Habeck-Reise mit Unternehmern Das China-Abenteuer geht weiter
27.06.2024, 18:38 Uhr Artikel anhören
Habeck bekommt die China-Version des neuen BMW i5 in Shanghai vorgeführt.
(Foto: picture alliance/dpa)
Die Cashcow der deutschen Wirtschaft bockt, droht und ziert sich: Wie sich beim Besuch von Bundeswirtschaftsminister Habeck zeigt, ist China ein immer schwierigerer Markt und Standort. Doch bei aller gewachsenen Vorsicht: Deutschlands Wirtschaft denkt gar nicht daran, dem Land den Rücken zuzukehren.
In China gibt es für ausländische Unternehmen viel zu verlieren. Von teuer erarbeiteten Wissensvorsprüngen über die eigene strategische Autonomie bis hin zu ganzen Produktionsstandorten. Aber Unternehmer wären keine Unternehmer, wenn sie neben den Risiken nicht vor allem die Chancen sehen würden: der mit Abstand größte Einzelmarkt der Welt bietet unfassbar viele gut ausgebildete Arbeitskräfte, Zugang zu Rohstoffen und Wirtschaftswachstum selbst in schwierigen Zeiten. Während Robert Habecks China-Reise zeigt sich: Der Enthusiasmus deutscher Unternehmen für Innovation, Dynamik und Möglichkeiten in China ist ungebrochen.
Dabei liegt ihnen der Bundeswirtschaftsminister seit Jahren in den Ohren mit seinen Warnungen und der Forderung nach mehr Unabhängigkeit von China durch Diversifizierung. Lieferketten und Absatz dürften sich nicht einseitig auf das Land stützen. Deutschland dürfe nicht noch einmal in die Falle einseitiger Abhängigkeiten hineinlaufen, wie es der deutschen Wirtschaft mit den Energieimporten aus Russland passiert ist. Im November 2022 sagte Habeck zu ntv.de: "Deutschlands wirtschaftliche Abhängigkeit von China ist zu groß."
Inzwischen wähnt der Grünen-Politiker die Unternehmen auf gutem Weg: Die deutsche Wirtschaft habe die Notwendigkeit zur Diversifizierung "voll und ganz verstanden", sagte der Vize-Kanzler Ende Juni vor seinem Abflug nach Südostasien. Mit ihm reiste ein Dutzend Vertreter mittelständischer Unternehmen, nachdem im April Bundeskanzler Olaf Scholz die Chefs der großen deutschen Konzerne mit nach China genommen hatte. Sie alle sind mitgekommen, um in China in Zukunft noch mehr zu verdienen - nicht weniger. Entsprechend durchwachsen fällt die Bilanz der bisherigen Bemühungen um weniger Abhängigkeiten aus.
Großes Handelsvolumen, wachsende Schwierigkeiten
China ist in den vergangenen Jahrzehnten schlicht zu wichtig geworden für die deutsche Wirtschaft. Die Verflechtungen sind eng. Ende 2022 hatten deutsche Unternehmen nach Angaben der Bundesbank 122 Milliarden Euro direkt in dem Land investiert. Mehr als 5200 deutsche Unternehmen waren 2022 laut Außenhandelskammer in China vertreten. Das Handelsvolumen betrug 2023 rund 254 Milliarden Euro, wobei der Anteil der Importe mit rund 157 Milliarden Euro höher ausfiel als die Summe der deutschen Exporte. Andererseits werden viele dieser Importprodukte in Fabriken hergestellt, die von deutsch-chinesischen Gemeinschaftsunternehmen betrieben werden.
Zugleich beklagen viele deutsche Firmen wachsende Schwierigkeiten im China-Geschäft. Die "Faktoren der Unsicherheit" hätten in den vergangenen zehn Jahren zugenommen, sagt Sabine Stricker-Kellerer während Habecks China-Besuch im Gespräch mit ntv. Die Unternehmensberaterin mit jahrzehntelanger China-Erfahrung zählt neben rechtlichen Rahmenbedingungen unter anderem die geopolitischen Entwicklungen, einen größeren Einfluss der Einheitspartei unter Präsident Xi Jinping und Probleme mit der Datensicherheit als Aspekte eines immer schwierigen Marktes auf. Zudem seien die chinesischen Unternehmen schlicht wettbewerbsfähiger geworden. Der Konkurrenzdruck ist hoch.
Umkämpfte Zukunftsbranchen
Vor allem die Benachteiligung ausländischer Unternehmen bei gleichzeitigen Subventionen für die einheimische Konkurrenz trübt die Stimmung. Rainer Birkenbach vom Medizintechnikhersteller Brainlab und Teil der Habeck-Delegation sagte ntv, die Zulassung von medizinischen Produkten im chinesischen Markt werde "immer schwieriger". Birkenbach forderte: "Zertifikate und Normen müssten international anerkannt werden, damit die Zulassungen für europäische Unternehmen auf dem chinesischen Markt genauso einfach sind, wie sie für chinesische Firmen auf dem europäischen Markt auch sind."
Die Diskriminierung europäischer Firmen im Medizinsektor hat bereits die EU-Kommission auf den Plan gerufen: Sie prüft, ob die Benachteiligungen systematisch sind. Wenn die Untersuchung das bejaht, kann Brüssel Ausgleichsmaßnahmen verhängen. Beim Import chinesischer Elektroautos tut sie das bereits: Ausgleichszölle sollen den Wettbewerbsvorteil staatlich subventionierter E-Autos aus China eindämmen. Während Habecks Reise stand das Thema im Zentrum der Gespräche. Am Ende willigte Peking ein, in konkrete Verhandlungen mit der EU-Kommission einzusteigen. Ein Zollkrieg, das betonte auch der deutsche Minister am Ende seiner Visite, sei damit aber noch nicht abgewendet.
In China besuchte Habeck auch die Firmenzentrale des E-Commerce-Giganten Alibaba in Hangzhou sowie die dortige Universität. Während der zweistündigen Überlandfahrt von Shanghai passierte Habecks Tross unzählige Großbaustellen. Diese standen nicht nur still, weil gerade Sonntag war: Die vielen, weithin sichtbaren Hochhausgerippe legen eindrucksvoll Zeugnis ab vom Ausmaß des geplatzten Baubooms in China. Peking versucht Wachstum und Binnennachfrage über andere Sektoren anzukurbeln: Der Staat fördert Zukunftstechnologien im Bereich der erneuerbaren Energien genauso wie im Automobilbau, in der Medizintechnik und der Künstlichen Intelligenz.
Klagen ja, Weggehen nein
Die westlichen Unternehmen bekommen die Auswirkungen doppelt zu spüren: Zu den erschwerten Marktzugängen gesellt sich ein steigender Konkurrenzdruck durch chinesische Firmen - sowohl in China als auch in den europäischen Heimatmärkten. In einer im April veröffentlichten Umfrage der deutschen Außenhandelskammer unter 150 deutschen Unternehmen beklagten zwei Drittel der Befragten "unfaire Wettbewerbsbedingungen". 80 Prozent erwarteten einen steigenden Kostendruck und immerhin 70 Prozent einen sinkenden Marktanteil.
Ebenfalls in einer Umfrage der Handelskammer gaben 91 Prozent der befragten deutschen Unternehmen an, ihre China-Geschäfte dennoch beibehalten zu wollen. Jedes zweite Unternehmen plant sogar eine Ausweitung seiner Investitionen, was die meisten als logische Konsequenz des steigenden Wettbewerbsdrucks betrachten.
In Shanghai bekam Wirtschaftsminister Habeck diese Logik aus berufenem Munde erklärt: Robert Kahlenberg, Vize-Präsident für Forschung und Entwicklung bei BMW, zeigte dem hohen Gast das dortige Entwicklungszentrum. China sei der Zukunftsmarkt, hier müsse dabei sein, wer auch in Zukunft global relevant sein wolle. In immer mehr Zukunftstechnologien ist China führend. Der chinesische Markt nimmt den globalen Wettbewerb der Zukunft vorweg. "Für BMW ist ein zollfreier Handel sehr wichtig", gibt Kahlenberg deshalb dem Minister mit auf den Weg. Das Unternehmen produziert in China auch für den europäischen Markt und in Deutschland für den chinesischen.
Deutschlands Große wollen in China wachsen
Die deutschen Global Player wie BMW stecken auch hinter dem Rekordwert von 11,9 Milliarden Euro deutscher Direktinvestitionen im Jahr 2023. Diese seien aus den in China erwirtschafteten Gewinnen geflossen, schreibt Jürgen Matthes vom Institut der deutschen Wirtschaft (IW). Der Denkfabrik Rhodium Group zufolge gehen 34 Prozent aller europäischen Direktinvestitionen zwischen 2018 und 2021 allein auf BMW, Volkswagen, Daimler und BASF zurück. "Big in China" ist für diese Konzerne eine Selbstverständlichkeit. Zugleich verfügen sie über die Kapazitäten und lokalen Partner, um immer neuen Hürden und einer wachsenden Volatilität zu begegnen.
"Auf der anderen Seite gibt es in den letzten vier Jahren offensichtlich auch Absetzbewegungen aus China", schreibt Ökonom Matthes. Der ebenfalls mit Habeck mitgereiste Wolfgang Niedermark, Mitglied in der Hauptgeschäftsführung des Bunds der Deutschen Industrie (BDI), sieht die deutsche Wirtschaft auf einem Mittelweg: "Natürlich ist China für sehr viele Branchen immer der größte Markt, aber wirklich nicht der einzige", sagte Niedermark zu ntv. "Insofern ist dieses neue Austarieren unserer jeweiligen Marktanteile wirklich der richtige Weg, ohne China in irgendeiner Weise zu verlassen."
Zu ähnlichen Schlüssen kommt China-Expertin Stricker-Kellerer: "Wir reden ja nicht von Entkoppelung, sondern von einer Risikoreduzierung." Jedes Unternehmen müsse seine Risiken immer wieder neu bewerten. "Und das ist bei den China-Projekten in den Vordergrund getreten, weil es eben andere Risiken sind als nur die marktwirtschaftlichen, nur die betriebswirtschaftlichen oder volkswirtschaftlichen."
Habecks Appell kommt nur zum Teil gut an
Im Gespräch mit den mitreisenden Journalisten berichteten mehrere Mitglieder der Wirtschaftsdelegation vom spürbar wachsenden politischen Druck in China. Doch an die immer umfassendere Überwachung im Alltag gewöhne man sich. Dafür sei das Leben in Chinas Giga-Städten von einem hohen Grad an Sicherheit und Funktionalität geprägt. Sorgen, die Handels- und Lieferketten könnten im Zuge eines Angriffs auf Taiwan plötzlich zusammenbrechen, waren nicht zu hören. Einige fremdelten gar mit Habecks Mahnungen und Warnungen, nehmen sie als paternalistisch und übergriffig wahr. Risiken einzugehen, sei das täglich Brot eines Unternehmers, war da sinngemäß zu hören.
Auf das anhaltende China-Engagement deutscher Unternehmen angesprochen, sagte Habeck in der Fabrik des deutschen Zulieferers ZF in Hangzhou: "Das ist nicht mein Eindruck. Die Unternehmen, die hier sind, beklagen sich, muss man fast sagen, dass in den letzten zehn Jahren die Bedingungen anders geworden sind. Härter also." Der Appell der Bundesregierung, Risiken breiter zu streuen und Lieferanten und Absatzmärkte in anderen Ländern und Weltregionen zu suchen, sei erhört worden. Das zeigten volkswirtschaftliche Daten.
Doch so eindeutig sind die Zahlen nicht. Es kommt eben sehr auf Sektor und Größe der Unternehmen an. Wer sich aber erst einmal ins China-Geschäft eingefuchst hat, bleibt meistens dabei. China ist noch immer das größte Abenteuer, das die Weltwirtschaft zu bieten hat - Ausgang ungewiss.
Quelle: ntv.de