Attacken auf Vizepräsidentin Trump nennt Harris "Zarin der Grenze" - doch das ist ein Mythos


Harris braucht Lösungen für die Situation an der US-Grenze zu Mexiko, um im Wahlkampf zu bestehen.
(Foto: picture alliance / ASSOCIATED PRESS)
Die Situation an der Grenze zwischen den USA und Mexiko ist eines der Streitthemen im Präsidentschaftswahlkampf. Ex-Präsident Trump und die republikanische Partei machen dafür nun die designierte demokratische Kandidatin Harris verantwortlich. Doch so einfach ist die Lage nicht.
Geht es nach den Republikanern, hatte Kamala Harris genau einen Job zu erledigen: das Migrationsproblem an der Grenze zu Mexiko zu lösen. Und dabei sei sie gescheitert. So vermitteln es zumindest Trump und seine Mitstreiter in Reden und Wahlwerbespots. Das tun sie nicht erst seit der Kandidatur Harris' für die US-Präsidentschaft. Durchaus: Die Lage an der Grenze ist ein ungelöstes Problem. Im vergangenen Jahr versuchten laut Statistiken der US-Grenzschutzbehörde über 3,2 Millionen Menschen, über die Südgrenze in die USA einzureisen, weitaus mehr als in den Vorjahren.
Mit ihrem Fokus auf die Migrationspolitik rennen die Republikaner bei vielen Bürgern offene Türen ein. Laut einer Umfrage des Meinungsforschungsinstituts Gallup votieren derzeit 55 Prozent der US-Bürger für eine Verringerung der Migration in die USA, für 27 Prozent ist Migration sogar das Hauptproblem, welchem sich das Land gegenübersieht. Nur die Wirtschaftslage und die Inflation werden höher gewichtet.
Als designierte Präsidentschaftskandidatin der Demokraten jetzt speziell im Visier: Kamala Harris. Ein republikanischer Kongressabgeordneter bringt wegen der Migrationskrise sogar ein Amtsenthebungsverfahren gegen Harris ins Spiel. "Die Grenzkrise ist eine Kamala Harris-Krise", erklärte vor wenigen Tagen auch Trumps Vizekandidat J.D. Vance bei einer Kundgebung im Swing State Virginia. Vance bezeichnete sie in diesem Zuge als "Zarin der Grenze" ("Border czar"). Seit Jahren wird ihr dieser Spitzname angedichtet. Auch in Reden auf dem Nominierungsparteitag wird sie so genannt. Trumps Kampagnenchef bezeichnete den Begriff sogar als ihren besten Slogan im Wahlkampf gegen die 59-jährige Vizepräsidentin.
Fakten spielen Nebenrolle
Doch das ist irreführend. In der US-Politik wird der Bezeichnung "Zar" regelmäßig für Beauftragte verwendet, die für ein bestimmtes Themenfeld verantwortlich sind. Trump selbst bestimmte, mit Bestätigung durch den Senat, "Zaren" für die Themen Menschenhandel oder auch Cybersecurity. Harris hat diesen Titel hingegen nie offiziell erhalten. Den Republikanern ist das augenscheinlich egal.
"Harris wurde im März 2021 zur 'Zarin der Grenze' ernannt", erklärte Trump jüngst: "Seitdem sind Millionen und Abermillionen illegaler Einwanderer in unser Land eingedrungen und unzählige Amerikaner wurden durch die Kriminalität von Migranten getötet, weil sie die amerikanischen Grenzen und Gesetze mutwillig zerstört hat." Trump verbindet die Migration in seinen Reden mit weiteren, den Wählern wichtigen Themen: angeblich steigende Kriminalität oder auch die weiterhin um sich greifende Opioid-Krise. Für Trump und Vance bietet das Themenfeld Migration viel Munition, um gegen Harris verbal zu schießen.
Fakten spielen dabei eine Nebenrolle. Was stimmt: Biden erteilte Harris bereits im Jahr 2021 den Auftrag, sich mit dem Themenfeld Migration zu befassen. Es ist ein undankbares Thema, aber Harris Aufgabe bestand nicht darin, wie von republikanischer Seite unterstellt, die Grenze selbst zu sichern, Zäune errichten zu lassen oder die Arbeit der vielen Tausenden Beamten zu organisieren. Für diesen Bereich ist Heimatschutzminister Alejandro Mayorkas zuständig.
Appelle zeigen keine Wirkung
Die vor rund drei Jahren von der Administration vorgelegte "Ursachen-Strategie", an deren Spitze Harris steht, sieht vielmehr Maßnahmen außerhalb der USA vor. Den sogenannten Push-Faktoren in Mittelamerika, in El Salvador, Guatemala oder Honduras soll entgegengewirkt werden; unter anderem in Form von Wirtschaftsprogrammen oder durch Förderungen von Investitionen des Privatsektors in der Region, um Arbeitsplätze vor Ort zu schaffen. Ferner soll die Korruption und Kriminalität in den Ländern bekämpft werden. Alles in allem ist es eine langfristig angelegte Strategie.
"Soweit es sich dabei um eine sinnvolle Aufgabe handelte, gelang es ihr recht gut, den privaten Sektor zu Investitionen in Zentralamerika zu bewegen", sagt Muzaffar Chishti vom überparteilichen Migration Policy Institute dem "Time"-Magazin. "Aber es war ein Auftrag, der nicht zu schnellen Ergebnissen führen konnte."
Gleichzeitig zeigten aber Harris zusätzliche Appelle vor Ort aber keine Wirkung. "Leute in dieser Region, die darüber nachdenken, die gefährliche Reise zur Grenze zwischen den Vereinigten Staaten und Mexiko anzutreten: Kommen Sie nicht. Kommen Sie nicht", erklärte die Vizepräsidentin im Jahr 2021 in Guatemala. Das Gegenteil war der Fall. Die Zahlen stiegen. In diesem Jahr blockierten die Republikaner im Kongress ein Gesetz mit umfassenden Grenzmaßnahmen auf Geheiß von Trump - er wollte aus wahlkampftaktischen Gründen keine Verbesserung der Lage zulassen. Zu wichtig ist das Thema. Also verordnete Biden manches davon per Dekret. Seither sind die Zahlen gesunken.
Demokraten brauchen Lösungen
Im Laufe der Regierungsjahre von Biden und Harris sind weitere Herkunftsländer hinzugekommen. Nicht mehr allein Mittelamerika, auf welche sich die Ursachen-Strategie bezog, wird als alleiniger Treiber der Migration ausgemacht. Vielmehr rücken, nach Daten der US-Grenzschutzbehörde, weitere Länder, wie Kolumbien, Venezuela und Nicaragua verstärkt in den Fokus. Auch die Zahlen aus den karibischen Staaten, wie Kuba und Haiti, nehmen in den vergangenen Jahren zu.
Aber egal, ob faktisch richtig oder Mythos: Der Spitzname als "Zarin der Grenze" wird Harris im Wahlkampf erhalten bleiben. Und den Wählern dürfte schlussendlich egal sein, welche genauen Kompetenzen Harris in den vergangenen Jahren auf dem Gebiet hatte. Sie wird als Teil von Bidens Regierung für die Lage verantwortlich gemacht. Als demokratische Präsidentschaftskandidatin wird sie angesichts der weitverbreiteten Anti-Migrationsstimmung in Teilen der USA konkrete Lösungen präsentieren müssen, um die Wahlen im November gewinnen zu können.
Quelle: ntv.de