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Dramatische Auswirkungen Israels Wirtschaft ächzt unter den Kriegsfolgen

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Israelische Soldaten kämpfen in Gaza und fehlen der Wirtschaft zu Hause als Arbeitskräfte.

Israelische Soldaten kämpfen in Gaza und fehlen der Wirtschaft zu Hause als Arbeitskräfte.

(Foto: via REUTERS)

Täglicher Raketenalarm, viele kämpfen in Gaza. Die Auswirkungen des Kriegs sind in Israel allerorts zu spüren. Die Menschen arbeiten nicht in ihren Betrieben, sondern sind als Reservisten zum Militärdienst eingezogen. Am meisten leiden darunter die Baubranche, der Tourismus und die Gastronomie.

Die sprengstoffsicheren Türen der Firma Rav-Bariach Industries sind in diesen Tagen in Israel besonders gefragt - auch bei der Firma in der Stadt Aschkelon selbst. Während die Mitarbeiter von Israels größtem Hersteller für Sicherheitstüren rund sechs Wochen nach Kriegsbeginn in der Fabrikhalle weiter Hochleistungsschlösser zusammensetzen, unterbricht schriller Raketenalarm die gewohnten Handgriffe.

"Das ist Teil unserer Realität", sagt Geschäftsführer Idan Zu-Aretz, während seine Mitarbeiter Zuflucht im Schutzraum suchen. Als das Heulen der Sirenen nachlässt, kehren die Kollegen ans Fließband zurück und nehmen ihre Arbeit wieder auf. Bis zum nächsten Raketenalarm.

Unterbrechungen wie diese infolge des Krieges zwischen Israel und der radikalislamischen Hamas sind in Israel alltäglich. Mittlerweile wirken sie sich jedoch zunehmend auf die sonst starke Wirtschaft des Neun-Millionen-Einwohner-Landes aus. Das bekommt auch das Unternehmen in Aschkelon zu spüren.

Die Stadt südlich von Tel Aviv liegt gerade einmal zehn Kilometer vom Gazastreifen entfernt. Von dort aus drangen am 7. Oktober hunderte Kämpfer der von den USA und der EU als Terrororganisation eingestuften Hamas nach Israel ein und verübten dort Gräueltaten an der Zivilbevölkerung. Als Reaktion darauf begann Israel mit massiven Luftangriffen auf Ziele im Gazastreifen, später rückten auch Bodentruppen in das von den Islamisten beherrschte Palästinensergebiet ein.

Seit Ausbruch des Krieges bestimmen nahezu täglicher Raketenbeschuss der Hamas und dessen Abwehr durch den israelischen Iron Dome die Arbeitsabläufe bei Rav-Bariach. Drei Tage nach dem Hamas-Angriff, dem schlimmsten seit der Staatsgründung Israels im Jahr 1948, schlug eine Rakete auf dem Dach der Fabrik ein. Verletzt wurde niemand.

Arbeitskräfte fehlen überall

"In den ersten Wochen des Krieges gab es viel öfter Alarm", sagte der Firmenleiter für internationale Entwicklung, Ravid Brosch. Als sich der anfängliche Schock über die von der Hamas verübten Massaker zu legen begann, trat jedoch ein neues folgenschweres Problem zutage: die fehlenden Arbeitskräfte.

Mindestens 125.000 Einwohner des Landes waren gezwungen, ihre Häuser zu verlassen. Menschen aus dem Süden flohen aus den von der Hamas völlig zerstörten Ortschaften wie Beeri, Kfar Aza und Nir Oz in der Nähe des Gazastreifens. Auch im Norden wurden zahlreiche Ortschaften an der Grenze zum Libanon wegen der immer häufigeren Angriffe der pro-iranischen Hisbollah-Miliz evakuiert.

Zudem wurden mittlerweile mehr als 360.000 Armee-Reservisten eingezogen - mit dramatischen Auswirkungen auf die Wirtschaft. Denn in einem Land mit nur neun Millionen wird jede verfügbare Arbeitskraft gebraucht, auch bei Rav-Bariach.

"Die Situation ist im Moment schwierig, vor allem weil uns Hände fehlen", sagt Geschäftsführer Zu-Aretz. Viele der Mitarbeiter fehlten noch immer. Einige seien weiter bei der Armee, andere hielten sich nach ihrer Evakuierung noch immer an anderen Orten auf und könnten daher nicht zur Arbeit kommen. Seiner Schätzung nach stehen der Firma derzeit weniger als zwei Drittel der insgesamt 600 Mitarbeiter zur Verfügung.

Bausektor am stärksten betroffen

Ans Weitermachen im Kriegszustand sind die Menschen in Israel nach Ansicht des Wirtschaftswissenschaftlers Benjamin Bental seit der Staatsgründung vor 75 Jahren zwar gewöhnt. Doch im Vergleich mit dem aktuellen Krieg seien "alle israelisch-arabischen Konflikte in den vergangenen Jahren relativ unbedeutend", sagt der Forscher von der israelischen Denkfabrik Taub Center.

Davon sind demnach viele Branchen betroffen, einige stärker als andere. Der Bausektor etwa sei wegen seiner Abhängigkeit von palästinensischen Arbeitskräften weitgehend "blockiert". Einwohnern aus dem Gazastreifen wurden die Arbeitsgenehmigungen nach Beginn des Krieges entzogen.

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Auch die in Israel wichtige Tourismusbranche und das Gastgewerbe ächzen unter den Folgen des Krieges. Die sonst gut besuchten Cafés, Läden und Restaurants sind zwar geöffnet, aber leerer als sonst. Viele Bars und Klubs bleiben gleich geschlossen. In zahlreichen Hotels und Kibbuzen des Landes sind nun statt Urlaubern kriegstraumatisierte Binnenflüchtlinge untergebracht.

Das veränderte Alltagsverhalten der Menschen in Israel wirkt sich auch auf deren Kaufkraft aus: Laut Wirtschaftswissenschaftler Bental gingen die Transaktionen per Kreditkarte nach dem 7. Oktober insgesamt um zehn Prozent zurück, nach Beginn der israelischen Bodenoffensive im Gazastreifen sogar um 20 Prozent.

Wirtschaftsinstitute senken Prognose

Nun kommt es ihm zufolge vor allem auf die Widerstandsfähigkeit der bislang boomenden Hightech-Branche an. Mit ihrem Beitrag von 18 Prozent erwirtschaften die vor allem rund um die Küstenmetropole Tel Aviv angesiedelten innovativen Startup-Unternehmen fast ein Fünftel des israelischen Bruttoinlandsprodukts. Für 2023 und 2024 haben viele Wirtschaftsinstitute ihre Wachstumsprognosen für Israel gesenkt, nicht zuletzt wegen der hohen Militärausgaben infolge des Krieges.

Die israelische Zentralbank hingegen sagt für 2024 ein Wachstum von 2,8 Prozent voraus. Ob dieser Optimismus gerechtfertigt ist, hängt laut Bental von verschiedenen Faktoren ab. "Wenn sich die Situation an der Nordgrenze verschlechtert, wird dies das Bild völlig verändern", sagt er. Es sei daher "sehr schwer abzuschätzen, was das für Folgen haben könnte, außer dass es schrecklich sein wird".

Quelle: ntv.de, Sophie Makris, AFP

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