Politik

Robert Habeck im Interview "Deutschlands Abhängigkeit von China ist zu groß"

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Habeck vor dem Abflug nach Singapur. Die Asien-Pazifik-Konferenz findet zum 17. Mal statt.

(Foto: picture alliance/dpa)

Erstmals nimmt Robert Habeck an der Asien-Pazifik-Konferenz der deutschen Wirtschaft in Singapur teil. Im Interview mit ntv.de erklärt der grüne Bundeswirtschaftsminister, warum und wie er die Abhängigkeit der deutschen Wirtschaft von China reduzieren will. Mit Blick auf die am Freitag gefundene Einigkeit zum Handelsabkommen mit Kanada, CETA, lobt Habeck, dass der Ampel "ein handelspolitischer Befreiungsschlag" gelungen sei.

ntv.de: Herr Habeck, wir sprechen auf dem Flug zur 17. Asien-Pazifik-Konferenz der deutschen Wirtschaft in Singapur. Sie haben in dieser Woche sinngemäß gesagt, dass es keine unpolitischen Handelsbeziehungen gibt. Vor diesem Hintergrund: Welche Ziele und Erwartungen verknüpfen Sie mit dieser Reise?

Robert Habeck: Die Reise ist vor längerer Zeit geplant worden. Mein Flug hierher ist daher keine Reaktion auf die Ereignisse der letzten Wochen. Die Bedeutung der Reise hat aber deutlich zugenommen. Sie wirft ein Schlaglicht auf die Bedeutung von Außenwirtschaftspolitik unter veränderten Vorzeichen: Anstelle eines netten Austauschs, was man neben dem China-Geschäft noch alles machen kann, steht das Wort Diversifizierung im Zentrum der Debatte. Für uns geht es darum, Außenhandelspolitik so auszurichten, dass wir resilienter werden und Klumpenrisiken im volkswirtschaftlichen Budget vermeiden. Darüber hinaus geht es darum, von meinen asiatischen Gesprächspartnern zu erfahren, wie sie auf Konflikte in der Region blicken, seien es China und Taiwan oder Spannungen im Südpazifik. Die Reise ist also politisch bedeutsam.

Die angesprochene Diversifizierung ist in Abgrenzung zum Wirtschaftsriesen China gemeint. Wie gefährlich schätzen Sie die Abhängigkeit der deutschen Wirtschaft von China ein?

Deutschlands wirtschaftliche Abhängigkeit von China ist zu groß. Diese Abhängigkeit liegt in bestimmten Bereichen wie etwa kritischen Rohstoffen bei fast hundert Prozent. Bräche China als Absatzmarkt weg, wäre das für einige deutsche Branchen nicht verkraftbar. Das ist die Folge von einer Ausrichtung, die Jahrzehnte geprägt hat: Man hat zu lange die niedrigen Produktionskosten für allein selig machend gehalten. Hinzu kommt, dass China riesige Rohstoffvorkommen günstig auf den Markt geworfen hat.

Wie wollen Sie die entstandenen Risiken abmildern?

Indem wir gegen diese bisherige Logik anarbeiten, auch wenn das sicher nicht leicht wird und eine Umstellung bedeutet. Wir müssen Regeln und Anreize schaffen, die den eingeübten Verlauf von Investitionsentscheidungen in den Unternehmen verändern. Das geht nicht ohne Konflikte. Wir gestalten einen Prozess, der viele Jahre dauern wird und auch gar nicht abrupt gehen soll. Es geht dabei nicht um die Abkopplung von China, aber am Ende des Weges soll die deutsche Wirtschaft robuster dastehen.

Sie nehmen als Bundeswirtschaftsminister einen konkreten Eingriff vor: bei den Investitionsgarantien, die deutsche Unternehmungen im Ausland etwa gegen Enteignungen absichern sollen. Welche Erwartung verknüpfen Sie mit dieser Entscheidung?

Im Augenblick gehen noch fast 40 Prozent des gesamten Volumens an staatlichen Investitionsgarantien für Investitionen in China drauf. Diese einseitige Ausrichtung wollen wir überwinden, damit die Unternehmen sich breiter aufstellen - in ihrem Interesse und im Interesse der Volkswirtschaft insgesamt. Wir deckeln deshalb die Investitionsgarantie pro Unternehmen und pro Land auf drei Milliarden Euro. Weitere staatliche Absicherungen gibt es nur für solche Investitionen, die das jeweilige Unternehmen in einem anderen Land tätigt. So wollen wir verhindern, dass alle Auslandsinvestitionen eines Unternehmens in ein einziges Land fließen. Die Unternehmen können dort auch weiterhin investieren, aber der deutsche Staat sichert es dann nicht mehr ab. Zudem erhöhen wir den Selbstkostenanteil für Investitionsgarantien, wenn für das gewählte Land schon viele solcher Garantien vergeben worden sind. Für andere ausgewählte Staaten, wo es noch nicht so viele Investitionen gibt, schaffen wir dagegen günstigere Garantiekonditionen. Das ist ein starker Anreiz, sich andere Märkte zu suchen.

Diese Entscheidungen betreffen das Investitionsverhalten der deutschen Wirtschaft. Ein viel beachtetes Thema der vergangenen zwei Wochen war der Umgang mit chinesischen Investitionen in Deutschland, die Sie im Fall des Hamburger Hafens und beim Chiphersteller Elmos sehr kritisch bewertet haben. Was befürchten Sie?

Deutschland ist aufgrund seiner Innovations- und Technologiekraft ein attraktives Ziel für ausländische Investitionen. Die allermeisten dieser Investitionen sind willkommen und wichtig für unsere Wirtschaft. Deshalb sind wir ein offener Investitionsstandort, offen heißt aber nicht blind. Nicht willkommen sind chinesische Investitionen in Bereichen, wo wir Sorge haben müssen, dass sie die öffentliche Sicherheit und Ordnung gefährden und gegen die Interessen der Nation gerichtet sind. Wenn die Investitionen lebensnotwendige Produkte, die Sicherheit der Energieversorgung, der Infrastruktur betreffen, können wir nicht gleichgültig sein. Es ist eine erklärte Strategie der chinesischen Führung, Einfluss in diesen Sektoren zu entwickeln. Da geht es also nicht nur um Geldvermehrung.

Aus den Fraktionen von Grünen und FDP kommt der Vorschlag, dass kritische Investitionsentscheidungen in Deutschland künftig der aktiven Zustimmung aller Ressorts bedürfen. Unter diesen Bedingungen wäre die Entscheidung zum Cosco-Einstieg in den Hamburger Hafen anders ausgefallen, oder?

Das hätte etwas verändert, aber ich bin kein Freund davon. Ein Kabinett muss Einvernehmlichkeit herstellen. Was wir vor allem tun müssen, ist, unsere Instrumente zu schärfen. Wir müssen schauen, wie wir für die sensiblen Bereiche den Schutz verstärken können und sicherlich schauen wir uns hier den Begriff der kritischen Infrastruktur nochmal genauer ran. Das besprechen wir im Ressortkreis.

Diversifizierung ist nicht nur mit Blick auf Asien ein Thema. Die Ampelfraktionen haben sich, auch nach langer Gegenwehr insbesondere der Grünen, darauf verständigt, das Handelsabkommen CETA mit Kanada nun doch umsetzen zu wollen. Wie ordnen Sie die Entscheidung ein?

Das ist eine Lösung, wie sie nur die Ampel finden konnte, nachdem die deutsche Wirtschaft unter der Großen Koalition lange vergeblich auf eine Einigung warten musste. Um CETA doch noch in die Spur zu bringen, musste gleichzeitig in der Fraktion, in der EU und mit den Kanadiern gesprochen werden. Wichtig war, hier noch mal Klarheit zu bekommen, dass der Investitionsschutz bei CETA nicht gegen Klimaschutz ausgespielt werden kann. Diese Klarheit soll auch in die schon ausverhandelten Freihandelsabkommen mit Mexiko und Chile eingebracht werden. Ein weiterer Teil des Pakets ist der Koalitionsbeschluss, aus der Energiecharta auszusteigen, weil sie auch Investitionen in fossile Energien schützt. Zusammengenommen ist das ein handelspolitischer Befreiungsschlag für die Bundesrepublik.

Gibt das die Richtung für die weitere Handelspolitik vor?

Ja, damit bekommt Deutschland auch wieder eine Stimme in der globalen Handelspolitik. Es ist eine gemeinsame Linie, die "Ja" sagt zum globalen Handel und die gesellschaftliche Güter wie Nachhaltigkeit zu einer wesentlichen Grundlage macht. Nicht mehr Kommerz und Billigkeit sind die einzigen Prinzipien, sondern es ist eine Handelspolitik, die das Ziel von sozialer Gerechtigkeit und Klimaschutz verankert. Das macht Deutschland und Europa auch attraktiv für Länder des globalen Südens, die sich zurecht von neoliberaler Handelspolitik ausgenutzt fühlen.

Eine wertegeleitete Handelspolitik stößt aber in der Zukunftschancen-Region Indopazifik schnell an ihre Grenzen. Singapur ist keine Demokratie, wirtschaftlich vielversprechende Partnerländer wie Thailand und Vietnam sind Diktaturen.

Die Welt ist kompliziert und widersprüchlich, das ist so. Aber auch in der Handelspolitik darf man über Menschenrechtsverstöße nicht hinwegsehen. Man muss sich dann konkret anschauen, ob man trotzdem Beziehungen aufbauen kann, unter welchen Bedingungen und wie man diese Bedingungen gestalten kann. Es ist ein Ringen um Schutzstandards, um Verbesserungen, oft in kleinen Schritten.

+++ Lesen Sie morgen in einem zweiten Teil des Interviews, warum Robert Habeck die Gaspreisbremse trotz Mankos für richtig hält und warum er unvollkommene Lösungen in der Energiekrise für besser hält als gar keine. +++

Mit Robert Habeck sprach Sebastian Huld

Quelle: ntv.de

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