"Spannungen" in manchem Bereich Gute Konjunktur macht nicht alles besser
28.09.2017, 16:57 Uhr
Die deutsche Wirtschaft steht gut da, muss sich aber mit dem demografischen Wandel auseinandersetzen.
(Foto: dpa)
Die deutsche Konjunktur wächst und ist stabil. Zu dem Schluss kommen Wirtschaftsforscher. Es gibt aber auch Probleme. Unter anderem wird der demografische Wandel zu wenig berücksichtigt.
Deutschland geht es gut. So knapp lässt sich das Herbstgutachten der deutschen Wirtschaftsinstitute zusammenfassen. "Der wirtschaftliche Aufschwung hat an Stärke und Breite gewonnen", sagt Stephan Kooths vom Institut für Weltwirtschaft Kiel (IfW). Einen großen Beitrag dazu hätten private und staatliche Investitionen und Exporte geleistet. Wirtschaftlich nähere sich das Land den Grenzen seiner Produktionskapazitäten - ein Trend, der sich auch im gesamten Euroraum mache, sagt Klaus-Jürgen Gern vom IfW.
Insgesamt rechnen die Forscher für dieses Jahr mit einem Wachstum des Bruttoinlandsprodukts von 1,9 Prozents. Im kommenden Jahr soll es sogar um zwei Prozent steigen. "Mit unveränderten Raten" würden zudem die Bruttolöhne wachsen, sagt Kooths. Auch der Arbeitsmarkt habe sich verbessert und würde das auch in Zukunft tun. "Wir rechnen 2018 mit 480.000 neuen Erwerbstätigen", so Kooths. Dieses Jahr seien 650.000 Arbeitnehmer hinzugekommen. Das läge daran, dass mehr Ältere und Frauen arbeiten würden. Zusätzlich hätte die Zuwanderung viele Arbeitnehmer nach Deutschland gebracht. Dementsprechend sinkt die Arbeitslosigkeit in Deutschland. Die Institute erwarten, dass die Quote bis 2019 um 0,5 Prozentpunkte auf 5,2 Prozent absinkt.
So weit, so gut. All der wirtschaftliche Anstieg hat aber auch seine Schattenseiten. Von "Spannungen" spricht Kooths, die sich in manchen Bereichen bemerkbar machen. Da es mehr gemeldete Arbeitsstellen gebe, dauere es länger, diese zu besetzen. Besonders die Baubranche sei davon betroffen. Den Instituten zufolge haben bereits einige Unternehmen beklagt, dass ihnen die Arbeitskräfte ausgehen. Und das in einer Zeit, in der die Branche eigentlich gut dasteht - die hohe Nachfrage nach Wohnraum bietet Bauunternehmen viele Arbeitsmöglichkeiten.
"Alterungsprozess ist im Gange"
Das Arbeitskräfte auf der Baustelle fehlen, hänge auch mit einem anderen Phänomen zusammen, dass die gesamte Wirtschaft beeinträchtigt: "Der Prozess der Alterung ist bereits im Gange", sagt Kooths. Damit verbunden ist ein weiteres Problem. Die Leistungen durch die Rentenversicherung würde sinken, heißt es. Um dem entgegenzusteuern, müsste das Renteneintrittsalter angehoben werden.
"Demografischer Wandel ist nichts, was am Horizont aufscheint, sondern konkret vor der Tür steht", sagt Kooths. Schon jetzt würden die Spielräume ab- und die Verteilungskonflikte zunehmen. Insgesamt brauche Deutschland zum einen mehr Maßnahmen, um die qualifizierte Migration zu vereinfachen. Es müsse aber auch für einen flexibleren Übergang in den Ruhestand sorgen; die jetzigen Parameter seien "über 2020 hinaus nicht haltbar", so Kooths.
Ein weiterer Aspekt dürfte die deutschen Verbraucher ärgern: Preiserhöhungen. Laut der Wirtschaftsinstitute sollen die Verbraucherpreise in diesem und im kommenden Jahr um 1,7 Prozent ansteigen, 2019 sollen es 1,8 Prozent Wachstum sein. "Moderat" nennen die Forscher das, aber eben doch merkbar. Mit den erhöhten Preisen würde aber auch das Konsumwachstum sinken. Dies sei durch höhere Abgabenbelastungen und steigende Inflation zu erklären.
Mindestlohn ist ungeeignet
Was in der Analyse der Wirtschaft nicht berücksichtigt wurde, ist das Ergebnis der Bundestagswahl. Den Forschern gebe es aber keinen Grund zur Sorge, sollten die Koalitionsverhandlungen noch dauern. "Die ökonomischen Rahmenbedingungen sind so gut wie schon lange nicht mehr", sagt Timo Wollmershäuser vom Ifo-Institut. "Zwar wären lange Verhandlungen ein potenzieller Hort der Unsicherheit, ich schätze das Risiko aber als sehr gering ein."
Der deutschen Wirtschaftspolitik hingegen habe es in der vergangenen Legislaturperiode an Wachstumsorientierung gefehlt. Gute wirtschaftliche Entwicklungen seien eher von den vorangegangenen Regierungen beeinflusst worden. Unter anderem bemängeln die Forscher den Mindestlohn und die "wirkungslose" Mietpreisbremse. "Der Mindestlohn ist nicht geeignet, die damit verbundenen Ziele zu erreichen", erklärt Oliver Holtemöller vom Institut für Wirtschaftsforschung Halle. Vielmehr würden diese beiden Maßnahmen den bürokratischen Apparat verlangsamen.
Quelle: ntv.de