Tief in Joe Bidens Schatten "Mit ihrem Programm gewinnt Kamala Harris keinen Wirtschaftspokal"
25.07.2024, 17:45 Uhr Artikel anhören
Kamala Harris ist die neue Lichtgestalt der Demokraten. Sie setzt sich für sozialpolitische Anliegen und ökonomische Chancengleichheit ein. Doch ihr Motto "Freiheit, zu florieren" hat eine Kehrseite, sagt Ökonom Bastian Hepperle.
(Foto: picture alliance/dpa/AFP Pool via AP)
Kamala Harris will Präsidentin der USA werden. In Rekordzeit muss die Stellvertreterin von Joe Biden nun beweisen und zeigen, wofür sie wirklich steht. Wie viel Harris steckt in Bidenomics? Ist Wirtschaftspolitik ihre offene Flanke, ist sie hier eine "lahme Ente", wie Kritiker sagen, oder kann sie Akzente setzen? ntv.de fragt den Ökonomen Bastian Hepperle von Hauck Aufhäuser Lampe.
ntv.de: In Washington, D.C. wird laut der "Financial Times" gerade munter geraten, ob Kamala Harris als mögliche US-Präsidentin der USA wirtschaftspolitisch in die Fußstapfen von Joe Biden treten und die Bidenomics fortsetzen wird, oder nicht. Hat Kamala Harris eine eigene Wirtschaftsagenda?
Bastian Hepperle: Durch wirtschaftspolitische Kompetenz hat sich Harris sicher in den vergangenen Jahren nicht hervorgetan. Natürlich war das als Vizepräsidentin auch schwierig, weil sie ja tief im Schatten von Präsident Biden stand und sich nicht groß positionieren konnte. Jetzt bleiben ihr bis zur Präsidentschaftswahl noch ungefähr 100 Tage. Diese Zeit muss sie nutzen und rasch an Profil gewinnen. Mit den Themen, mit denen sie sich bisher hervorgetan hat - Abtreibung, soziale Aspekte, ökonomische Chancengleichheit - kann sie keinen großen Pokal gewinnen. Sie sollte also erst einmal auf die Erfolge der Bidenomics verweisen.
War sie als Vizepräsidentin an diesen Maßnahmen in irgendeiner Weise beteiligt?
Offiziell schon, konkret eher nicht. Sie sollte andere Dinge voranbringen, unter anderem die Migration stoppen. Deshalb muss sie Bidens Erfolge zu ihren machen. Darauf hinweisen, was die Biden-Administration durch staatliche Fördermaßnahmen erreicht hat, dass Investitionen in wichtigen Schlüsselindustrien angeschoben wurden, beispielsweise in der Batteriefertigung, der Halbleiterindustrie oder beim Ausbau des Infrastrukturprogramms.
Bidens wichtigstes Wirtschaftsprogramm war der Inflation Reduction Act (IRA). Dem Namen nach ist es ein Programm zur Inflationsbekämpfung, de facto ein großzügiges Subventionspaket für die Industrie, um Arbeitsplätze zu schaffen und den Klimaschutz voranzutreiben. Ist es gut oder schlecht, wenn eine US-Präsidentin Kamala Harris dieses Programm als Kamalanomics fortführt?
Es gibt zwei Seiten der Medaille: Das Programm ist über viele Jahre angelegt. Harris wird also nicht den Hebel sofort wieder umlegen, sondern den IRA klar fortsetzen. In der Tat geht es dabei darum, umweltfreundliche Technologien voranzubringen. Harris hat bereits deutlich gemacht, dass sie sich für eine starke Klimapolitik einsetzen will, es passt also. Erfolge kann die Regierung auch vorweisen. Das ist gut für Harris. Die Kehrseite der Medaille ist, dass der Staatshaushalt dadurch natürlich sehr belastet wird.
Unter Bidenomics fallen auch Zölle, insbesondere auf chinesische Produkte. Es wurden aber auch Zölle auf Aluminium und Stahl erlassen. Das hat die EU getroffen ...
Auch diesen Kurs wird sie wohl fortsetzen. Harris lehnt Freihandel weitgehend ab. Auch gegen das Freihandelsabkommen mit Kanada hat sie sich ausgesprochen. Auf Zollmäßigungen braucht man also nicht zu hoffen. Vielleicht wird es hier und da sogar noch die eine oder andere schärfere Regel geben, zum Beispiel was den Export von Hochtechnologie-Produkten, Produkten und Halbleitern angeht. Natürlich mit Blick insbesondere auf China. Man darf sich wohl unter einer Präsidentin Harris auf einen harten und durchaus protektionistischen Kurs in der US-Außenhandelspolitik einstellen.

Bastian Hepperle ist Ökonom und USA-Experte beim Bankhaus Hauck Aufhäuser Lampe.
(Foto: PR Hauck Aufhäuser Lampe)
Bidenomics war unter Wachstumsgesichtspunkten gut für die amerikanische Wirtschaft. Wie hoch hängt die Messlatte für Harris?
Das Bruttoinlandsprodukt der USA für das zweite Quartal, das heute veröffentlicht wurde - ein Wachstumskracher -, belegt die Erfolgsgeschichte der Biden-Administrationen. Im Großen und Ganzen hängt die Messlatte hoch, vor allem wenn man die Situation mit dem Euroraum oder China vergleicht. Der Beschäftigungsmotor in den USA läuft auf Touren und die Wirtschaft entwickelt sich weiterhin robust. Es gibt dabei allerdings ein Problem: Viele Wähler und Wählerinnen empfinden Wachstum wegen der hohen Inflation gar nicht als Erfolg. Viele Privathaushalte spüren nur, dass sie mehr für Benzin oder den Friseur ausgeben, als noch vor einigen Monaten.
Harris steht in dem Ruf, die Anwältin der kleinen Unternehmen zu sein. Ihr Motto oder Ansatz "Freiheit, zu florieren", wird auch als Kamalanomics bezeichnet. Sie hat Unternehmen im Besitz von Minderheiten unterstützt. Sie will die Arbeitnehmerrechte stärken und dafür sorgen, dass die Wirtschaft diese Rechte beachtet. Was ist mit dem Big Business, stehen die großen US-Konzerne hinter ihr?
Sozialpolitische Aspekte und ökonomische Chancengleichheit mit Fokus auf den mittleren und unteren Einkommensschichten stehen ganz oben auf ihrer Agenda. Steuersenkungen durchsetzen, Krankenversicherung ausdehnen und für regulatorische Sicherheit sorgen. Das sind ihre Themen. Als Staatsanwältin hat sie keine Scheu gehabt, sich mit großen Konzernen anzulegen - ganz besonders mit der Mineralölindustrie. Ich denke, davor wird sie auch künftig nicht zurückschrecken, und hier womöglich weiter regulieren wollen. Das ist natürlich eine große Sorge bei vielen Unternehmen, vor allem mittelständischen, für die Regulierung jetzt schon eine Last ist. So etwas kommt bei der Wirtschaft nicht gut an.
Harris ist zudem eine ausgewiesene Fracking-Gegnerin. Das dürfte ihr wohl auch Konflikte bescheren.
Harris hat sich schon 2019 für ein Verbot von Fracking ausgesprochen. Im Rahmen ihrer klimapolitischen Agenda hat sie eine CO2-Steuer gefordert sowie einen Stopp für Subventionen für die fossile Brennstoffindustrie. Das dürfte in der Tat zu einem Problem im laufenden Wahlkampf werden. Es gibt Bundesstaaten, wo die Ölindustrie sehr stark vertreten ist. Dort mit solchen Positionen Stimmen zu fangen, dürfte schwer werden. Und am Ende des Tages wird es womöglich ein knappes Rennen werden, bei der jede Stimme darüber entscheiden kann, ob Harris Präsidentin wird oder nicht. Man muss also abwarten, wie sie sich im Wahlkampf strategisch positioniert.
Harris’ Agenda könnte teuer werden. Wir sind schon - auch dank Trumps Steuergeschenken - auf einem Niveau, auf dem die US-Zentralbank sich nicht traut, die Zinsen zu senken. Wer ist schlimmer, Trump oder Harris? Wird Amerikas Schuldenberg unter Harris weiter wachsen?
Auch mit Harris ist hier nichts Gutes zu erwarten. Die Verschuldungslage der USA ist dramatisch. Noch ist das Vertrauen der Investoren in den US-Dollar da, aber das ist auch nicht in Stein gemeißelt. Das kann von heute auf morgen kippen und die Währung zumindest kurzfristig massiv unter Druck bringen. Allerdings fehlt es an Währungsalternativen. Klimaschutzmaßnahmen voranzutreiben, kostet Geld, das heißt, die Lage des öffentlichen Haushalts bleibt angespannt. Wir können eigentlich nur hoffen, dass die USA einen Wachstumsboom bekommen, um diese Maßnahmen finanzieren zu können. Wirklich realistisch ist das aber nicht. Es steht also zu befürchten, dass die Verschuldung weiter ansteigen wird, weil auch gar kein Wille zur Konsolidierung, die dringend notwendig wäre, da ist. Hier unterscheiden sich aber Demokraten und Republikaner nicht. Die angespannte Lage des öffentlichen Haushalts wird das große Thema in den kommenden Monaten sein.
Wie groß schätzen Sie den Handlungsspielraum für Harris ein? Werden wir eher große Veränderungen oder Nuancen sehen?
Ob Harris ihre Agenda wirklich eins zu eins umsetzen kann, das ist die große Frage. Erst einmal muss sie die Präsidentschaft gewinnen. Und dann ist die Regierung ja in vielen wirtschaftspolitischen Maßnahmen auf die Unterstützung des US-Kongresses angewiesen, insbesondere wenn sie den Staatshaushalt belasten. Steuersenkungen oder die Mittelschicht zu stärken, kostet viel Geld. Wenn Harris wirklich gewinnt, gehe ich davon aus, dass die bisherige Marschrichtung im Großen und Ganzen dieselbe sein wird. Große Impulse oder umfangreiche Maßnahmen, die viel Geld kosten, sehe ich skeptisch. Alles, was kein Geld kostet und ohne Zustimmung des Kongresses umsetzbar ist, ist natürlich für einen Präsidenten oder eine Präsidentin im Alleingang möglich. Zölle etwa können auch selbstständig - zumindest für eine begrenzte Zeit - angehoben werden. Insgesamt gehe ich aber von einer Fortsetzung der bisherigen Politik aus, mit hier und dort ein paar neuen Akzenten.
Ist Kamalanomics ein Risiko für die Finanzmärkte?
Für die Finanzmärkte ist natürlich die finanzielle und die wirtschaftliche Stärkung der US-Wirtschaft das A und O. Wenn hier Zweifel aufkommen, hinsichtlich langfristiger Wachstumsperspektiven oder der öffentlichen Verschuldung, führt das zu massiven Verwerfungen an den Finanzmärkten. Dieses Risiko ist auf jeden Fall da. Natürlich wird die Notenbank einspringen und die Leitzinsen schnell senken. Aber wenn die Inflation wieder negativ überrascht, würde sie natürlich auch in die andere Richtung gehen. Wenn man sich die Aktienmärkte in den USA anschaut, wird auf einen Wahlsieg des ehemaligen Präsidenten Trump gesetzt. Er verspricht einen wirtschaftsfreundlichen Kurs, das hat die Märkte beflügelt. Wenn Kamala Harris hier und dort eher wirtschaftsschädliche Maßnahmen umsetzt, dann könnte dies entsprechende Rücksetzer verursachen.
Mit Bastian Hepperle sprach Diana Dittmer
Quelle: ntv.de