale Gemeinschaft Gedanken machen müssen, zu welchem Preis all diese Arbeitsprozesse zu Dumpingpreisen nach Afrika ausgelagert werden".
Quelle: ntv.de